Film Die Mörder sind unter uns

Die Mörder sind unter uns © DEFA-Stiftung

Mi, 11.04.2018

20:00 Uhr

Goethe-Institut Amsterdam

East German Cinema

(DE 1946)
Länge: 85 Min.
Regie: Wolfgang Staudte
Sprache Film: Deutsch mit engl. UT
Sprache Einführung: Englisch

Berlin im Jahre 1945, nach der Kapitulation: Die Stadt liegt in Trümmern. Susanne Wallner (Hildegard Knef), die in einem Konzentrationslager gefangen war, kehrt in ihre alte Wohnung zurück. Dort wohnt inzwischen der Chirurg Dr. Mertens (Wilhelm Borchert), der mit einem tiefen Schuldkomplex aus dem Krieg heimgekommen ist. In Polen war Mertens Zeuge einer Massenhinrichtung und hatte vergeblich, allerdings auch nur zaghaft, bei seinem Hauptmann zu intervenieren versucht. Jetzt ist der Mann psychisch zerstört, ein arbeitsloser Alkoholiker.
Notgedrungen teilen sich Susanne und Mertens die heruntergekommene Wohnung. Susanne findet einen Brief, den Mertens einer Frau Brückner (Erna Sellmer) hätte überbringen sollen. Der Brief enthält die Nachricht vom Tod ihres Mannes an der Front, doch Ferdinand Brückner (Arno Paulsen) hat den Krieg überlebt und ist dabei, in Berlin eine Fabrik aufzubauen. Mertens reagiert auf diese Neuigkeit schockiert: Brückner war jener Hauptmann, der 1942 in Polen die Hinrichtung von über hundert Zivilisten befohlen hatte. Mertens sucht Brückner auf, der reagiert mit jovialer Selbstgefälligkeit und gibt sich äußerst lebenslustig. Mertens will den Kriegsverbrecher erschießen. Beim ersten Versuch taucht eine Frau auf, die einen Arzt sucht; ihr Kind ist an Diphterie erkrankt. Mertens, der wenige Tage vorher beim Versuch, in seinen Beruf zurückzukehren, an seiner psychischen Verfassung gescheitert war, rettet das Kind in einer Notoperation – die ihn gleichzeitig vor dem Mord an Brückner bewahrt.
Mertens und Susanne sind sich näher gekommen; aber immer wieder holt die Vergangenheit den Mann ein. Am ersten Nachkriegs-Weihnachtsabend verlässt Mertens wieder einmal die Wohnung, wieder will er Brückner töten. Susanne stellt sich in die Schusslinie und hält ihn zurück abzudrücken: "Wir haben nicht das Recht zu richten". Mertens antwortet ihr: "Nein, aber wir haben die Pflicht Anklage zu erheben und Sühne zu fordern im Auftrag von Millionen unschuldig ermordeter Menschen." Gemeinsam geht das Paar ab. Brückner, hinter den Gitterstäben eines Fabrikfensters fotografiert, beteuert jammernd und zeternd seine Unschuld: er hat gar nicht begriffen, was er Unrechtes getan haben soll.

Die Sequenz erinnert im Arrangement an eine vergleichbare Passage des Films Dreyfuß (Regie: Richard Oswald, 1930), der vom gleichen Kameramann (Friedl Behn-Grund) fotografiert worden war. Brückners Schreie, sein wie unter Wiederholungszwang repetiertes "Ich bin doch unschuldig" wird von Staudte mit einem Feld von Grabkreuzen und mit Kriegskrüppeln in Doppelbelichtung über der Szene kommentiert. Man kann auch einen Zusammenhang mit dem Finale des amerikanischen Antikriegsfilms All Quiet on the Western Front (Regie: Lewis Milestone, 1930) assoziieren. Dieser Film gehörte zu den filmischen Grunderlebnissen Staudtes. Staudte hatte damals die Hauptrolle, den Bäumer, für die deutsche Fassung übersprochen und die Attacken der Nazis gegen den Film erlebt. Es ist ein interessanter publizistischer Zufall, dass Filmrezensionen zu Die Mörder sind unter uns und Artikel oder Kommentare zur Vollstreckung der Todesurteile im Nürnberger Prozess in derselben Ausgabe mancher Zeitungen erschienen. Exemplarisch hier auch ein Auszug aus der Kritik zu Staudtes Film in der Berliner Täglichen Rundschau vom 19.10.1946: "Die Mörder sind unter uns hieß der Film, mit dem noch einmal, am Vorabend der Vollstreckung des Nürnberg-Urteils, die deutsche Kunst und das deutsche Volk nachdrücklich Abrechnung mit den Verbrechen des Krieges und der Vorkriegszeit verlangen. Nicht dass der Film inhaltlich in irgendeiner Weise auf den Prozess Bezug nahm, aber jener Hauptmann Brückner (…) ist Fleisch vom Fleisch und Geist vom Geist jener Angeklagten, die auch nichts wissen wollten von der Schuld ihrer Taten und nur vollbracht zu haben behaupteten, was ihre Pflicht gewesen sei."

