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Welt in Flammen
Richard Wagners „Ring des Nibelungen“

Die drei Rheintöchter in „Rheingold“ bei den Bayreuther Festspielen 2010
Die drei Rheintöchter in „Rheingold“ bei den Bayreuther Festspielen 2010 | Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath © dpa

Richard Wagners Opernzyklus „Ring des Nibelungen“ wird häufig als Meilenstein der Operngeschichte beschrieben. Gleichzeitig gilt er auch als Herausforderung für die Zuschauer. Wir erklären, worauf es beim „Ring“ ankommt.

Ach, ist das schön, dieses „Rheingold“-Vorspiel: Dieses wogende, wallende, wabernde Dauer-Es-Dur. Hier wird musikalisch Wasser gemalt: Vater Rhein, in dessen Tiefen seine Töchter jetzt noch das Rheingold bewachen. Nicht sehr erfolgreich, wie sich schon bald zeigen wird. Nach vier Minuten und finalen orgiastischen Schüben hat das Vorspiel sein Ziel erreicht: „Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagala weia!“, singt Rheintochter Woglinde in wunderbarer Einheit von Sprache und Musik. Die Worte: geboren aus dem Fluss der Musik – dank altem Stabreim, der durch gleiche Anfangslaute rhythmisiert.  
 
Ja, herrlich, dieser Einstieg, diese Ursuppe, in der die musikalischen Motive brodeln, aus denen Richard Wagner dann seine bedeutendste Schöpfung, den „Ring des Nibelungen“, wob. Ursprünglich als einzelnes Musikdrama geplant, wuchs der „Ring“ zu einer riesigen Tetralogie heran, mit deren Uraufführung Wagner schließlich im August 1876 sein neu erbautes Festspielhaus auf dem „Grünen Hügel“ in Bayreuth eröffnete: 16 Stunden Musik, aufwendig inszeniert, verteilt auf vier Abende. Zum Auftakt gab es „Das Rheingold“, es folgten „Die Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“. Mit der Bezeichnung „Oper“ gab sich Wagner nicht mehr ab. Er nannte sein Mammutwerk „Ein Bühnenfestspiel“.

  • Bühnenbildentwurf für Bayreuth von J. Hoffmann (1876): „Rheingold“ Foto: gemeinfrei
    Bühnenbildentwurf für Bayreuth von J. Hoffmann (1876): „Rheingold“
  • Bühnenbildentwurf für Bayreuth von J. Hoffmann (1876): „Die Walküre“ Foto: gemeinfrei
    Bühnenbildentwurf für Bayreuth von J. Hoffmann (1876): „Die Walküre“
  • Bühnenbildentwurf für Bayreuth von J. Hoffmann (1876): „Siegfried“ Foto: gemeinfrei
    Bühnenbildentwurf für Bayreuth von J. Hoffmann (1876): „Siegfried“
  • Bühnenbildentwurf für Bayreuth von J. Hoffmann (1876): „Götterdämmerung“ Foto: gemeinfrei
    Bühnenbildentwurf für Bayreuth von J. Hoffmann (1876): „Götterdämmerung“
Revolutionär war dieses brandneue Konzept allemal. Das allseits erträumte romantische Gesamtkunstwerk offenbarte sich hier in Vollendung: Dichtung, Musik, Bühne, Darstellung und Ausstattung sollten zu einer Einheit verschmelzen. Wasser auf die Mühlen derer, die eine deutsche Nationaloper forderten. Der ehrgeizige Wagner war von seinem Genie natürlich vollends überzeugt. Er wollte die deutsche Opernkultur „erlösen“, die in seinen Augen „dekadent“ dahinsiechte. Ein Kraftakt: Über 25 Jahre, seit 1848, hatte Wagner sich mit diesem Großprojekt beschäftigt, hatte nicht nur die Musik komponiert, sondern auch die Libretti verfasst, zudem das Geld für die Verwirklichung eingetrieben. Dazu gehörte eben auch der Bau des Festspielhauses in Bayreuth. Bis heute werden dort ausschließlich Wagners Werke aufgeführt. 

Erfundener Mythos

Die Ermordung Siegfrieds in einem handschriftlichen Manuskript des „Nibelungenlieds“ aus dem 15. Jahrhundert Die Ermordung Siegfrieds in einem handschriftlichen Manuskript des „Nibelungenlieds“ aus dem 15. Jahrhundert | Bild: gemeinfrei Im „Ring des Nibelungen“ geht es umunterschiedliche Kreaturen, die im Kampf um Besitz und Macht und im Konflikt zwischen Freiheit und Gesetz sich selbst oder andere töten und auch vor Inzest nicht haltmachen. Eine Mord-Story, eine Dystopie: Am Ende geht die Welt in Flammen auf.
 
