Bibliotheken in Deutschland
Die Zukunft der Bibliothek

In Museen kann man die Vergangenheit eines Landes sehen. Interessiert man sich für dessen Zukunft, so heißt es, sollte man eine Bibliothek besuchen. Unter diesem Motto besuchten Ende 2015 Bibliothekare aus 18 Ländern auf Einladung des deutschen Außenministeriums und des Goethe-Instituts Deutschland. Jaesun Lee von der National Library of Korea war dabei und hat einiges an Anregungen für Korea mitgenommen. Ein Bericht.
In Deutschland gibt es mehr als 9.000 öffentliche und 700 Universitätsbibliotheken – eine Bibliothek für jede 9.000 Einwohner. Im Vergleich zu Korea, wo mit 970 öffentlichen Bibliotheken und 5.000 kleineren Bibliotheken nur eine auf 53.000 Einwohner kommt, ist dies ein beeindruckend dichtes Netz. Dennoch sind Deutschlands Bibliotheken auf Bundesebene wenig reguliert. Es gibt kein bundesweit gültiges Bibliotheksgesetz, da in Deutschland kulturelle Politik primär auf Ebene der Bundesländer und Gemeinden stattfindet. Auch vernetzt sind die Bibliotheken nicht wie in Korea bundesweit nach Art der Bibliothek – KOLIS-Net für öffentliche Bibliotheken und RISS für Universitätsbibliotheken – sondern in insgesamt sechs regionalen Bibliotheksnetzwerke.
Bibliotheken nach der deutschen Wiedervereinigung
Im Anschluss an die deutsche Wiedervereinigung 1990 wurden staatliche Bibliotheken in Frankfurt, Leipzig und Berlin zur Deutschen Nationalbibliothek (DNB) zusammengefasst. Die DNB zeichnet sich insbesondere durch ihr System der Pflichtablieferung aus, bei dem die DNB unentgeltlich von jeder Neuveröffentlichung zwei Exemplare bei Offline-Publikationen oder ein Exemplar bei Online-Publikationen bekommt. Seit 2006 ist auch die digitale Pflichtablieferung gesetzlich geregelt. Doch bereits seit 1998 lieferten Universitätsbibliotheken freiwillig digitale Versionen von Abschlussarbeiten an die Nationalbibliothek, Buchverlage begannen 2002 mit der Bereitstellung neu erschienener E-Books. Auf diesem Wege sammelt die DNB pro Jahr 890.000 Medieneinheiten und stellt deren Meta-Daten für andere Einrichtungen zur bequemen Nutzung in XML, RDF oder anderer Form zur Verfügung. Diese Daten werden soweit möglich mit der Creative-Commons-Lizenz CC0 veröffentlicht und stehen so zur aktiven Weiterverwendung durch die Bürger bereit. Die Erörterung einer freiwilligen und kostenfreien Abgabe von elektronischen Medien unabhängig von gesetzlichen Regelungen wäre auch für Korea interessant.Die Staatsbibliothek zu Berlin umfasst zwei Standorte – die 1661 Unter den Linden erbaute Bibliothek des Preußischen Reiches und die 1978 in West-Berlin, am Potsdamer Platz, eröffnete Bibliothek –, welche 1992 zusammengeführt und zu einer Bibliothek vereinigt wurden. Bis zur Wiedervereinigung konnten die Bibliothekare der beiden Einrichtungen nicht miteinander kommunizieren und auch die Kataloge wurden separat geführt. Die Möbel im großen, 2013 neu eröffneten Lesesaal am Standort Unter den Linden sind aus Kirschholz gefertigt, was gut zu dem leuchtend orangefarbenen Teppich passt und den gewaltigen, sich über drei Etagen erstreckenden Räumlichkeiten eine stilvolle und angenehme Atmosphäre verleiht. Besonders eindrucksvoll ist die gepflegte Studienumgebung, die sich den Benutzern bietet – liebevoll eingerichtet bis hin zu Details wie den Metallfächern an den Lesetischen im Flur des dritten Stockes, in denen man seine Bücher aufbewahren kann. Auch im digitalen Zeitalter, in dem man sich mit Leichtigkeit viele Informationen direkt ins Wohnzimmer holen kann, scheint eine Bibliothek mit so wunderschöner Einrichtung und Räumen, welche die Vorstellungskraft stimulieren, noch eine Anziehungskraft auf Menschen entwickeln zu können.