Die Mörder sind unter uns war der erste Film, der nach dem Krieg in Deutschland gedreht wurde. Wolfgang Staudte, der eine englische Lizenz für seine Filmproduktion besaß, hatte vergeblich die Zustimmung der westlichen Alliierten für sein Exposé zu Die Mörder sind unter uns erbeten; schließlich produzierte die in der sowjetischen Besatzungszone angesiedelte DEFA (Deutsche Film AG, damals gerade in Gründung) den Film. In der Urfassung des Drehbuchs sollte Mertens den Kriegsverbrecher Brückner tatsächlich erschießen; auf Wunsch des sowjetischen Kulturoffiziers wurde dieses Finale jedoch geändert – man wollte dem Verdacht, es könnte Selbstjustiz legitimiert oder gar propagiert werden, um jeden Preis aus dem Weg gehen.
Vermutlich hat Fritz Bauer den Film Staudtes nicht gesehen, doch beinhaltet dessen legendärer letzter Satz genau den Impetus, der Fritz Bauers weitere juristische Laufbahn, wie auch sein Denken prägte. Schon im Januar 1947 spielte er auf den Film an, als er einen seiner Zeitungsartikel für die Deutschen Nachrichten mit der Überschrift "Mörder unter uns" versah. Und ein weiteres Mal, 1958, betitelte Fritz Bauer einen seiner Aufsätze mit "Mörder unter uns" als er sich in der von Martin Niemöller und Gustav Heinemann herausgegebenen Zeitschrift Stimme der Gemeinde über die Aufgaben und Schwierigkeiten der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in Ludwigsburg äußerte.
Die entscheidende Leistung Staudtes war damals, die jüngste Vergangenheit und deren Hineinwirken in die Alltäglichkeit des Nachkriegs überhaupt thematisch angegangen zu haben – in einer Zeit, in der viele andere Produktionen bereits mit der Verdrängung von Geschichte begannen. So wurde Die Mörder sind unter uns auch ein Film über höchst unterschiedliche Versuche verschiedener Menschen, sich in der Zerstörung zurechtzufinden oder sogar einzurichten. Das Pathos, das sich dabei gelegentlich einstellt, gehört zur Haltung derer, die das Grauen überlebt haben.
Stilistisch ist Die Mörder sind unter uns eine geglückte Mischung von expressionistischen Traditionen und einem genauen dokumentarischen Blick. Immer wieder führen die Wege der Figuren durch die endlosen Trümmerfelder der zerbombten einstigen Reichshauptstadt, der Film enthält eine Fülle authentischer Bilder der Zerstörung. Gleichzeitig aber ragen die Ruinen wie düstere expressionistische Bauten in den Himmel, von Licht und Schatten akzentuiert, als wären sie von einem Filmarchitekten der zwanziger Jahre entworfen worden. Immer wieder zeigt Staudte seine Figuren vor zerbrochenen Spiegeln und Glasscheiben, als hätte das Bild der Welt irreparable Sprünge bekommen; gleichzeitig sorgen, wie später in den Filmen von Fassbinder, die Rahmen von Spiegeln und Fenstern für eine starke visuelle Einengung der Figuren.
 

Mit einer Einführung des Filmexperten Jeffrey Babcock.

In Zusammenarbeit mit Jeffrey's Underground Cinemas.

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