Für sein Endzeitdrama, in dem er sich als romantischer Kapitalismuskritiker outete, schuf Wagner sich eine sehr komplexe, eigene mythische Welt – nicht anders als später Tolkien in seinem „Lord of the Rings“. Dafür griff er auf unzählige Quellen zurück: darunter das mittelhochdeutsche „Nibelungenlied“, ein um 1200 anonym verfasster Heldenepos, der in der Romantik zum deutschen Nationalepos avanciert war. Zu Wagners Hauptquellen gehören aber auch die „Lieder-Edda“ und die „Völsunga Saga“ – beide im 13. Jahrhundert in Island entstanden. In seinem selbsterfundenen Handlungsgefüge kombinierte Wagner Teile des „Nibelungenliedes“ (etwa die Siegfried-Geschichte) mit dem Schicksal der nordischen Götter unter Herrschaft Wotans. In seiner betont archaisierenden Dichtung verzichtete er auf traditionelle Reimschemata und griff auf den altgermanischen Stabreim zurück.

Wer sind die Nibelungen?

Die Bezeichnung „Nibelungen“ ist im mittelhochdeutschen „Nibelungenlied“ an den Besitz des legendären, machtverleihenden Schatzes – des Nibelungenhorts – gebunden. Zunächst sind es Siegfried und sein Gefolge, die als Nibelungen bezeichnet werden. Nach Siegfrieds Tod gehen der Schatz und damit der Name über auf König Gunther und die Burgunder.

In Wagners „Ring“ gestaltet sich das einfacher. Als Nibelungen gelten hier ausschließlich die Schwarzalben, ein Zwergenvolk, das den mythischen Ort Nibelheim bewohnt. Der gierige Alberich ist einer von ihnen. Er erbeutet zu Beginn des „Ring“-Zyklus das Rheingold im Tausch gegen sein Herz und lässt den verhängnisvollen Zauber-Ring daraus schmieden, der ihm nun die Macht verleiht, sein Volk zu unterdrücken: Die Nibelungen müssen für ihn schuften und in den dunklen Stollen Nibelheims nach Gold schürfen. So wächst Alberichs Schatz, der später mit dem Ring immer wieder den Besitzer wechselt.

Der Ring – Symbol für Allmacht und Reichtum

Der „Ring des Nibelungen“ erklärt. In 2 ½ Minuten vom Sydney Symphony Orchestra (auf Englisch. Quelle: YouTube)

Die Handlung, die alle vier Teile des „Ring“ miteinander verbindet, ist komplex und verschlungen. Zeitsprünge und 34 tragende Figuren – menschliche Helden, diverse mythische Gestalten, Nibelungen, Götter, Riesen – machen es oft schwer, dem Geschehen zu folgen. Am besten orientiert man sich am titelgebenden Ring – dem Symbol für Allmacht und Reichtum – und wie er die Besitzer wechselt:
Der Grund für Alberichs Macht und Reichtum bleibt den Göttern nicht verborgen. Mit List ergattert Wotan Alberichs magischen Ring samt Schatz – zwecks Begleichung einer offenen Rechnung mit den Riesen Fafner und Fasolt. Die Weitergabe des Rings ist ein fataler Fehler. Denn Alberich hat ihn mit einem Fluch belegt: „Tod dem, der ihn trägt.“ Ohnehin ist mit dem Besitz des Ringes immer auch der Verlust jeglicher Empathie verbunden – will sagen: Gier macht herzlos. Der Fluch zeigt bald Wirkung: Fafner tötet aus Habgier seinen Bruder Fasolt und hütet fortan als Drache den Nibelungenschatz. Jahre vergehen. Siegfried, von Alberichs Bruder Mime großgezogen und in Unwissenheit darüber, dass Wotan ihn dazu bestimmt hat, die Welt vom Fluch des Ringes zu erlösen, erschlägt den Drachen Fafner. Siegfried nimmt den Ring an sich als Geschenk für seine Geliebte Brünnhilde, Wotans Tochter. Hagen, Sohn Alberichs, möchte den Ring selbst besitzen und betäubt Siegfried mit dem Zaubertrank des Vergessens: Siegfried verliebt sich in Gutrune und nimmt Brünnhilde den Ring wieder ab, worauf sich diese wütend mit Hagen verbündet. Sie verrät Hagen Siegfrieds einzige verwundbare Stelle. Hagen tötet Siegfried durch einen Speerstoß zwischen die Schulterblätter. Die reuige Brünnhilde, wieder im Besitz des Ringes, folgt Siegfried in den Tod. Ihr Liebesopfer beendet den Fluch. Der Rhein tritt über seine Ufer, die Rheintöchter holen sich das vom Fluch gereinigte Gold zurück. Walhall, Wohnsitz der Götter, brennt. Das Ende der Götter ist besiegelt. Alles auf Anfang.

