Sex (los)
„Der Putzwahn einer Stadt löscht das Verlangen aus.“

Dawn of the Felines
Dawn of the Felines | © Nikkatsu, Kazuya Shiraishi

Für das „Roman Porno“- Reboot Projekt der japanischen Filmproduktionsfirma Nikkatsu wagte sich Kazuya Shiraishi, gemeinsam mit vier weiteren hochkarätigen Regisseuren – namentlich Hideo Nakata, Akihiko Shiota, Sion Sono und Isao Yukisada - zum ersten Mal ins Erotik-Genre. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen beim Dreh von Dawn of the Felines (2016), Frauen im Erotikfilm und über die Magie von Betrunkenen um 10 Uhr morgens.

Kazuya Shiraishi: „Durch den Sauberkeitswahn einer Stadt, wird auch ihr Verlangen ausgelöscht.“
Kazuya Shiraishi: „Durch den Sauberkeitswahn einer Stadt, wird auch ihr Verlangen ausgelöscht.“ | © Goethe-Institut Tokyo
Herr Shiraishi, bitte erklären Sie uns: Was genau ist das „Nikkatsu Roman Porno Reboot Projekt“?

`Roman Porno´ ist ein Label unter dem Nikkatsu  zwischen 1971 und 1988 viele filmische Meisterwerke produziert hat. Da ich 1988 erst 14 Jahre alt war, gehöre ich leider nicht zu der Generation, die sie damals im Kino gesehen hat, aber das habe ich während des Revivals und in Kunstkinos nachgeholt. Für mich ist es ein legendäres Label. Wenn ich die Möglichkeit hätte, wollte ich unbedingt bei einem solchen Projekt mitmachen.

In Deutschland würden sich wahrscheinlich nicht viele angesehen Regisseure darauf einlassen einen Softerotikfilm zu drehen. Sie hatten keine Bedenken?

Nikkatsu waren damals nicht die Einzigen, die Roman Pornos produziert haben. Auch  Toei hat solche Filme produziert. Der Regisseur Koji Wakamatsu hat zum Beispiel auch viele Pornos gedreht, diese wurden damals „Pink Filme“ genannt. Ich kenne mich nicht so gut aus mit der Situation in anderen Ländern, aber in der japanischen Filmindustrie in den 70er Jahren gab es viele Filme mit einem Focus auf Erotik und nackten Frauen – das war nichts Ungewöhnliches. Heute hat sich die Plattform geändert. In den 80er und 90er Jahren gab es VHS und heute sieht man es im Internet. In gewissem Sinn hat Erotik in Japan zur medialen Entwicklung beigetragen.

Und auch unter den Nikkatsu Roman Pornos von damals, gab es bestimmt Filme, die vor allem den pornographischen Aspekt betont haben, doch die Filme, die ich in meiner Jugend gesehen habe, waren durchwegs Kunstfilme. Abgesehen von einer vorgeschriebenen Anzahl von Sexszenen [alle 10 Minuten] und Drehtagen, hatten die Regisseure absolute Handlungsfreiheit. Unter ihnen gab es deshalb viele Regisseure, die auch international große Bekanntheit erlangten.

Wie kam es zum jetzigen `Reboot-Projekt´?

Nun, weil es auch heute noch viele [Roman Porno] Fans gibt. Vor dem Reboot gab es ein Revival, das viel Anklang fand, sogar bei jungen Frauen. Deswegen macht der Reboot zun jetzigen Zeitpunkt Sinn -  auch kommerziell. Während des Revivals war beispielsweise die Schauspielerin Ai Hashimoto oft im Kino. Das wurde von  anderen Zuschauern gemeldet und sie selbst hat auch darüber getwittert. Das war ein heißes Thema in den Medien damals. Dass so eine junge Schauspielerin und ein Topstar dafür ins Kino geht, war ein Grund dafür, warum sie sich für den `Nikkatsu Reboot´ entschieden haben.