Universitätsbibliotheken – nicht nur für Studenten
Auch die Bibliothek der Humboldt-Universität öffnet ihre Tore den Bewohnern Berlins. Die 2009 in einem neuen Gebäude eröffnete Zentralbibliothek trägt den Namen der Autoren jener Märchen, die wohl jedermann als Kind gelesen hat: den Gebrüdern Grimm. Das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum steht der Berühmtheit seiner Namenspaten an Popularität kaum nach – täglich suchen es im Durchschnitt etwa 7.000 Nutzer auf. Für einen festgelegten Betrag kann man auch als Gasthörer Universitätsvorlesungen besuchen, und dank Kinderbetreuung ist auch Eltern ein Bibliotheksbesuch möglich. Der Bibliotheksbesuch ist nicht zuletzt deshalb ganz besonders bequem, weil sich die Bibliothek direkt neben der U-Bahnlinie befindet. Im Grimm-Zentrum wurde mir auf eindrückliche Weise bewusst, dass auch der Standort einer Bibliothek von großer Bedeutung ist. Angesichts des ständigen Mangels an freien Arbeitsplätzen drängt sich allerdings die Frage auf, ob die Öffnung einer Studieneinrichtung auch für Nicht-Studierende und sogar Kinder nicht ein wenig zu viel des Guten ist.Die Universitätsbibliothek Frankfurt am Main betreut nicht nur eine von Linguisten entwickelte Bibliographie der Sprachwissenschaften, sondern auch das „Portal für Sprachwissenschaft“ – ein Beispiel für die Quintessenz der Digital Humanities. Hier wird deutlich, dass sich der Fachbereich der Sprach- und Textwissenschaften als Grundlage der geisteswissenschaftlichen Forschung etabliert, sowohl in Kooperation mit anderen deutschsprachigen Ländern als auch in der Beschäftigung mit anderen europäischen Sprachen. Das deutsche „Portal für Sprachwissenschaft” gibt noch einmal Anlass zur Reflektion darüber, wie im Zeitalter der Globalisierung und des Internets die Integration neuer technischer Mittel dazu beitragen kann, auch die koreanische Schrift Hangeul in all ihren Aspekten neu zu beleuchten.
Digitalisierung in deutschen Bibliotheken
Die Deutsche Digitale Bibliothek ist ein Online-Portal, das seit 2013 die digitalen Inhalte des kulturellen und naturwissenschaftlichen Erbes in Deutschland miteinander verbindet und an einem Ort kostenfrei zur Verfügung stellt. An der DDB nehmen mehr als 2.300 Einrichtungen wie Bibliotheken, Archive und Museen teil. Nur die Beschränkung des Services auf die deutsche Sprache steht der weltweiten Nutzung noch im Wege. In letzter Zeit wurde damit begonnen, die Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen die von kulturellen Einrichtungen verwalteten Sammlungen in Daten umgewandelt und dann der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden können. Im Zuge dessen wurden zum Beispiel kürzlich bei einem Hackathon unter dem Namen „Coding DaVinci“ in Berlin die Exponate von acht Museen der Öffentlichkeit in Form von Spielen und ähnlichem zugänglich gemacht. In Korea begann die National Digital Library früh damit, die verschiedenen digitalen Bibliotheken zu vernetzen, aber die DDB kann hier als „Kreativmodell“ dennoch sicher noch Vorbild sein.Ein weiteres interessantes Beispiel ist die App „Zeitfenster“ des Archivs Bürgerbewegung Leipzig und der Universität Leipzig. Unter Verwendung von Fotos, welche die Aktivisten der Bürgerbewegung in der DDR zur Verfügung gestellt haben, und anderen Zeitdokumenten ermöglicht diese App, historische Gebäude in der Leipziger Innenstadt mit dem Smartphone zu erfassen und dann auf dem Bildschirm des Handys oder Tablets eine dazu passende historische Szene angezeigt zu bekommen. Es ist geplant, diese neue Form der Stadtführung für Touristen anzubieten. Dieses Beispiel zeigt, dass die Verbindung von Bibliotheksmaterial mit IT-Technik zu ganz neuen Anwendungsmöglichkeiten führen kann, und stellt insofern auch eine mögliche Zukunft der Bibliothek dar.