Medientrends in Ostasien
„Künstliche Intelligenz und der Mensch werden zunehmend verschmelzen“

Werden in Zukunft Maschinen die Rolle von Lehrer*innen einnehmen? Und wie steht es um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Japan, China und Korea? Ein Gespräch mit der koreanischen Zukunftsforscherin Youngsook Park.
Von Minjee Kum
Was denken Sie über die These, der zufolge sich Künstliche Intelligenz (KI) tagtäglich weiter entwickle, menschliche Intelligenz jedoch nach und nach „degeneriere“?
Die BCI-Technologie (‚Brain-Computer Interface‘, deutsch Gehirn-Computer-Schnittstelle) wurde bereits vor ungefähr 100 Jahren entwickelt. In dem von Elon Musk 2015 gegründeten Start-up und Forschungsunternehmen Neuralink versucht man, Gehirne von über 10-jährigen Personen mit Computern zu verbinden und so einen Wissenstransfer herzustellen. Es sieht so aus, dass zwischen 2029 und 2045 die Künstliche Intelligenz die der Menschen übersteigen wird. Wenn es soweit kommt, werden Menschen in solch einem Ausmaß mit der Künstlichen Intelligenz fusioniert sein, dass man nicht mehr genau unterscheiden können wird, wer Mensch und wer Maschine ist. Man könnte solch eine Veränderung damit vergleichen, dass man anstatt eines Fächers oder eines Ventilators eine Hochleistungsklimaanlage benutzt. Den Maschinen werden die trivialen Dinge des Alltags überlassen werden. In dieser Zeit werden wir Menschen uns dem Denken auf höherem Niveau widmen können. KI ist zu guter Letzt ein Werkzeug für die Gesellschaft und ihr Fortschritt bedeutet auch ein Fortschritt für die menschliche Intelligenz.
Heutzutage übernehmen Übersetzungsprogramme wie DeepL und Papago die Arbeit von Menschen. Wohin wird sich die Technologie in Zukunft entwickeln?
2020 startete Elon Musk in seiner von ihm gegründeten Forschungsgruppe OpenAI das computergesteuerte Übersetzungssystem GPT-3. Nachdem GPT-3 enorm viele Daten studiert und hochkomplexe Inferenzen durchlaufen hatte, brachte es als Endprodukt Sprache hervor. Dass es Übersetzungen erstellen kann, ist selbstverständlich, doch kann es sich auch wie Menschen unterhalten, Texte verfassen und kreativ arbeiten? Im Jahr 2020 war die amerikanische Chapman University in aller Munde, da man dort mit GPT-3 das Szenarium für den Kurzfilm Solicitors schrieb, welcher verfilmt wurde. GPT-3 kann sogar programmieren. Es kann die Rolle von Quelltextentwicklern von Programmiersprachen wie C++, Python, Java, usw. übernehmen. Es gibt Visionen, dass telepathische Kommunikation durch ins menschliche Gehirn eingepflanzte Chips möglich und Sprache dafür komplett verschwinden wird.
In Zukunft werden wir Wissen in der virtuellen Realität genauso lebendig erfahren und annehmen, wie etwas, was sich direkt vor unseren Augen abspielt.
Im Jahr 2030 werden viele Menschen in Metaversen leben. Das Metaversum wird zu einem dreidimensionalen virtuellen und öffentlichen Ort werden, der physische Zeit und Raum übersteigt. Bis dahin wird die Qualität von VR exponentiell steigen und das Niveau der Immersionen und der Interaktion wird viel höher sein als jetzt. Zum Beispiel werden die meisten VR Headsets BCI anwenden, was die elektronischen Signale der Nutzer*innen direkt aufnimmt, d. h. allein durch seine Gedanken werden diese Befehle an den Computer geben können. Solch eine Technologie wurde bereits vor einigen Jahren zum ersten Mal vorgestellt. Mit der Zeit können Geschwindigkeit, Genauigkeit und Verbreitung um ein Vielfaches erweitert werden. In Zukunft werden wir Wissen in der virtuellen Realität genauso lebendig erfahren und annehmen, wie etwas, was sich direkt vor unseren Augen abspielt.
Laut der von den Goethe-Instituten Tokyo, Peking und Seoul verfassten Studien zu Medientrends in Ostasien wurden in den vergangenen zwei Jahren als eine Reaktion auf die Pandemie viele Aspekte von Wissensvermittlung und -erwerb digitalisiert. Welche gesellschaftlichen Probleme könnten durch solch eine extreme Veränderung entstehen und was sind trotz allem optimistische Aussichten?