Roman Porno Reboot
© Niikatsu
Wie hat sich die Arbeit am Reboot für Sie selbst gestaltet - gab es Unterschiede in ihrer Herangehensweise? Oder sind Sie von der Script-Erstellung bis hin zum Dreh ganz wie bei Ihren Kriminalfilmen vorgegangen? 
 

Prinzipiell sind viele meiner Protagonisten männlich. Für einen `Roman Porno´ hielt ich dagegen die Wahl von Frauen als Hauptdarsteller für geeigneter. Das war eine ganz neue Erfahrung beim Dreh. Allein, wie ich die Frauen darstelle, ist nicht wirklich anders als sonst. Für meine vorherigen Filme habe ich zwar nicht allzu viele weibliche Rollen geschrieben, aber rückblickend habe ich festgestellt, dass ich Frauen schon immer wesentlich „stärker“ gezeichnet habe als Männer. Im `Roman Porno´ konnte ich das noch deutlicher herausstellen.
 
Stimmt, die drei Protagonistinnen in „Dawn of the Felines“ zeigen wirklich ein anderes Bild, als das von unterwürfigen Frauen…

Frauen, die in japanischen AVs  gezeigt werden, werden oft als „schwach“ portraitiert. Man denkt, dass Frauen solche Filme drehen, die keinen anderen Ausweg sehen. Sie haben eine ähnliche Stellung wie Frauen, die in der Sexindustrie arbeiten. Ich war sehr skeptisch damit, diese Stereotype einfach zu übernehmen.

Sicherlich gibt es viele Frauen, die solche Jobs aus finanziellen Gründen annehmen müssen, aber das allein ist doch kein Ausdruck von Schwäche. Allgemein fallen Frauen in meinen Augen leichter durch gesellschaftliche Raster, geradedeshalb müssen sie stark werden. Diese Stärke von Frauen habe ich in meinem eigenen Leben oft erlebt. Männer lassen sich leichter von unterschiedlichsten Dingen beeinflussen. Für sie spielt der soziale Status und die Arbeit eine größere Rolle und wenn es einmal schief geht, können sie ihre Rolle nicht so leicht wechseln  – während des Drehs nahm ich sie als fragile Lebewesen wahr.

Der Handlungsort des Films „Ikebukuro“ ist eine eher ungewöhnliche Wahl für dieses Genre. Warum haben Sie sich für diesen Viertel entschieden?  

Ich glaube, es existiert eine Verbindung zwischen der Sauberkeit der Stadt und dem Verschwinden des Verlangens. Wenn man darüber nachdenkt: Was ist das Verlangen eines Menschen? - und dabei die Stadt, als eine Ansammlung von Menschen, miteinbezieht - macht es auf mich den Eindruck, dass durch den Sauberkeitswahn einer Stadt auch das Verlangen verschwindet. 

In Shibuya trifft man auch noch auf ein wenig Gesocks, aber rund um das Kabukicho ist es heute extrem sauber. Als ich auf der Suche nach einem passenden Drehort durch Tokyo lief, habe ich in Ikebukuro um 10 Uhr morgens Betrunkene getroffen. Sowas ist wichtig, denken Sie nicht? 

Wenn man früher durch das Kabukicho lief, traf man zwangsläufig auf Abzocker und Taschendiebe, aber heute hat das Viertel dieses Flair verloren. Ich glaube ein Stadtteil, in dem man morgens früh unbescholten besoffen sein kann, kann die Schwachen auffangen. Er bietet Winkel für unterschiedlichste Menschen. Solche Orte sind heute sehr rar – besonders in Tokyo. Als ich den `Roman Porno´ gedreht habe, dachte ich: „Früher war es vielleicht Shinjuku, aber heute ist es Ikebukuro.“
 

Ist das vielleicht ein Grund für die „Sexlosigkeit“, die in der japanischen Gesellschaft vorherrscht?

