Sprachenpolitik in Deutschland
Gut aufgestellt, aber noch ausbaufähig

Andere Sprachen und neue Kulturen kennenlernen
Andere Sprachen und neue Kulturen kennenlernen | Foto (Ausschnitt): © Christian Schwier - Fotolia.com

Welche Rolle spielt Fremdsprachenbildung an deutschen Schulen und Hochschulen? Trotz positiver Entwicklungen birgt die Praxis noch einige Herausforderungen.

„Good moorning, teacher“ – so oder so ähnlich schallt der Chor der Schülerstimmen täglich durch deutsche Klassenräume. An Gymnasien und anderen weiterführenden Schulen steht Englisch- oder Französischunterricht seit Jahrzehnten auf den Stundenplänen. An berufsbildenden Schulen wiederum liegt der Fokus auf der Förderung von Fremdsprachenkompetenzen, die im jeweiligen Ausbildungsberuf benötigt werden. Und seit einigen Jahren ist es in allen Bundesländern Usus, dass schon Grundschüler spätestens ab der dritten Klasse in die Klänge und Strukturen einer neuen Sprache eintauchen.

Strategien der Fremdsprachenpolitik

Mit dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) des Europarates steht seit 2001 ein Instrument zur Verfügung, mit dem sich der Sprachstand dokumentieren und international vergleichen lässt. Der Referenzrahmen wird auch an den Hochschulen genutzt, an denen das traditionell vielfältige allgemein- und fachsprachliche Fremdsprachenangebot im Zuge der zunehmenden Internationalisierung und der Etablierung des Europäischen Hochschulraums ebenso an Bedeutung gewonnen hat.
 
Deutschland ist bei der Sprachenpolitik vergleichsweise gut aufgestellt. Erklärtes Ziel ist es, die Sprachen- und Kulturenvielfalt zu erhalten und Schüler auf die internationale Arbeitswelt vorzubereiten. „Durch Deutschlands Lage in der Mitte Europas sind wir auf das Erlernen anderer Sprachen angewiesen. Deshalb stecken wir relativ viel Geld in die Lehrkräfteausbildung, die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien sowie die didaktische und fremdsprachenphilologische Forschung. Mehr als die kleineren europäischen Länder wie die Niederlande oder Norwegen bemühen wir uns dennoch, auch unsere Landessprache als Wissenschaftssprache zu erhalten“, sagt Christoph Schroeder, Professor für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Potsdam.
 
In Vorbereitung auf das mehrsprachige Arbeiten in Ausbildung, Studium und Berufsleben bieten Schulen bilinguale Module oder Züge an, auch „Content and Language Integrated Learning“ (CLIL) genannt. Dabei werden bestimmte Sachfächer wie Mathematik oder Geschichte nicht nur in der Erst-, sondern auch in einer Fremdsprache (meist Englisch) unterrichtet. Darüber hinaus sollen Austauschprogramme, Wettbewerbe, internationale Abschlüsse und Zertifikate Schülern, Studierenden, aber auch Lehrkräften und Hochschulmitarbeitern Lust auf das Erlernen anderer Sprachen und das Kennenlernen neuer Kulturen machen.

Mehrsprachigkeit an Schulen und Hochschulen

Dem Ziel des Europäischen Rates, dass jeder Europäer mindestens zwei Fremdsprachen beherrschen sollte, hinkt Deutschland trotzdem hinterher. Bisher gilt noch das Hamburger Abkommen der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 1964, das nur diejenigen Schülerinnen und Schüler zum Erlernen zweier Fremdsprachen verpflichtet, die eine Schule besuchen, an der das Abitur abgelegt werden kann. Dabei wird im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern auch Latein als Fremdsprache gezählt. An den weiteren Schultypen kann eine zweite Fremdsprache als Wahlfach belegt werden.
 
Marcus Bär, Professor für Didaktik des Spanischen an der Bergischen Universität Wuppertal, fordert, dass auch hierzulande Schüler aller Schulformen zwei Fremdsprachen lernen müssen. Doch er beobachtet Entwicklungen in die falsche Richtung: „Schulleitungen legen Unterricht zweiter oder dritter Fremdsprachen in wenig attraktive Randstunden, während die Schüler ohnehin nahezu unverantwortlich hohen Stundenbelastungen ausgesetzt sind. Einzelne Bundesländer diskutieren sogar darüber, die Pflicht zum Erlernen von zwei Fremdsprachen an gymnasialen Oberstufen einzuschränken“.
 
Da die „lingua franca“ Englisch weitestgehend flächendeckend als erste Fremdsprache gelehrt wird und für die zweite Fremdsprache inzwischen ein vielfältiges Sprachenangebot in Frage kommt, machen sich Französisch, Spanisch und Co an den Schulen vielerorts Konkurrenz. Dem soll eine sprachenübergreifende Mehrsprachigkeitsdidaktik entgegengesetzt werden, die zwar in den Lehrplänen einiger Länder bereits vorgesehen ist, aber noch zu wenig umgesetzt wird: „Es gibt bereits zahlreiche erfolgreiche Projekte. Doch insgesamt haben die einzelnen Fremdsprachen an den Schulen inhaltlich und personell häufig viel zu wenig miteinander zu tun“, bemängelt Marcus Bär.

Erstsprachliche Kompetenzen integrieren

In Folge von Migrationsprozessen ist auch die Förderung von sogenannten Herkunftssprachen in den Fokus des schulischen Fremdsprachenunterrichts gerückt. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise wird herkunftssprachlicher Unterricht in der Primarstufe angeboten, wenn mindestens fünfzehn Schüler daran teilnehmen. In der Sekundarstufe I kann die Herkunftssprache eine zweite oder dritte Fremdsprache ersetzen. Im Kontext des lebenslangen Lernens fordert die Kultusministerkonferenz zudem, auch die erstsprachlichen Kompetenzen in das weitere Fremdsprachenlernen zu integrieren, was allerdings in der Praxis noch Herausforderungen mit sich bringt.

„Lange Zeit gab es in Deutschland ein Ideal der Einsprachigkeit. Und seit in den 1970er-Jahren in der Didaktik die Kommunikative Wende eingeleitet wurde, hat übersetzungsorientierter Unterricht einen schlechten Ruf. Dazu kommt, dass viele Lehrkräfte sich der Sprachenvielfalt und der existierenden Sprachverwandtschaften nicht bewusst sind“, betont Claudia Finkbeiner, Professorin für Fremdsprachenlehr- und -lernforschung an der Universität Kassel. „Deshalb und auch aus Angst vor Kontrollverlust schrecken viele Lehrkräfte davor zurück, in bestimmten Phasen Rückgriffe auf andere Sprachen zu machen, Vergleiche zu ziehen und die Schüler damit zur Reflexion anzuregen – obwohl gerade Kinder aus nicht-deutschsprachigen Familien davon profitieren würden.“