Was bei einer raschen technologischen Entwicklung am meisten Sorgen bereitet, ist die ältere Generation, die sich durch die technischen Neuerungen ausgegrenzt fühlen könnte, sodass die Kluft zwischen den Generationen noch größer wird. Auch sind Änderungen am bestehenden Bildungssystem durch Online- und digitale Bildung unvermeidlich. Im Prozess könnten soziale Unruhen und Spaltungen hervorgerufen werden. Ein positives Merkmal ist aber, dass man im Metaversum durch digitale Inhalte nicht nur lernen kann, sondern dass die Kosten für Wissenserwerb und -transfer enorm gesenkt werden.
Wie werden die Menschen Wissen austauschen, wenn alles digitalisiert wird?
Wie ich bereits sagte, werden Künstliche Intelligenz und der Mensch verschmelzen und zunehmend Computer oder Maschinen für den Wissenstransfer zuständig sein. Eine Ära bricht an, in der Informationen, die vor wenigen Sekunden entstanden sind, mit Supercomputern verbunden und sofort abrufbar werden. Anders als jetzt wird es so sein, dass eine Vielzahl von Dozent*innen für eine kleine Gruppe von Schüler*innen zuständig sein wird. Anstatt Wissen zu vermitteln, werden sie den Schüler*innen als kollaborierende Mentor*innen zur Seite stehen. Die Funktionen von bestehenden Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Start-up-Centern und Makerspaces wird sich unter anderem dahin entwickeln, dass sie zu Orten werden, an denen Künstliche Intelligenz die Lehrfunktion übernimmt.
In einem nächsten Zeitalter kann die Macht der Informationskonzerne auf intelligente Individuen übertragen werden.
Durch die Pandemie hat die Menschheit die fortschreitende Digitalisierung bis zu zehn Jahre früher zugelassen. Wenn die Menschen in Zukunft auf neue Technologien wie Roboter und KI angewiesen sind, wird die Macht, die von Regierungen ausgeht, drastisch geschwächt werden. Im Zeitalter der Landwirtschaft war die Kirche am mächtigsten, im Zeitalter der Industrie Regierungen und im Informationszeitalter waren Onlinekonzerne wie Google und Amazon am einflussreichsten. Wenn nun das Zeitalter kommt, in dem allerneueste Technologie in menschliche Körper eingesetzt wird (The Age of Conscious Technology), kann die Macht der Informationskonzerne auf intelligente Individuen übertragen werden. Diese werden eine bessere Welt erschaffen, indem sie mit der Kraft von Technologie und KI verantwortlich und solidarisch handeln werden.
Was ist Ihre Aussicht für die Bildung und die Wissensvermittlung in Korea, Japan und China im Jahr 2050?
Ich denke nicht, dass es möglich sein wird, nach dem Jahr 2045, in dem Menschen und KI miteinander verschmelzen, die technologische Entwicklung weiter vorherzusagen. Wir können nur spekulieren, dass im Jahr 2050 viele Technologien miteinander fusionieren und es eine Epoche des Reichtums geben wird. Südkorea ist dank seiner homogenen Gesellschaft und seiner relativ einheitlichen Sprache schneller in der Annahme von neuen Technologien als andere Länder. Es sieht aber so aus, dass es noch etwas Zeit brauchen wird, bis ein Roboter die Erziehung eines Kindes übernehmen kann, da die Entwicklung der KI hier relativ langsam ist. Die japanische Gesellschaft lehnt extreme Digitalisierung ab und wird sich vergleichsweise langsamer ändern. China, das zurzeit an erster Stelle mit Künstlicher Intelligenz steht, hat ein enormes Budget und Manneskraft in KI und Roboter gesteckt. Es gibt kein Land, das mit der Produktion von Robotern mithalten kann. Auch in neuen Industrien wie die der selbstlenkenden Autos, Taxidrohnen, usw., übertrifft China die USA bei Weitem. Aufgrund dessen wird China das asiatische Land sein, welches KI, Roboterlehrer, Virtuelle Realität und neue Technologien dieser Art am schnellsten in die Bildung integrieren wird.
*Forschungsmaterialen von Youngsook Park:
State of the Future2021, State of the Future2035-2055, Revolution der künstlichen Intelligenz2023, Revolution für den Arbeitsplatz2023, AI-Net.