Im Publikum
Berlin

Nach der Aufführung: Großer Saal des Musiktheaters in Linz, Österreich © Imogen Thirlwall

Berlin ist ein wahres Paradies für Freunde von Live-Musik aller Spielarten. Die Nähe zu anderen europäischen Ländern birgt für Musikliebhaber noch mehr Möglichkeiten. So konnte ich bei meinem ersten Besuch in Österreich eine Aufführung von „Fausts Verdamnis” („La Damnation de Faust”) in Linz erleben.

Das Libretto von Hector Berlioz und Almire Gandonniere basiert auf einer Übersetzung von Johann Wolfgang von Goethes „Faust I”. Die Premiere war 1846 in Paris, nach der zweiten Aufführung wurde das Stück jedoch abgesetzt. Berlioz erfand für sein Werk die Betitelung „dramatische Legende”, und Kritiker sind sich immer noch nicht einig: Ist es nun ein Oratorium, eine Oper, eine Symphonie oder irgendetwas dazwischen, das sich gar nicht aufführen lässt?


Es handelte sich dabei um eine neue Koproduktion des Landestheaters Linz und der Opéra Nationale de Lyon unter der Leitung von David Marton. Gesungen wurde auf Französisch, die Dialoge wurden auf Deutsch und Englisch gesprochen – auf kleinen Bildschirmen an den Sitzrücken konnte man die Übertitel ablesen.

Besonders haben mir die dramatischen Effekte gefallen, die Marton durch den gezielten Einsatz des Erwachsenen- und Kinderchores erzielt hat. Wir sehen das Gretchen als kleines Mädchen: Fausts Vorstellung, wie diese langsam im Kreis tanzt, wird zum ständig wiederholten Motiv. Die stilisierten Bewegungen des Chors zeigen Mephistopheles als Puppenspieler; zunächst sind es nur einfache Gesten, die jedoch zu ausgeprägtem Mimenspiel und Pantomime ausgearbeitet werden. Auszüge aus der gleichen Produktion des vergangenen Jahres in Lyon vermitteln einen Eindruck der Musik und der dramatischen Ausrichtung des Stücks.
 

Was im Proberaum gerne als „Trampeln” bezeichnet wurde, manifestiert sich in einem eng zusammenstehenden Menschenknäuel, das im Einklang seinen Text spricht und dabei einzelne Charaktere regelrecht einhüllt. Besonders eindrucksvoll ist dies in der Szene, als Gretchen in den Himmel eintritt.

Auch das Bühnenbild ist sehr wirkungsvoll gestaltet. Die nicht fertiggestellt bzw. marode anmutende Brücke erstreckt sich über eine wüstenähnlichen Landschaft, im Hintergrund sehen wir ein altes Transportfahrzeug. Über die Szenerie drapierter weißer Stoff deutet Gretchens Schlafzimmer und Fausts Arbeitszimmer an.

Durch den Einsatz von Videos gewinnt die Produktion merklich dazu: Der gesprochene Dialog wird verstärkt und erlaubt es zudem den Figuren, durch Raum und Zeit zu reisen; mit verschwommen Videos im Stil der 50er Jahre werden Erinnerungen und Fantasien angedeutet. Wenn etwa in dem Kleinlaster Dialoge gesprochen werden, sorgen Mikrofone dafür, dass dieser gut zu verstehen ist, und über eine Kamera sieht man auf dem Bildschirm Nahaufnahmen der Gesichter in zwei unterschiedlichen Einstellungen.

Ein Foto der Marmorsäule, das ich an diesem Tag aus Versehen im Vorbeigehen aufgenommen habe  Ein Foto der Marmorsäule, das ich an diesem Tag aus Versehen im Vorbeigehen aufgenommen habe | © Imogen Thirlwall Am besten hat mir jedoch das Finale gefallen: Faust ist in der Hölle, Gretchen im Himmel und Mephistopheles verlässt von Live-Kameras gefolgt die Bühne und schreitet die Treppen in Richtung Theaterausgang herunter, wo das Live-Video schließlich durch eine vorab angefertigte Aufnahme ersetzt wird.

So folgen wir Mephistopheles durch die Straßen von Linz, wo er in die Straßenbahn in Richtung Stadtzentrum einsteigt, schließlich die große Dreifaltigkeitssäule aus Marmor erreicht und das Bild langsam schwarz wird.