Das Huis Sonneveld in Rotterdam
Meisterwerk der Klassischen Moderne

Zwölf Telefone, ein Lastenaufzug und ein Müllschlucker – dies waren allesamt höchst ungewöhnliche Elemente in einem Wohnhaus der 1930er Jahre. Wie sie ihren Weg ins Huis Sonneveld fanden, erfahren Sie hier.
Zwölf Telefone verband die Bewohner der Sonneveld-Villa untereinander. Dazu ein Telefon für die Außenkommunikation, das allein den Eltern vorbehalten war. Die beiden Töchter des Hauses verfügten über ein Musikzimmer mit einer eingebauten Couch, die gleichzeitig als Bücherregal, Schrank und Soundsystem diente. Eine Massage-Dusche mit zehn Duschköpfen gehörte ebenfalls zu den technischen Raffinessen. Daneben charakterisierten helle, lichtdurchflutete Räume mit breiten Fensterfronten, mehrere Balkone und eine Dachterrasse das Haus. Innen war es zweckmäßig ausgestattet mit Einbauschränken und deckenhohen Bücherborden, die Pate gestanden haben könnten für das spätere „Billy“-Regal. Die Zimmer des Personals unterschieden sich kaum in Komfort und Bequemlichkeit von denen seiner Dienstherren. Ein Lastenaufzug war eine weitere Novität, ebenso der übergroße Kühlschrank, die elektrische Kaffeemühle, der Müllschlucker für Gemüseabfälle und die Durchreiche zum Speisezimmer.
Allesamt praktische Ideen, die Albertus Sonneveld von seinen Geschäftsreisen aus Amerika mitbrachte, um sie in sein neues Heim in Rotterdam einfließen zu lassen. Das war Anfang der 1930er Jahre und für die damalige Zeit höchst ungewöhnlich. Der Architekt Leendert van der Vlugt (Brinkman & Van der Vlugt) wurde beauftragt, diese Wünsche umzusetzen. Auch die Farb- und Stoffgestaltung von pastellgelb, schokobraun bis mintgrün wurde in Absprache mit der Familie vorgenommen. Als Grundlage diente das Musterbuch des De Stijl-Künstlers Bart van der Leck. Brinkman & Van der Vlugt entwarfen ein Total-Konzept, nach dem Architektur und Interieur minutiös aufeinander abgestimmt waren. Herauskam „Huis Sonneveld“ als eine von mehreren weißen Villen, die den Rotterdamer Museumpark säumen und nach ähnlichen Prinzipien gestaltet sind wie die Meisterhäuser in Dessau. Deren geometrische Formen und Flachdächer waren Vorbild für modernes Wohnen. Und sind es heute noch.
Für den Innenausbau war W. H. Gispen zuständig, der sich als innovativer Architekt und Industriedesigner sowohl der niederländischen De Stijl-Bewegung als auch dem Bauhaus verschrieb. Schon mit der Ausstattung der Van-Nelle-Fabrik hatte sich der Verfechter des „schnörkellosen Bauens“ einen Namen gemacht. Fast alle Möbel und Lampen für Haus Sonneveld waren dem Gispen-Katalog entnommen, der ein Sortiment an bereits vorgefertigten Möbeln enthielt. Die organgefarbenen Chrom-Sessel für die Bibliothek allerdings wurden speziell nach den Bedürfnissen der Familie entworfen. Möbel aus Stahl gab es zwar schon in Krankenhäusern und Büroräumen, in Privatwohnungen jedoch waren sie bis dato fehl am Platz. Mit Albertus Sonneveld kam die Trendwende. Als einer der Chefs der Van Nelle-Fabrik, die ihres Zeichens ein Meilenstein avantgardistischer Architektur war, führte er das „Neue Bauen“ auch im privaten Umfeld ein.
Heute ist Huis Sonneveld, das nach umfänglicher Sanierung Ende der 90er Jahre in den Zustand seiner Übergabe von 1933 gebracht wurde, eines der besterhaltenen Wohnhäuser in diesem Stil und ein großartiges Zeugnis des holländischen Funktionalismus. Schlicht und funktional sollte es sein, entsprechend der Devise „Form folgt Funktion“, die auch vom Bauhaus propagiert wurde. Einige der Möbelstücke aus dem Nachlass der Familie haben denn auch einen direkten Bezug zum Bauhaus. Der Gartenstuhl etwa, dessen Stahlrohrgestell mit Korbflechten zusammengehalten wurde, entstammte der Feder Erich Dieckmanns, einem der bedeutendsten Möbeldesigner am Bauhaus. Wie Jungmeister Marcel Breuer experimentierte Dieckmann mit Stahlrohren, war aber vor allem für seine standardisierten Holzmöbel bekannt. Ein kleiner Schreibtisch von Hausherrin Gesine Sonneveld, der von Bruno Weil für die berühmte deutsche Möbelmanufaktur Thonet gestaltet wurde, ziert das Wohnzimmer des Hauses. In seinen Entwürfen war Weil von den ultramodernen Stahlmöbeln inspiriert, die der Ungar Breuer für Thonet entworfen hatte. Seit 1929 arbeitete der Bauhäusler für das deutsche Unternehmen, nachdem Thonet die von ihm entworfenen Standard-Möbel in Produktion genommen hatte. Breuers größter Mitstreiter am Bauhaus in Dessau war Mart Stam, auf dessen Erfindung der „hinterbeinlose Stahlrohr-Stuhl“ zurückgeht, der später wiederum von Mies van der Rohe zum Freischwinger weiterentwickelt wurde. Als Gastdozent unterrichtete der Niederländer im Wintersemester 1928/1929 das Fach Städtebau. Neben Stam lehrten und lernten zehn weitere Niederländer in diesem „Labor der Moderne“. Nach der Schließung des Bauhauses 1933 kehrten sie gemeinsam mit Exil Suchenden in die Niederlande zurück, um in selbstständigen Architektur- und Desginbüros oder aber wie Stam in der Lehre tätig zu sein. Auch wenn der Einfluss durch das Bauhaus mit der Zeit geringer wurde, war er immer noch bei bestimmten Entwürfen und Lehrmethoden sichtbar. Bis 1969 wurden noch Möbel aus der 2. Schülergeneration verkauft, zum Beispiel im „De Bijenkorf“. Die Neuauflage (1956) der Rotterdamer Filiale dieses mondänen Kaufhauses übrigens wurde von dem einstigen Bauhaus-Lehrer Marcel Breuer gebaut.
Mehr Bilder zu Huis Sonneveld, das unter der Ägide des Neuen Instituts („Het Nieuwe Instituut“) betrieben wird, gibt es unter https://www.huissonneveld.nl/. Auch eine Kombitour zu den „Perlen des Neuen Bauens“ (Huis Sonneveld, Chabot Museum sowie Führung durch die Van Nelle Fabrik), ist jedes Wochenende bis zum 1. September zu buchen. Ein Pendelbus zwischen Museumspark und Van Nelle Fabrik ist dabei inkludiert. Preis: 20,- Euro. Mehr dazu über den Ticketshop des Chabot Museums. Aktuell ist noch bis zum 15. September 2019 im Neuen Institut (Het Nieuwe Instituut) die Ausstellung „Neuhaus“ zu sehen über Parallelen zwischen der Bauhaus-Periode mit der heutigen Zeit.