Ich glaube, dass die Sauberkeit der Stadt und der Verlust an sexuellem Verlangen in Verbindung stehen. Noch eine Sache: Ich weiß nicht wie es in anderen Ländern war, aber in Japan gab es vor einigen Jahren die sog. „Doutei Movies“ [Filme über männliche Jungfrauen] . Die Jungfräulichkeit ist ein Bestandteil im Leben eines jeden Menschen, diese Zeitspanne überschneidet sich meistens mit der Pubertät. Vor ein paar Jahren war es in Japan ein Trend [unter jungen Männern] Jungfrau zu sein - keiner hat sich dafür geschämt.  

Im Zuge dieses Trends wurden einige „Doutei Movies“ gedreht, in denen die Protagonisten immer männliche Jungfrauen waren. Sowas hat glaube ich auch einen Einfluss. Dazu gab es unzählige „Kira Kira“ Filme, die auf Mangas basierten und von High-School Schülern erzählten, die sich zum ersten Mal verlieben und ihren ersten Kuss erleben. Die meisten Blockbuster in Japan folgen auch heute noch dieser Storyline. Vielleicht auch wegen vertraglichen Reglementierungen und  Produktionsrichtlinien, aber sie versuchen die Kussszenen dabei immer schön und sauber zu halten... Ich möchte in Filmen lieber „Realeres“ zeigen. 

Schlägt sich das auch in Ihrer Besetzung wieder?

Ja, auch das. Aber meine Vorliebe für solche Schauspieler beschränkt sich nicht auf `Roman Pornos´. Ich suche immer solche Leute aus. „Kyo Aku“,  „Der größte Bösewicht in Japan“  und andere meiner Filme waren Kriminalfilme, aber wenn es passte, habe ich auch dort versucht Sexszenen einzubauen. Ich liebe Filme in denen die Triebe unverhohlen zu Tage treten. Ich würde es immer vorziehen einen kraftvollen Film zu machen, der unanständig ist und keine Zeit für „Doutei“-Gerede lässt.
 
Was ist eine gute Sexszene? Worauf achten Sie beim Dreh?

Das ist abhängig vom Verhältnis, in dem die beiden Figuren stehen. Sie könnten verliebt sein, es könnte sein, dass einer verknallt ist, oder sie beide emotionslos – in jedem Fall versuche ich nicht den Sex selbst, sondern die Gefühle der Darsteller einzufangen,  so dass sie auf den Zuschauer übertragen werden.

Beim Dreh wollte nicht zu viel eingreifen. Ich wollte realistisch bleiben. Keiner hat Sex wie in Pornos. Die Generationen, die mit solchen AVs aufgewachsen sind, die gehen zu Bordellen um diese Fantasien zu realisieren – weil man so etwas nicht mit seiner Freundin machen kann, gehen sie zu Prostituierten. Wahrscheinlich wäre es nicht so „krass“ geworden, wenn die AVs nicht so abhängig vom Umsatz wären – so wurde es immer mehr und mehr.

Was verändert sich, wenn Sie eine Sexszene einfügen?

Sex ist eine „1 zu 1“ Geschichte, deshalb füge ich sie ein, wenn sie nötig ist, um den Lebensstil des Helden zu skizzieren. In den japanischen Filmen der 60er und 70er Jahre wurden extrem viele Sexszenen - auch gänzlich ohne Bedeutung – eingebaut. Die sind mir aus meiner Kindheit in Erinnerung geblieben. Wenn ich die Filme heute noch einmal sehe, kommt es vor, dass mir mit einem Mal auffällt: „Ah die Szene hatte diese Bedeutung!“

Heute versucht man in japanischen Filmen Sexszenen zu vermeiden. Gerade deshalb ist es in meinen Augen wichtig, dass jmd. das Gegenteil macht. Ich möchte Sex und Gewalt skizzieren. Filme machen, wie Gesichter, die stets mit Öl verschmiert sind. 

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