Die politischen und wirtschaftlichen Umbrüche in Lettland nach 1991 hatten einen großen Einfluss auf die urbane Beschaffenheit Rigas. Nach der Unabhängigkeit wurde die Hauptstadt zur schrumpfenden Stadt. Die Bilanz der Zeit zwischen 1991 und 2013 ist ein Verlust von ungefähr 200.000 Einwohnern.
Im Zuge der Entstaatlichung und Privatisierung auch im Immobiliensektor wurden alte Industrieanlagen und Arbeiterunterkünfte aufgegeben. Zurück blieb das Problem der vielen Brachflächen, von den Einwohnern Rigas als „Slums“ bezeichnet. Die größte Herausforderung stellen dabei die Holzhäuser dar – der verletzlichste Teil des baulichen Erbes –, die aufgrund mangelnden „modernen“ Komforts im Laufe der letzten Jahre ebenfalls verlassen wurden.
Aktuell existieren im Hinblick auf Rigas Bausubstanz drei zentrale Interessengruppen: der Staat, Eigentümer fast ausschließlich von Verwaltungsgebäuden, die Stadt, die die Strategie verfolgt Häuser zu privatisieren, sowie die Privatbesitzer, aktuell die wohl einflussreichste Partei auf dem Immobilienmarkt.
Fünf der im Folgenden vorgestellten Initiativen, Zwischen- und Umnutzungsprojekte – KKC, Totaldobźe, kim?, RIXC und Tabakas Fabrika – kamen auf Einladung des Goethe-Instituts im Rahmen des Projekts „Empty Spaces“ 2013 zusammen, um Chancen und Zukunftsaussichten des Leerstands in Riga zu diskutieren. Als eine zentrale Schlussfolgerung aus den Diskussionen lässt sich festhalten, dass das städtisches Engagement unter rechtlichen Einschränkungen leidet (so zum Beispiel das Verbot in Privateigentum zu investieren), während die aktivste Interessengemeinschaft aus dem Privatsektor erwächst, besonders in Form kleiner Unternehmen.
Ķīpsala
Ķīpsala, LV-1048 Riga
56.956431, 24.081023
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Die Uferstraße auf Ķīpsala
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Holzhaus, Ķīpsala
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Renoviertes Holzhaus auf Ķīpsala
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Unrenoviertes Haus auf Ķīpsala
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Ursprünglicher Straßenzug auf Ķīpsala
Eine Erfolgsgeschichte urbaner Erneuerung in Riga ist Ķīpsala, die Insel inmitten der Daugava in Riga. Einflussreichster Akteur hier ist der ehemalige Premierminister Māris Gailis. Im vergangenen Jahrzehnt bekam der älteste Teil der Insel allerdings auch die negativen Nebenwirkungen der Gentrifizierung zu spüren; die gesellschaftliche Zusammensetzung der Bewohner hat sich im Laufe der Zeit komplett gewandelt. Einige Gebäude wurden originalgetreu restauriert, andere durch moderne Anbauten ergänzt, wieder andere wurden im Zentrum Rigas ab- und hier wieder aufgebaut.
Kalnciema kvartāls
Kalnciema iela 35, LV-1046 Riga
56.943476, 24.06671
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Foto: Didzis Grodzs © Kalnciema kvartāls
Blick auf das Kalnciema kvartāls
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Foto: Didzis Grodzs © Kalnciema kvartāls
Abendveranstaltung im Kalnciema kvartāls
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Foto: Didzis Grodzs © Kalnciema kvartāls
Konzert auf der Freilichtbühne des Quartiers
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Foto: Didzis Grodzs © Kalnciema kvartāls
Die renovierten Holzhäuser im Winter
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Foto: Didzis Grodzs © Kalnciema kvartāls
Restaurant Māja
Kalnciema ist ein Quartier Rigas, dessen Erneuerung auf das private Engagement der Firma
BC grupa zurückgeht. Sie gab den Anstoß verschiedene vernachlässigte Holzhäuser staatlichen Eigentums zu renovieren. Die Initiative wurde 2006 zur Zeit des NATO-Gipfels in Riga staatlich finanziert, als die Regierung die Notwendigkeit sah die Strecke zwischen Flughafen und Innenstadt zu verschönern. Heute finden in dem renovierten Quartier kulturelle Aktivitäten und öffentliche Veranstaltungen statt.
