Mobiles Kino
Stadt als Leinwand

Vorführung in Hamburg-Hammerbrook
Vorführung in Hamburg-Hammerbrook | Foto: © A Wall is a Screen

Kino braucht keinen Saal. In Großstädten wie Hamburg, Berlin oder Leipzig werden Filme an Fassaden oder auf Lastwagen projiziert. Die mobilen Vorführungen sind Teil einer urbanen Eventkultur und schaffen neue Perspektiven auf den öffentlichen Raum.

Der Neue Wall in Hamburg ist eine Meile der Luxusboutiquen und tagsüber ein belebter Ort des Konsums. „Wenn man hier abends einen Film über Drogensüchtige projiziert, die sich außerhalb von Beratungsstellen in dunklen Hinterhöfen Spritzen setzen, zeigt das eine komplett andere Facette der Stadt“, so Sven Schwarz. „Diese Gegensätze sind es, die wir spannend finden“. Schwarz ist Mitbegründer des Kollektivs A Wall is a Screen, das sich 2003 im Umfeld des Hamburger Kurzfilmfestivals zusammengefunden hat. Die heute sechsköpfige Gruppe begann, in der nachts menschenleeren Hamburger Innenstadt Kurzfilme von höchstens 15 Minuten Länge auf Fassaden zu projizieren. „Die Resonanz war sofort enorm“, beschreibt Schwarz. „Zu den ersten Vorführungen versammelten sich an die 500 Menschen“.

Wem gehört die Stadt?

A Wall is a Screen – eingetragen als gemeinnütziger Verein – hat unterdessen die 222. Vorführung gefeiert und in 27 Ländern gastiert. Das nichtkommerzielle Kulturprojekt hat sich zum Ziel gesetzt, „öffentlichen Raum umzunutzen“, so Schwarz. Und zugleich thematisiert es Fragen von Teilhabe. „Wir signalisieren den Menschen: Das ist eure Stadt“. Die Filme sollen dabei mit dem jeweiligen Ort korrespondieren. So hat die Gruppe beispielsweise die experimentelle Dokumentation On a Wednesday Night in Tokyo (2004) von Jan Verbeek – die sieben Minuten lang zeigt, wie japanische Pendler in einen überfüllten U-Bahn-Wagen gedrückt werden – schon mehrfach in U-Bahn-Stationen projiziert. Dabei überlagern sich Filmbild und reale Szenerie auf reizvolle Weise. Um ihr Programm flexibel anpassen zu können, reisen die Mitglieder von A Wall is a Screen zu Vorführungen im In- und Ausland mit einem Arsenal von rund 800 Kurzfilmen an.

Kino mit Guerilla-Charme

Mit ihrem Konzept der Stadtbelichtung waren die Hamburger Pioniere. Längst aber hat sich in deutschen Metropolen eine große Zahl verwandter Initiativen etabliert. In Berlin beispielsweise bespielt die Gruppe „Mobile Kino“, ein Zusammenschluss ehemaliger Filmvorführer und Kinobetreiber, mit digitalen Vorführungen den Stadtraum – wie das Areal rund um das Spreeufer. Die Termine werden im Vorfeld auf der Facebook-Seite bekanntgegeben. Auch der gelernte Kameramann Werner Kantor sucht sich für sein Nomadenkino bevorzugt Schauplätze mit Appeal für ein junges urbanes Publikum. Darunter der Club Kater Holzig oder die Platoon Kunsthalle am Prenzlauer Berg. Initiativen wie diese leben nicht zuletzt vom Charme des Guerilla-Kinos – einer Atmosphäre des Geheimnisvollen und Besonderen.

Zurück in die Stummfilmzeit

Die Vorführungen, die Tobias Rank und Gunthard Stephan unter dem Titel „Wanderkino – Laster der Nacht“ veranstalten, verweisen dagegen in mehrfacher Hinsicht auf die Frühzeit des Kinos. Zum einen zeigen sie auf einer an ihren Lastwagen gespannten Leinwand ausschließlich Stummfilme, musikalisch begleitet mit Geige und Klavier. Zum anderen stehen sie mit ihrem Unternehmen in der Tradition des Wanderkinos, das bereits ab Ende des 19. Jahrhunderts aufkam – noch bevor sich Kinos als feste Abspielstätten etablierten. Rank und Stephan gastieren jährlich in der Open-Air-Saison auch im Clara-Zetkin-Park ihrer Heimatstadt Leipzig – vor bis zu 400 Zuschauern. Vorführungen fanden aber auch schon auf Waldlichtungen oder Friedhöfen statt. Projiziert wird dabei auf 16mm – „wir wollen schließlich ein echtes Filmerlebnis bieten“, so Rank.

Das Soziale am Kino

Flexibles Flimmern nennt der Hamburger Holger Kraus die Reihe, mit der er seit 2006 zwei bis drei Mal im Monat vor allem außergewöhnliche Orte für mobiles Kino erschließt. Begonnen hat er mit einer Vorführung von Tomas Vinterbergs Dogma-Film Das Fest (1998) in der ehemaligen Hamburger Kallmorgen-Villa. Kraus, ein Cineast und gelernter Eventmanager, dem in seinem ehemaligen Beruf „die Sinnhaftigkeit fehlte“, baute in den verlassenen Räumlichkeiten der Architekten-Familie Kallmorgen den Schauplatz des Films nach. Das Publikum saß bei ihm – wie die Familie in Vinterbergs Missbrauchs-Drama – an einer langen Tafel. Kraus versteht sich auf die Dramaturgie von Veranstaltungen.

Der Impuls für Flexibles Flimmern entstand aber vornehmlich aus dem Wunsch nach einem Austausch in größerem Rahmen. „Das Soziale am Kino war der Funke“, so Kraus. Seine Vorführungen für zumeist um die 100 Zuschauer haben neben dem Eventcharakter immer auch einen politischen Anspruch. So zeigte er beispielsweise im Nachrichtenstudio eines Hamburger Fernsehsenders den Film Burma VJ (2008) von Anders Østergaard, der von Journalisten erzählt, die unter Lebensgefahr Material aus Myanmar schmuggeln.

Kino ohne Grenzen

Kraus finanziert sich über Einnahmen. Die Eintrittspreise betragen zehn Euro, ermäßigt acht Euro. A Wall is a Screen dagegen wird von Veranstaltern wie Filmfestivals, Kulturinstitutionen oder auch der Stadt Hamburg gebucht. So improvisiert ihre Vorführungen wirken mögen – dahinter steht ein enormer logistischer Aufwand. „80 Prozent der Zeit investieren wir in Büroarbeit“, so Sven Schwarz. „Wir haben über 200 verschiedene Lizenzgeber, mit denen wir arbeiten: Verleiher, Distributoren, Filmemacher“. Die Genehmigung für die Stadtvorführungen zu erhalten, sei dagegen in der Regel unaufwendig, berichtet Schwarz. A Wall is a Screen erfährt viel Entgegenkommen, die Polizei sperrte schon einmal spontan eine gesamte Straße für eine Vorführung mit überraschend hohem Publikumsandrang. Diese Resonanz bestätigt die Gruppe in ihrem Credo: „Kino ist prinzipiell an jedem Ort möglich“.

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