Produktdesign Hamburg
Suche nach neuen Formen der Gesellschaft
Alle Themen können Gegenstand von Design werden. Während die Hochschule für bildende Künste in Hamburg dabei ist, einen neuen Designertypus zu erfinden, setzen etablierte Hamburger Designer ihren ganz eigenen Weg fort.
Betritt man die Hochschule für bildende Künste (HFBK) am Hamburger Lerchenfeld, wird rasch ein Spannungsverhältnis deutlich: Das repräsentative denkmalgeschütze Hauptgebäude von Fritz Schumacher stammt aus dem Jahr 1911. Doch was hier unter Design verstanden und gelehrt wird, entspricht erst kürzlich veränderten Regeln. Wie andere künstlerische Bildungsorte in Deutschland wandelte sich die HFBK zu Beginn der Siebzigerjahre von einer Werkkunstschule zu einer künstlerisch-wissenschaftlichen Hochschule. Die Fachbereiche Kunst, Architektur und Design arbeiteten mit einem ganzheitlichen Anspruch.
Einflussreiche Gestalter wie Dieter Rams und Peter Raacke lehrten als Professoren an der HFBK Industriedesign. Sie bereiteten Generationen von Studentinnen und Studenten auf den Beruf als Industrie- und Produktdesigner und auf die Zusammenarbeit mit Herstellern aus der Industrie vor. Erfolgreiche Absolventen aus der Zeit bis zum Millennium zählen heute zu den prägenden Persönlichkeiten der Hamburger Designszene.
Gesellschaft gestalten
1767 als Hamburger Gewerbeschule gegründet, definiert sich die HFBK Hamburg heute als Kunsthochschule. 2008 wurde aus dem ehemaligen Fachbereich Design ein Studienschwerpunkt innerhalb des interdisziplinären Studiengangs „Bildende Kunst“ mit Bachelor- und Master-Abschluss. Der Umstellung voraus ging die bereits 2006 erfolgte Ausgliederung der Architekturausbildung in die Hafencity Universität. Nun orientiert sich der Designansatz der Hochschule an künstlerischen Strategien, er zielt ab auf politische Eingriffe und Veränderungen der Gesellschaft mit Mitteln der Gestaltung. Dementsprechend haben Entwicklungen, Produkte und Dienstleistungen, die an der HFBK entstehen, nichts mehr mit einer praxisorientierten Industriedesign-Ausbildung aus Zeiten des Diploms zu tun, was durchaus auch auf Kritik stößt. Noch fehlt die Erfahrung mit der neuen Generation von Absolventen und ihrer künftigen Rolle.HFBK | Charlotte Diekmann, Daniel Pietschmann | Gartenhaus am Holstenkamp | Studienprojekt 2013 – 14 | Charlotte Diekmann, Daniel Pietschmann Das Fächerangebot soll zu einer übergreifenden künstlerischen und wissenschaftlichen Qualifizierung führen. Die Studentinnen und Studenten arbeiten in Studios mit den Lehrenden zusammen. Ziel des Studiums ist nicht mehr in erster Linie die Befähigung, Gegenstände entwerfen zu können, sondern weitergehende Fragestellungen aufzuwerfen und innovative Lösungen zu erarbeiten. Selbstbestimmte künstlerische Auseinandersetzungen sowie projektbezogene und experimentelle Arbeitsweisen stehen dabei im Mittelpunkt. Die Hochschule versteht sich als aktiver Teil der kulturellen Öffentlichkeit, mit vielfältigen Kooperationen, wie etwa mit dem Museum für Kunst und Gewerbe. Sie wirkt auf aktuelle Entwicklungen im In- und Ausland ein und initiiert Debatten. Dem Schwerpunkt Design gehören derzeit sechs Professorinnen und Professoren an: Friedrich von Borries (Designtheorie), Jesko Fezer (Experimentelles Design), Glen Oliver Löw (Produktdesign), Julia Lohmann (Grundlagen des Design), Marjetica Potrč (Social Design) und Ralph Sommer (Konzeptdesign).
Weltentwerfen
„Früher entwarfen Designer Gegenstände“, sagt Friedrich von Borries, „heute wird praktisch alles gestaltet: das Klima, Prozesse, Flüchtlingslager. Deshalb darf Design nicht nur nach ästhetischen, funktionalen und ökonomischen Gesichtspunkten bewertet werden.“ Stattdessen plädiert er für ein entwerfendes Design, das sich der Logik des Kapitalismus entzieht und neue Formen des Zusammenlebens ermöglicht.HFBK | Magazin der HFBK-Bibliothek nach der Neugestaltung, 2016 | Foto: Michael Pfisterer Von Borries veröffentlichte kürzlich seine „politische Designtheorie“ unter dem Titel Weltentwerfen.