Mūrnieku iela
Mūrnieku iela, LV-1009 Riga
56.953529, 24.147112
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Blick in die Mūrnieku iela
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Hausdetail, Mūrnieku iela
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Holzhaus am Eingang der Mūrnieku iela
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Koka ēka Mūrnieku ielā
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Das renovierte Holzhaus Mūrnieku iela 5
Von der Stadtverwaltung finanziert wurde ein Renovierungsprojekt rund um die
Mūrnieku Straße, die auch weiterhin Teil des umgebenden Arbeiterviertels und sowohl architektonisch als auch in ihrer Einwohnerstruktur authentisch geblieben ist. Hier haben sich sowohl die Romantik des vergangenen Industriezeitalters erhalten, als auch gewisse Probleme mit Prostitution und Drogenhandel. Die insgesamt positive Atmosphäre der Gegend kann allerdings durchaus auf die Präsenz der rekonstruierten Gebäude in einigen Hinterhöfen zurückgeführt werden.
Auf gemeinsames Bemühen der Regierung und Stadtverwaltung hin wurde mit Mitteln des Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) das Renovierungszentrums „Koka Riga“ (Hölzernes Riga) eingerichtet. Das Zentrum versteht sich als Plattform für den Austausch zwischen Architekten, Restauratoren, Denkmalschützern, Bauherren und Entwicklern. Zukünftig soll die städtische Institution auch als Interessengruppe agieren, die durch Vorträge, Veranstaltungen und Veröffentlichungen wichtige Belange rund um das Thema einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht.
Kaņepes Kultūras centrs
Skolas iela 15, LV-1010 Riga
56.958174, 24.118552
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Foto: © Kaņepes Kultūras centrs
Das Gebäude des Kanepes Kulturzentrum vor der Umnutzung
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Foto: © Kaņepes Kultūras centrs
Der hauseigene Biergarten
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Foto: Filips Smits photography - filipss.lv
Konzert der Gruppe „Toys in the Well“ auf der Bühne im ersten Stock des Hauses
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Foto: © Kaņepes Kultūras centrs
Veranstaltung im Hof des Kanepes Kulturzentrum
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Foto: © Kaņepes Kultūras centrs
Workshop im Biergarten
In den letzten Jahren ist in Riga insgesamt ein Trend hin zu Basis-Initiativen zu beobachten, ein prominentes Beispiel dieser Entwicklung ist das
Kanepes Kultur Zentrum (KKC). Das KKC ist in einem Holzhaus aus dem 19. Jahrhundert in einer ruhigen Seitenstraße Rigas untergebracht. Die NGO, unter der Leitung von Davis Kanepe, konnte das ehemals baufällige Haus zu günstigen Konditionen mieten. Heute zieht das KKC eine ganz eigene Zielgruppe von Leuten in ihren 20ern und 30ern an. Das Zentrum wurde privat gegründet, wird unabhängig betrieben und bietet ein umfassendes Veranstaltungsprogramm sowie einen anspruchsvollen Kinoklub.
Totaldobže
Balasta dambis 3, LV-1048 Riga
56.948427, 24.086537
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Foto: © Totaldobže
Der Eingang des Totaldobže im VEF
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Foto: © Totaldobže
Die Dachterrasse des ehemaligen Totaldobže
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Foto: © Totaldobže
Konzert im Veranstaltungssaal
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Foto: © Totaldobže
Aufräumaktion in der neuen Zwischenunterkunft des Totaldobže im ehemaligen Pressehaus
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Foto: © Totaldobže
Die neuen Räumlichkeiten im ehemaligen Pressehaus
Die von Künstlerinnen und Künstlern geführte Initiative
Totaldobźe, ins Leben gerufen von Kaspars Lielgalvis, betreibt aktuell mehrere Künstlerstudios, ein Café und Veranstaltungsräumlichkeiten auf dem Gelände einer ehemaligen Fabrik (VEF) am Rande der Rigaer Innenstadt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion verwandelte sich die frühere staatliche Fabrik für Elektrotechnik, vor dem Ersten Weltkrieg als russischer Zweig der AEG gegründet, in ein chaotisches und heruntergekommenes Areal. Die jüngste Wirtschaftskrise sowie die komplizierten Eigentumsverhältnisse standen den Entwicklungsplänen des Eigentümers im Weg. Diese Situation führte zu sehr günstigen Mietpreisen, mitunter so gering wie ein Euro im Monat. Da das Gebäude bislang nicht beheizt wird, müssen die Veranstaltungsflächen jedes Jahr zwischen November und März geschlossen bleiben.
