22. November 2022
Jeder Text ist einzigartig

Ashani Shalika Ranasinghe ist Übersetzerin und Germanistikdozentin. Das Projekt Social Translating des Goethe-Instituts Korea ist für sie nichts Neues, hat sie doch bereits in der ersten Auflage des Projektes teilgenommen und den Austausch auf der Lectory-Plattform belebt. Nun übersetzt sie den Roman Die Sommer von Ronya Othmann ins Singhalesische. Wir sprachen mit ihr über spezifische Anforderungen bei der Übersetzung und welche Wege sie zu einer guten Übersetzung findet.
Ashani, als Übersetzerin deutschsprachiger Literatur bringst du nicht nur sprachliche Expertise des Deutschen mit, sondern du verfügst auch über umfangreiches Wissen der Literatur und Kultur in Deutschland. Mit der Übersetzung des Romans Die Sommer musstest du dich aber nun auch mit einem anderen Kulturraum beschäftigen. Wie bist du mit dieser Herausforderung umgegangen?
Übersetzung bedeutet nicht nur die Übertragung des textlichen Inhalts aus einer Sprache in die andere, sondern bringt auch immer eine Menge von weiteren Arbeiten und Herausforderungen mit sich. Eine gute Übersetzung kann nur entstehen, wenn kulturelle Bezüge im Ausgangstext berücksichtigt werden. Deswegen ist eine Übersetzung auch immer eine Übertragung von dem Text übergeordneten Inhalten. Jeder Text ist einzigartig, und als Übersetzerin liegt es in meiner Verantwortung, die mit jeder Geschichte transportierten kulturellen Werte zu beachten und gleichzeitig die Einzigartigkeiten des Inhaltes und der damit in Verbindung stehenden Kultur zu enthüllen. Damit wird auch ein Licht auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Sprachen und wenn möglich der Kulturen gerichtet.
In meiner Tätigkeit als Übersetzerin habe ich bis jetzt an zehn Romanen aus dem Deutschen und Englischen in meine Muttersprache Singhalesisch gearbeitet. Alle diese Romane entstanden im Original entweder in einem englisch- oder in einem deutschsprachigen Land. Da ich bereits einige Male in Deutschland war und mich auch mit der deutschen Literatur an der Universität beschäftige, stellte die Übersetzung eines Romans aus dem Deutschen ins Singhalesische bisher eine jeweils zu bewältigende Herausforderung dar.
Im gegenwärtigen Social Translating Projekt allerdings wird der Roman Die Sommer von Ronya Othmann in verschiedene asiatische Sprachen übersetzt. Die Geschichte handelt von der Tochter einer deutschen Mutter und eines jesidisch-kurdischen Vaters. Dies ist meine erste Übersetzungserfahrung mit einem Roman aus einem anderen Kulturraum, aus einem Land des Nahen Ostens. Obwohl ich mehrere Bücher aus dieser Region gelesen habe, musste ich zum kulturellen und gesellschaftlichen Hintergrund Kurdistans recherchieren. Ich schaute mir sogar Fernsehprogramme, insbesondere Nachrichtensendungen aus der Türkei und dem Iran, an, um mir ein besseres Bild von den Kulturen und komplexen politischen Kontexten in der Region machen zu können. Wie bei der Übersetzung Die Welt im Rücken von Thomas Melle half der Austausch auf der Lectory-Plattform auch dieses Mal dabei, unklare Stellen im Text zu klären.
Eine gute Übersetzung kann nur entstehen, wenn kulturelle Bezüge im Ausgangstext berücksichtigt werden.
Wenn man einen Text von einer Sprache in eine andere überträgt, trifft man oft auf ganz spezifische Probleme. Texte aus einem anderen Kulturraum, entstanden auf einem anderen Kontinent bzw. in einem anderen Land, stellen durch ihre unterschiedlichen Referenzsysteme eine Herausforderung dar. Im Roman Die Sommer fand ich die Bezeichnungen für Personen, Städte und Gegenstände, Nahrungsmittel, Feste oder andere kulturspezifische Elemente besonders schwierig. Die Personen- und Städtenamen, die mit einem X anfangen, zum Beispiel „Xaços“ und „Xalil“, fand ich schwer zu übersetzen, weil in meiner Muttersprache kein Wort mit einem X anfängt und der Buchstabe X als „eks“ ausgesprochen wird.