Auch Jesko Fezer, Professor für Experimentelles Design an der HFBK, setzt diesen Ansatz mit seiner „Öffentlichen Gestaltungsberatung“ theoretisch und praktisch um. Die kostenlose Beratung, die Wohnprobleme in von Gentrifizierung betroffenen Stadtteilen lösen und individuelle Lebenssituationen verbessern soll, wird von Studierenden sowie professionellen Designern betrieben. Nach dem Erforschen des eigentlichen Problems entwickeln und realisieren die Projektteilnehmer kostengünstige Lösungen zusammen mit Auftraggebern, die sich kein professionelles Design leisten können. So erarbeitete ein Team Konzepte mit unterschiedlichen Trennelementen für eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern, die sich mehr Privatsphäre in ihrer zu kleinen Wohnung wünschte, ein anderes unterstütze ein Gegenplanungsprojekt von Bewohnern der mittlerweile abgerissenen Esso-Häuser im Hamburger Stadtteil St. Pauli. „Alle Themen und Probleme können zum Gegenstand von Design-Prozessen werden“, betont Fezer. Und so heißt auch ein Buch, dass die Ergebnisse der Designberatung zwischen 2011 und 2016 dokumentiert.
design for human nature
Im ehemaligen Kontorhaus des Hamburger Großmarkts für Obst und Gemüse aus den 1960er-Jahren haben sich André Feldmann und Arne Schultchen einen Ort mit maßgeschneiderten Projekt- und Studioräumen geschaffen. Der einstige Auktionstrakt bietet dem 25-köpfigen Team um die Gründer von „design for human nature“ viel Platz. Die Möbel haben die Designer, die Gestaltungslösungen von der Niveadose bis zur Tankstellenarchitektur entwickeln, selbst entworfen und gebaut: Schreibtische, Sofas und Leuchten beziehen sich auf Formen aus der Entstehungszeit des Gebäudes. Im früheren Auktionssaal können sie mehrere Meter hohe Architekturmodelle im Maßstab 1:1 konstruieren. „Die Räume würde außer uns niemand so nutzen,“ sagt Arne Schultchen, der gemeinsamen mit André Feldmann studiert hat. Im Vergleich zur Zeit an der HFBK habe sich gar nicht so viel verändert. „Auch dort hatten wir ein großes Studio fast ganz für uns“, so Schultchen. „Wie hier im großen Saal konnten wir einen Tennisball gegen die hohen Wände werfen, während wir über Ideen gesprochen und nachgedacht haben. Den offenen Raum buchstäblich zu füllen, mit neuen Möglichkeiten und Ideen, hat uns schon immer gefallen. Die HFBK war genau das!“
BFGF Design Studios
Christian Schüten, Gerrit Kuhn, Sebastian Mends-Cole und Eric Pfromm lernten sich an der HFBK Hamburg kennen. „Unsere Denkweise ist stark geprägt durch diese Zeit“, sagt Schüten. Die heutigen Geschäftsführer der BFGF Design Studios arbeiteten damals in einem selbstverwalteten Studio der Hochschule mit eigener Werkstatt. Schon während des Studiums, noch mit Peter Unzeitig als Büro für Gestaltungsfragen, entstanden erste Designentwürfe für Hamburger Agenturen und Bars. „An der HFBK wurden wir zum Forschen auf eigene Faust angehalten. Genau dieses Forschen finde ich noch heute wichtig.“Einen größtmöglichen Grad an künstlerischer Freiheit beizubehalten, haben sich die Gründer der BFGF Design Studios vorgenommen. In den Räumen der Agentur Mutter färbten sie etwa den Stuck an der Decke anthrazit, um die alten Strukturen zu betonen. „Wer technisch glattes Design haben möchte, fragt ein anderes Designbüro“, so Schüten. Von BFGF entwickelte Produkte und Interieurs zeichnen sich durch einen verantwortungsbewussten Umgang mit Gesundheit, Materialien und natürlichen Ressourcen aus. Die Gestaltung von Räumlichkeiten beginnt mit einer genauen Betrachtung der architektonischen Gegebenheiten.