Terézia Mora über Glücksmomente
Donnerstagsglück und andere Momente

Die Natur und Glücksmomente
Die Natur und Glücksmomente | © Creative Commons

Glücksmomente? Die habe ich jeden Tag, behauptete ich einem Freund gegenüber. Dann sind das gar keine echten Glücksmomente, sagte er. Wahrscheinlich hatte er den besonderen Moment im Sinn.

Wie zum Beispiel, wenn man nach 22 Jahren das erste Mal seinen Bruder trifft und es ist, als sähe man in einen Spiegel, und dazu steht man auch noch zwischen Weinbergen, in der ersten Frühlingssonne des Jahres (wir haben den Winter überlebt, jawohl!) und der beste Freund und der Liebste sind auch mit dabei. Das ist so ein Verweile-doch-Augenblick, ein triumphaler Moment des Einsseins.
(In Klammern: Den Freund habe ich später an Orbán verloren. So kann es gehen. Es ist nicht dümmer, sich über Politik zu zerstreiten, als es nicht zu tun. Ja, das ist das Gegenteil von Frieden, aber man (ich) kann eben nicht mit allen Dingen im Frieden sein. Was bleibt, ist natürlich ein Mangel und das Bedauern, dass es so ist. An den Momenten, in denen wir glücklich waren, ändert das nichts.)

An sehr viel mehr dieser überwältigenden unkaputtbaren Momente in meinem Leben kann ich mich gar nicht erinnern. Die halbe Stunde, nachdem mein erster Roman fertig war. Der erste Blick ins Gesicht meiner Tochter, gemischt mit Schrecken und Trauer; die Erkenntnis, dass so zu lieben bedeutet, nie mehr ohne Sehnsucht und nie mehr ohne Angst vor Verlust zu sein. Diese drei Momente strahlen so hell, dass die einfacher zählbaren irdischen „Erfolge“, die man so erringen kann, so schön sie auch sind (sehr schön sogar, Danke, mehr davon, und noch einmal Danke), nicht wirklich mithalten können. Beziehungsweise: sie sind nicht miteinander vergleichbar. Ich bin dankbar, dass ich von beiden einige in meinem Leben hatte – was auch notwendig ist, wie sonst sollte ein Mensch die überwältigende Flut an Dummheit und Bösartigkeit aushalten, die ihn täglich umtost?

„..und dein Herz macht einen Satz" 

Was mich zu den täglichen Glücksmomenten bringt, die ich dem liebenswürdigen Freund gegenüber von Anfang an zur Geltung bringen wollte. Mir scheint, dass von den großen Momenten es einfach zu wenige geben kann, damit sie ausreichend das Hässliche, das Gemeine, das Niederträchtige und das Unwägbare ausbalancieren können. Dafür sind die beliebigen Donnerstage da, an denen sich, tabellarisch zusammengefasst, folgendes ereignen kann (Glück tabellarisch? Ja, das geht. Listen machen ist nämlich auch Glück. Kaorimuscheln sammeln):
Dass es morgen ist und du Hand in Hand mit der Liebe deines Lebens gehst, und es sind Bäume da und Licht.
Dass du später deinen Platz in deinem Arbeitszimmer einnimmst, es ein Fenster gibt und es still ist, du Vögel zwitschern hörst – und das, obwohl du an einer großen Straßen wohnst.
Dass du später vor einem Antiquariat ein Buch mit Erzählungen „Frauen in Spanien“ (dtv, 1989) findest. Du schlägst es auf und siehst den Halbsatz: „... und schminke mich wie eine billige Nutte zum Frühstück.“ (Beatriz Pottecher: Die Rückkehr). Du gehst in den Laden, um die 3 Euro dafür zu bezahlen und der Laden ist so wie in den Filmen: eine Höhle über und über vollgestapelt mit Büchern, und dein Herz macht einen Satz, weil du dir genauso einen Ort, an dem man bleiben kann, ein zimmergroßes Universum vorstellst. „Sie haben aber einen schönen Laden“, sagst du zum Besitzer. „Ja, nicht wahr?“, sagt er. „Wenn Sie nach etwas suchen, ich finde es für sie.“ Und das wiederum erinnert dich an eine Erzählung, die ein anderer bester Freund einmal geschrieben hat über "Gottes Shop", bei dem man alles für einen geringen Preis bestellen kann, und der Protagonist, der richtiger Weise denkt, er habe außer dem moderaten Geldbetrag nichts weiter zu verlieren, bestellt etwas, das ein zentrales Problem, nicht nur für ihn, sondern für die ganze Menschheit zu lösen in der Lage wäre. Und dann geht es natürlich darum, was mit etwas, das du bei Gott erworben hast (das im Grunde ein Gottesgeschenk ist, etwas, das dir kein Mensch hätte verkaufen oder schenken können), hier unten auf der Erde geschieht.

Ab diesem Punkt kann man die Liste auch schließen, den diesen Tag kann nichts mehr kaputt machen, respektive: doch, aber zum Glück ging der Tag zu Ende, ohne, dass jemand oder etwas Gift in den klaren Brunnen gekippt hätte, aus dem ich trinke. Wenn ich die Liste des Tages analysiere fällt mir folgendes auf: der entscheidende, weil für den Rest des Tages ausreichende Moment war derjenige, da ich etwas gelesen habe bzw. mich an etwas erinnert habe, das andere geschrieben haben. Dass andere schreiben ist für mich oft genug: Glück.