[Anmerkung der Redaktion: Seit dem Frühjahr 2014 hat das
Totaldobźe aufgrund einer neuen Mietsituation im VEF neue Räumlichkeiten links der Daugava bezogen im ehemaligen Pressehaus, das seit längerer Zeit leer steht. Für den Veranstaltungsbetrieb wurden einige Hallen von den Künstlerinnen, Künstlern und Freiwilligen hergerichtet. Doch auch diese Unterkunft ist eher eine Sommerbleibe als eine Dauerlösung; der Mietvertrag läuft nur bis September 2014.]
Speicherstadt Spīķeri
Maskavas iela 6, LV-1050 Riga
56.942622, 24.115162
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Foto: © Spīķeri
Die Speicherstadt Spīķeri
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Foto: © Spīķeri
Unterführung zu Spīķeri vom neuerschlossenen Daugava-Ufer aus
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Foto: © Spīķeri
Das Restaurant Darzs in der Speicherstadt
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Foto: © Spīķeri
Typisches Speicherhaus
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Foto: © Spīķeri
Flohmarkt auf dem Spīķeri-Gelände
Das Zentrum für zeitgenössische Kunst
kim? – der Name ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben der Frage “Was ist Kunst?” auf Lettisch – befindet sich in einem der Speicherhäuser des
Spīķeri Areals unweit der Rigaer Altstadt. Die leitende Kuratorin Zane Onckule würde allerdings lieber eine passende, weniger im Umbruch begriffene Umgebung ausfindig machen, die nicht die Mühe erfordert alle heruntergekommenen Gebäude zu renovieren. Gleichzeitig orientiert sich die Politik der Eigentümer der alten Speicherstadt wenig an nicht-kommerziellen Mietern. Die zukünftige Entwicklung könnte also eher im Zeichen kommerzieller Initiativen stehen, als Raum für die Ideen der Kulturszene zu bieten.
RIXC, ein Zusammenschluss von Akteuren im Bereich elektronischer Kunst und Medienkunst, sitzen ebenfalls in einem der Speicherhäuser. Räumlichkeiten für öffentliche Veranstaltungen müssen sie jedoch jedes Mal aufs Neue akquirieren. RIXC hoffen darauf, dass ein weiteres Speicherhaus in städtischem Besitz zukünftig für ihre Aktivitäten zur Verfügung steht.
Tabakas Fabrika
Miera iela 58, LV-1013 Riga
56.966959, 24.134624
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Die ehemalige Tabakfabrik Tabakas Fabrika
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
In der Tabakas Fabrika
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Temporäre Ausstellung „Riga Self/Portraits“ in einer der ehemaligen Fabrikhallen
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Foto: Anna Maria Strauß © Goethe-Institut
Treppenhausdetail im dritten Stock (lettischer vierter Stock)
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Illustration ©: Tabakas Fabrika
Umnutzungsfantasie der Initiative „Tabakas Fabrika“
Die ehemalige Tabakfabrik
Tabakas Fabrika, eine Immobilie in staatlichem Besitz in einer aufstrebenden Gegend, steht seit über zehn Jahren leer. Im Jahr 2011 wurde ein öffentlicher Wettbewerb für kreativwirtschaftliche Geschäftsideen zur Umnutzung der alten Fabrik ausgerufen. Das Gewinnerteam rund um Olegs Nikitins kann ein belastbares Konzept aufweisen, allerdings wurden die grundlegenden Entscheidungen, um eine echte Zukunftsperspektive für
Tabakas Fabrika zu schaffen, aufgrund mehrerer Wechsel der Verantwortlichen in den betreffenden Ministerien, bisher nicht gefällt. Im Jahr 2014 wird das Gebäude baulich für eine Zwischennutzung durch das Neue Rigaer Theater angepasst, das seine eigenen Räumlichkeiten im Stadtzentrum aufgrund von Renovierungsarbeiten für voraussichtlich 3-4 Jahre verlassen muss.