Minderheiten und Mehrsprachigkeit
Mehrsprachig, multikulturell und weltoffen

Auf der internationalen Minderheitenkonferenz stand die Mehrsprachigkeit im Mittelpunkt.
Auf der internationalen Minderheitenkonferenz stand die Mehrsprachigkeit im Mittelpunkt. | Foto (Ausschnitt): © Kerekes Zoltán - Goethe-Institut Budapest

Für Minderheiten kann Mehrsprachigkeit und multikulturelle Identität ressourcenreich und zukunftsweisend sein. Welchen Nutzen junge Erwachsene der deutschen Minderheiten in ihrer Mehrsprachigkeit sehen, ist in Videos des Projekts Schaufenster Enkelgeneration veranschaulicht.
 

Dem Thema Mehrsprachigkeit widmete sich die zweitägige internationale Minderheitenkonferenz Deutsch als Minderheitensprache im Kontext der europäischen Mehrsprachigkeit – Perspektiven und Herausforderungen im Juli 2017. Das Goethe-Institut Budapest veranstaltete diese Tagung in Kooperation mit der Andrássy Universität Budapest und der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen. Dabei lag der Fokus auf den Chancen und Herausforderungen der Sprachförderung der deutschen Minderheit in den Bereichen Bildung, Kultur und Jugendarbeit. Neben Deutschlehrkräften und Fortbildenden nahmen auch Entscheidungstragende und Jugendverbandsvertretende der deutschen Minderheiten aus 16 Ländern Mittel- und Osteuropas sowie Zentralasiens teil.

Wichtige Ergebnisse waren, dass Schulen in Minderheitenregionen sich in Zukunft besser vernetzen, um sowohl systematischer als auch synergetischer gefördert zu werden, und verstärkt bilingualen Unterricht anbieten. Als Förderschwerpunkte legten die Teilnehmenden das frühe Deutschlernen in Kindergärten und Grundschulen, die Durchführung einer überregionalen Lehrerfortbildung für Deutsch als Minderheitensprache sowie den Ausbau des Fachunterrichts auf Deutsch fest. Im Hochschulbereich erachten sie die Veröffentlichung von Curricula, den Austausch und Einsatz von Lehrmaterialien sowie Förderprogramme für Studenten als besonders wichtig.

Heutige Situation –  Schaufenster Enkelgeneration


Wie Jugendliche und junge Erwachsene der deutschen Minderheiten mit ihrer Mehrsprachigkeit umgehen und welche identitätsstiftende Rolle die deutsche Sprache heute noch für sie besitzt, kann man in Videoportraits des Projekts Schaufenster Enkelgeneration erfahren. Darin gehen Vertreterinnen und Vertreter der „Enkelgeneration“ der deutschen Minderheiten aus neun verschiedenen Ländern unter anderem folgenden Fragen nach: Welchen Raum nimmt die Verwendung der deutschen Sprache im heutigen Alltag ein? Wie sehen junge Menschen, deren Großeltern sich selbst den deutschsprachigen Minderheiten zurechnen, die Bedeutung der deutschen Sprache für ihr eigenes Leben und ihre Identität? Wird die eigene Mehrsprachigkeit als wertvolles Gut und als nützlich im heutigen Europa bewertet?

Die Portraits zeigen die ganze Bandbreite von Gefühlen: Vom selbstbewussten Bekenntnis zu Schlesien oder dem Gebrauch des Siebenbürger-Sächsisch als „Familiensprache“ über eine weltoffene, grenzüberschreitende bikulturelle und bilinguale Identität bis hin zur Erkenntnis, dass die eigenen kulturellen und sprachlichen Wurzeln nur rudimentär erinnert werden. Den jungen Erwachsenen liefern ihre kulturellen und sprachlichen Wurzeln zwar einen biografischen Rahmen, sie sind jedoch auch in einem mehrsprachigen Europa angekommen und sich ihres eigenen mehrsprachigen Erbes bewusst. 

Geschichte der deutschen Minderheiten

Dem Ruf der Herrschenden folgend, siedelten sich bereits ab dem 12. Jahrhundert Bauern, Handwerker und Kaufleute deutscher Herkunft im östlichen und südöstlichen Mitteleuropa sowie im Russischen Reich an. Dort wirkten sie unter anderem durch Dorf- und Stadtgründungen am Aufbau ihrer neuen Heimat mit und schufen eine eigene Kultur. Bis heute leben die Nachfahren dieser Menschen als deutsche Minderheit in Staaten Ostmittel- und Südosteuropas sowie Zentralasiens. Einige Beispiele zeigen, dass sie eine bewegte und bewegende Geschichte hinter sich haben:

Während bis zum deutschen Mauerfall 1989 circa 1,2 Millionen Deutsche vor allem im Norden Kasachstans lebten, sind es heute nur noch rund 200.000. 1940 wurden die Menschen auf Befehl Stalins aus den europäischen Teilen der damaligen UdSSR zwangsumgesiedelt. Der wachsende Nationalismus und die schwierige wirtschaftliche Situation nach der Wende veranlassten neben den Kasachstandeutschen auch die in Kirgistan lebenden Deutschen, ihre Länder wieder zu verlassen.

Polens Grenzen wurden im Laufe seiner Geschichte oft willkürlich verändert. Bereits im Mittelalter hatten sich, insbesondere in Schlesien, Pommern, Brandenburg und Preußen, Deutsche niedergelassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der sogenannten Westverschiebung, wurden die Deutschen vertrieben oder siedelten ab Mitte der 1950-er Jahre in die BRD über.

Förderung deutscher Minderheiten

In Zukunft wird ein Fokus auf das Deutschlernen in Kindergärten und Grundschulen gelegt. In Zukunft wird ein Fokus auf das Deutschlernen in Kindergärten und Grundschulen gelegt. | Foto (Ausschnitt): © Jörg Müller - Goethe-Institut Die Goethe-Institute vor Ort fördern seit 1998 im Auftrag der Bundesregierung die deutschen Minderheiten in Russland, Tschechien, Polen, Kasachstan, Slowenien, Ungarn, Rumänien, Georgien, der Ukraine, der Slowakei und der Republik Moldau vor allem durch Sprachkurse, Fortbildungen für Deutschlehrende und Kulturprogramme, zum Beispiel eine Lesereise der Kinderbuchautorin Annette Weber oder ein Workshop zur Produktion von Unterrichtsmaterialien zum Thema Identität. Dabei stehen die Vermittlung landeskundlichen Wissens und eines aktuellen Deutschlandbilds im Mittelpunkt. Außerdem unterstützen Sprachassistentinnen und -assistenten jedes Jahr für neun Monate die einheimischen Lehrerinnen und Lehrer beim Deutschunterricht an Partnereinrichtungen in Russland, Kasachstan, Kirgistan und der Ukraine. Darüber hinaus führen sie  unterschiedliche sprachliche und landeskundliche Projekte an verschiedenen Orten in den Siedlungsgebieten deutscher Minderheiten durch, um ein lebendiges Deutschlandbild zu vermitteln und das Interesse der Kinder und Jugendlichen auch außerhalb der Schule für Deutschland und seine Kultur zu wecken.