FUTURE PERFECT
Die Menschen sind das Gesicht des Landes

Wie eine Filmszene: die offizielle Eröffnung des Tūhoe-Te-Kura-Gebäudes 2014.
© Foto (CC BY-NC-ND): Lottie Hedley

Der Māori-Stamm der Tūhoe bekommt mit einem spektakulär nachhaltigen Gebäude seit 150 Jahren wieder ein eigenes Zentrum für Zusammenkünfte: einen Ort, in dem sich Natur, Gebräuche und Gemeinschaft harmonisch entfalten können.

Es wirkte beinahe wie eine Filmszene, wie 3.000 Menschen den Schlachtrufen der Tūhoe Māori folgten: Vor der beeindruckenden Kulisse eines holzverkleideten und großzügig mit Solarpaneelen ausgestatteten Gebäudes näherten sich die aus Nah und Fern angereisten Besucher langsamen Schrittes ehrfürchtig dem amphitheaterförmigen Atea, einem Grünflächeninnenhof an der Nordseite des Gebäudes. Direkt vor zwei riesigen Tafeln mit Kunstwerken, die die mana motuhake („Selbstbestimmung”) Philosophie des Tūhoe-Stammes darstellen, wurden die Zuschauer mit einer spektakulären traditionellen Willkommenszeremonie empfangen, die aus dem zeremoniellen Kriegstanz haka sowie den typischen waiata-Gesängen bestand. Wo diese Begrüßungsfeierlichkeiten stattfanden? Am Eingang von Aotearoas (wie die Māori Neuseeland nennen) erstem zertifizierten Living Building („lebendem Gebäude“): dem Te Uru Taumatua in Tāneatua, Neuseeland.

„Die Eröffnung war großartig. Es herrschte eine sehr besondere, aufregende Atmosphäre, die jeder einzelne Besucher spüren konnte. Es lag ein Gefühl der Hoffnung in der Luft, und über allem schwebte die Ahnung, dass etwas Neues bevorsteht“, erzählt Maea Rurehe. Der junge Mann arbeitet am Empfang des Gebäudes, das den Tūhoe nach 150 Jahren erstmals wieder ein Zentrum für das gemeinschaftliche Leben bietet.

  • Wie eine Filmszene: die offizielle Eröffnung des Tūhoe-Te-Kura-Gebäudes 2014. © Foto (CC BY-NC-ND): Lottie Hedley
  • Der Blick in den Garten des Tūhoe-Te-Kura-Gebäudes im Februar 2017. © Foto (CC BY-NC-ND): Lottie Hedley
  • Kirsti Luke, Geschäftsführerin von Te Uru Taumatua, im Tūhoe-Te-Kura-Gebäude. © Foto (CC BY-NC-ND): Lottie Hedley
  • Der Bogen des Tūhoe-Te-Kura-Gebäudes spielt auch im Dokumentarfilm Ever the Land eine Rolle. © Foto (CC BY-NC-ND): Lottie Hedley
  • Personaltraining im lebendigen Gebäude. © Foto (CC BY-NC-ND): Lottie Hedley
  • This café, too, is part of the Tūhoe tribal headquarters. © Foto (CC BY-NC-ND): Lottie Hedley
  • Die Solarpaneele auf dem Dach sind Teil des Nachhaltigkeitsansatzes. © Foto (CC BY-NC-ND): Lottie Hedley
  • Sam McGarvey überwachte die Nachhaltigkeitsstandards und organisierte die Helferarbeiten für die Errichtung des Tūhoe-Te-Kura-Gebäudes. © Foto (CC BY-NC-ND): Lottie Hedley
  • Maea Rurehe beantwortet Fragen einer Besuchergruppe im Tūhoe-Te-Kura-Gebäude. © Foto (CC BY-NC-ND): Lottie Hedley
  • Am Eröffnungstag 2014 erstrahlte das Tūhoe-Te-Kura-Gebäude in den schönsten Farben. © Foto (CC BY-NC-ND): Lottie Hedley

Das im Jahr 2014 nach einer historischen Vereinbarung mit der neuseeländischen Regierung eröffnete Gebäude basiert auf dem tiefen Glauben der Tūhoe, dass Mensch und Natur eine Einheit bilden, voneinander abhängig sind und die vorhandenen Ressourcen sorgfältig genutzt werden müssen. Diese Einstellung reflektiert auch ein traditionelles Sprichwort der Māori, das zeigt, wie sehr die Tūhoe in ihren tikanga (Gebräuchen) verwurzelt sind:

Ko te whenua te toto o te tangataKo te tangata te kanohio of te whenua
Das Land ist das Blut seiner Menschen
Die Menschen sind das Gesicht des Landes



Komplexe Struktur, tiefe Bedeutung

Der legendäre neuseeländische Architekt Ivan Mercep (1930–2014) und sein Team haben verstanden, dass die Tūhoe den Begriff Nachhaltigkeit ganzheitlich definieren. Sie schlugen vor, das Mehrzweckgebäude nach den Leitsätzen der Living Building Challenge (LBC) des International Living Future Institutes auszurichten.

Der Nachhaltigkeitsstandard des LBC-Zertifizierungsprogramms, das aus 20 Vorschriften in sieben Bereichen besteht, ist um ein Vielfaches strenger als andere Leitlinien für umweltfreundliches Bauen. Damit ein Projekt den Status „lebendig“ und damit die volle Zertifizierung erhält, müssen alle genannten Vorschriften erfüllt sein, und es muss in den Bereichen Energie, Wasser und Abfall eine positive Energiebilanz nachgewiesen werden. Die Leistungsfähigkeit des Projekts muss zudem mindestens zwölf Monate in Folge unter Beweis gestellt worden sein.