Für die Namen bestimmter Lebensmittel (und -zutaten) wie „Zatar“, „Tûll“ oder „Aprax“ beispielsweise konnte ich keine Entsprechungen in meiner Muttersprache finden. Als Übersetzerin muss ich den Inhalt also in einen Kontext einbetten, um den Sinn und die Verständlichkeit beizubehalten, ohne dass dabei aber inhaltlich an eine andere Kultur angepasst wird. An manchen Stellen habe ich daher zu einer Bezeichnung eine knappe Erklärung bzw. einen erklärenden Satz hinzugefügt.
Der Roman Die Sommer hat mich beim Übersetzen weniger grammatikalisch oder inhaltlich herausgefordert. Das Problem lag vielmehr bei den kulturellen und politischen Aspekten, mit denen die gesamte Geschichte verwoben ist. Um das, was die Autorin mit dem Text sagen will, klar zu begreifen, musste ich mich auf authentische Informationen zum Land und zu den Menschen stützen und viel recherchieren.
Deine Übersetzung ins Singhalesische liegt nun dem Lektorat vor. Bei welchem Verlag wird der Roman erscheinen und wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Meine Übersetzung wird bei dem Verlag Kadulla, Sri Lanka erscheinen. Der Verlag ist an die University of the Visual and Performing Arts angeschlossen. Voraussichtlicher Erscheinungstermin ist Juli 2022. Ich arbeite mit dem Verlag seit 2020 als Autorin und Übersetzerin zusammen.
Die Jahreszeit „Sommer“ gibt es vermutlich so nicht in Sri Lanka. Welchen Titel wird deine singhalesische Übersetzung tragen? Und warum?
Stimmt, es gibt gar keine Jahreszeiten in Sri Lanka, es ist das ganze Jahr über sonnig und in manchen Monaten ist es regnerisch. Obwohl wir keinen Jahreszeitenwechsel haben, werden die Jahreszeiten auf Singhalesisch benannt: Frühling „Wasantha“, Sommer „Grieschma/Gimhana“, Herbst „Sarath“ und Winter „Shietha“. Meine Übersetzung wird den Titel „Gimhanaye Kathawak“, etwa „Eine Geschichte vom Sommer“, bekommen.
Wird es Veranstaltungen um das Erscheinen des Romans geben, wie etwa Lesungen, Buchvorstellungen oder Diskussionen?
Ja, aber natürlich! Obwohl sich Sri Lanka momentan in einer großen Krise befindet, versuche ich, zumindest einige Lesungen an zwei Universitäten – University of Visual and Performing Arts, Colombo, und Universität Kelaniya - zu organisieren. Außerdem möchte ich mich für eine Teilnahme am staatlichen Literaturwettbewerb, Kategorie „Beste Übersetzung 2022“, bewerben.
Wir tauschen uns regelmäßig aus. Der Austausch half, den Text besser zu begreifen.
Das Social Translating Projekt 2018 war ein Wendepunkt in meiner Karriere als Übersetzerin. Da konnte ich eine „super Gruppe“ von Menschen aus verschiedenen Ländern kennenlernen. Bis heute bin ich mit den meisten in Kontakt und wir tauschen uns regelmäßig aus. Im Rahmen des ersten Projekts hatten wir zudem die Möglichkeit die Frankfurter Buchmesse zu besuchen. Da ging ein Traum in Erfüllung! Bevor wir uns auf der Buchmesse persönlich trafen, tauschten wir Übersetzer*innen unsere Ideen mit dem Autor auf der Lectory-Plattform aus. Es war eine völlig neue Erfahrung für uns und der Austausch half, den Text besser zu begreifen.
Wie groß ist das Interesse an deutschsprachiger Literatur auf dem Buchmarkt in Sri Lanka im Allgemeinen? Und welches Genre ist besonders gefragt?
Auf dem Buchmarkt in Sri Lanka dominieren nach wie vor die Übersetzungen aus dem Englischen. Manche Titel im deutschen Original stammen aus Übersetzungen aus dem Englischen ins Singhalesische. Beliebte Themen sind Deutsche Gegenwartsromane, Literatur über die Zeit des Zweiten Weltkrieges, Adolf Hitler und die Nazizeit, Migration in Deutschland. Deutsche Kurzgeschichten und Märchen sind ebenfalls gefragt. Viele Leser, die über Fremdsprachenkenntnisse verfügen, versuchen Originaltexte zu lesen und ins Singhalesische zu übersetzen, wie etwa Romane aus dem Russischen, Chinesischen, Koreanischen oder Französischen. Manche Autoren, etwa im Bereich der Kinderliteratur oder Kurzgeschichten, schreiben sogar in einer Fremdsprache.