Mehr als 100 Leitmotive

Im „Ring“ gibt es keine geschlossenen Nummern, weder Arien noch Chöre. Die Musik ist durchkomponiert, befindet sich immer im Fluss, befeuert vom sinfonisch arbeitenden Orchester. Die Verflüssigung der Form führt zu einer extrem geweiteten Harmonik, die die Dur-Moll-Tonalität an ihre Grenzen bringt. Für die Form sorgt ein Netzwerk an musikalischen „Leitmotiven“: Gut wiedererkennbare Themen tauchen in unterschiedlichem Kontext wieder auf, stiften dadurch Zusammenhang, verdeutlichen das komplexe Bezugs- und Bedeutungssystem der Handlung. Der ganze „Ring“-Zyklus ist mit einem dichten leitmotivischen Netz durchwirkt, das immer wieder auch psychologisch-dramatische Situationen ausleuchtet. Die Musikwissenschaft hat im „Ring“ mehr als 100 solcher Leitmotive ausfindig gemacht: vom „Schwert-“ übers  „Walhall-“ und „Walküren-“ bis zum „Nornen-Motiv“.
 
Der Walkürenritt mit dem Walkürenmotiv, gespielt vom Festspielorchester Bayreuth 2017 (Quelle: Bayreuther Festspiele via YouTube)

Jahrhundert-Ringe in Deutschland

Der „Ring“ ist ein widersprüchliches, vieldeutiges, ungeheuer komplexes Werk und darin sehr zeitlos. Die Interpretationen, was er bedeute, gehen wie bei jedem großen Kunstwerk in unterschiedliche Richtungen: Die einen sehen in ihm eine Allegorie des Kapitalismus, andere eine kritische Auseinandersetzung mit der Industrialisierung und der damit verbundenen Naturzerstörung, andere wiederum ein religionskritisches Werk.

An Deutschlands Opernhäusern ist nach wie vor das Streben erkennbar, trotz des ungeheuren (finanziellen) Aufwandes einen eigenen „Ring“ auf die Bühne zu stemmen. Dabei muss man sich immer mit einer bedeutungsgeladenen Rezeptionsgeschichte auseinandersetzen – die in jüngerer Zeit eine ganze Reihe von „Jahrhundert-Ringen“ hervorgebracht hat.

So etwa 1976: Patrice Chéreau inszenierte damals den „Ring“ zum 100-jährigen Bestehen der Bayreuther Festspiele. Er brach mit der Bayreuther Tradition des Illusionstheaters und verlegte die Handlung in die Zeit der Frühindustrialisierung des 19. Jahrhunderts.
 
Legendär ist auch Götz Friedrichs Berliner Inszenierung aus den Jahren 1984/85 – in Zeiten des Kalten Krieges, als Deutschland im Zentrum atomarer Bedrohung lag. Das Bühnenbild: ein unendlich langer, mächtiger „Zeit-Tunnel“, in den sich die Götter nach einem Atomschlag zurückgezogen haben. Horror!

Bedeutend auch der „Frankfurter Ring“ von Ruth Berghaus, der in den Jahren 1985-87 für Aufsehen sorgte: mit einer szenisch kahlen, kühlen, psychoanalytisch fundierten Inszenierung, die auf Gesten und Symbole setzte.

Und last but not least der „Stuttgarter Ring“ von 2002/03: Erstmals kam die Inszenierung aller vier Teile nicht aus einer Hand, sondern wurde von verschiedenen Regisseuren (Joachim Schlömer, Christof Nel, Jossi Wieler und Peter Konwitschny) umgesetzt – ohne konzeptionelle Absprache untereinander. Intendant Klaus Zehelein begründete diese Idee mit dem Abschied vom Zwang, den „Ring“ als ein geschlossenes Ganzes zu präsentieren. Man befreite sich dadurch vom Anspruch, die Welt in ihrer Totalität einer einzigen Erklärung zu unterwerfen. Vielleicht der zeitgemäßeste, modernste Ansatz bisher.
 
Ausschnitte aus allen vier Teilen des „Stuttgarter Rings“ von 2002/2003. Auch hier ist das Walkürenmotiv gut zu erkennen (ab 1:30). (Quelle: Euro Arts Channel via YouTube)
 

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