Für den Empfangsmitarbeiter Rurehe sind es die Weitergabe von Wissen und Erkenntnissen eines derartig tiefgründig denkenden Volkes und die enorme Herausforderung, eine komplexe Struktur mit tiefgehender Bedeutung zu erschaffen, die das Projekt Te Uru Taumatua so faszinierend machen. Mit großem Stolz führt er die manuhiri (Besucher) durch das Gebäude und ermutigt sie dazu, „in ihr Innerstes hineinzuschauen und dabei auch einmal ungewöhnliche Perspektiven einzunehmen, um unsere Lebensweise zu überdenken und damit vielleicht die Möglichkeiten einer besseren, nachhaltigeren Zukunft zu erkunden.“

Ein kulturelles Zentrum im Dialog mit der Natur

Während die manuhiri über den Matai gehen, einen hundert Jahre alten Fußboden aus regionalem Holz, um die große Stammesversammlungshalle zu betreten, verrät Rurehe etwas über den visionären 40-Jahres-Plan, mit dessen Hilfe die Tūhoe eine eigenständige Nation werden sollen. Der zweistöckige Verwaltungstrakt von Te Uru Taumatua ist ein Dreh- und Angelpunkt für neue ressortübergreifende Ideen, Richtlinien und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten dieser Vision, die nicht nur den Tūhoe zugutekommen, sondern auch positive Auswirkungen auf Biosphäre, Infrastruktur, Ressourcen und Zukunftsgestaltung haben soll.

Die beiden großen Räume des Gebäudes werden durch den sonnendurchfluteten Empfangsbereich verbunden. Von hier gelangt man auch zu einer kleinen Bibliothek und einem Archiv über die Tūhoe sowie zu einem großen Café, das regionale Speisen serviert.

Früchte, Gemüse und Kräuter, die hier auf der Karte stehen, stammen aus den hauseigenen kleinen Gärten und einer Obstwiese auf der Westseite des Gebäudes. Diese Grünflächen sollen in Zukunft noch erweitert werden, so dass das Bauwerk eines Tages von Waldwiesen umgeben sein wird, in denen heimische Pflanzen in Hülle und Fülle gedeihen.

Werte werden lebendig

Der Begriff von Nachhaltigkeit, wie die Tūhoe ihn interpretieren, bezieht sich laut Kirsti Luke, Geschäftsführerin von Te Uru Taumatua, vor allem auf die Menschen. Daher war es beim Bauprozess sehr wichtig, dass die Mitarbeiter sorgfältig und Schritt für Schritt ausgebildet wurden und dabei so viele Materialien wie möglich aus dem Te-Urewera- Nationalpark zum Einsatz kamen. „Das Gebäude spiegelt die Werte, die in der Gemeinschaft gelebt werden“, erklärt Luke. Es kamen viele talentierte Menschen hierher, die ihren eigenen Fähigkeiten aufgrund mangelnder Qualifikation misstrauten, dann aber einen natürlichen Instinkt für Werte und Prinzipien an den Tag legten; für Voraussicht, Mut, harte Arbeit und Teamwork.“

Tūhoe aus allen Teilen der rohe (Region) haben wochenlang umgefallene tote Bäume in Wäldern und Flüssen der Umgebung gesucht. Sie wurden vor Ort gefräst und für Hausverkleidung, Fußboden und Möbel genutzt. Erdziegel wurden aus Ton geformt, den man aus allen Teilen von Te Urewera gewonnen hatte und unter enormer Beteiligung der Menschen vor Ort für den Bau der Innenwände eingesetzt wurden.

Betreut wurde dieses Projekt von einer Gruppe von Tūhoe, mit deren Hilfe diverse Freiwilligengruppen 5.000 Ziegel herstellten. Laut Samantha McGavock, die bei dem Projekt die Nachhaltigkeitsstandards überwachte und die Helferarbeiten organisierte, waren fast 200 Menschen an der Ziegelherstellung beteiligt. „Wir hatten hier Großmütter mit ihren Enkeln, Schulkinder und Geschäftsleute“, so McGavock. „Es war eine große Herausforderung, aber auch ein sehr besonderer und einzigartiger Prozess“.

Das Fortbestehen von Zeit, Stammesfolge und Kultur

Bevor Ruhehe hier als Empfangsmitarbeiter angestellt wurde, hatte er Nachtschichten in einem Supermarkt in einer Nachbarstadt absolviert. Das Bauprojekt hat ihn dazu inspiriert, auch bei seinem ersten Hausbau für seine kleine Familie nach nachhaltigen Lösungen zu suchen: „Das Gebäude ist der beste Beweis, dass man die Vorstellungen und Ziele der Tūhoe auch in die Tat umsetzen kann.“

Es ist kein Zufall, dass es wie eine Filmszene anmutet, wie die 3.000 Menschen sich um den beeindruckenden 23 Meter hohen Holzbogen scharen: In dem preisgekrönten Dokumentarfilm Ever The Land über die spannende architektonische Reise und die historische Ansiedlung der Tūhoe gibt es eine Szene, in der man den nach der Eröffnungsfeier hell erleuchteten Torbogen bei Nacht sieht.

Der in seiner Form den Verlauf der aufgehenden und untergehenden Sonne imitierende Bogen steht unmittelbar in Bezug zur Tūhoe Te Mana Motuhake Flagge, einem Synonym für die historisch bedeutsame Forderung des Stammes nach Selbstbestimmung. Für die Tūhoe ist der Bogen ein Sinnbild für den Fortbestand der Zeit, für whakapapa (Stammesfolge) und Kultur. Er erinnert die Angehörigen des Volkes daran, wo sie herkommen und wo sie hingehen. Und über allem schwebt das allgegenwärtige Motto der Tūhoe: Nachhaltigkeit.