Neuseeland übersetzt
30 neue Übersetzungen des Vertrags von Waitangi (Te Tiriti o Waitangi)

Das Übersetzerteam von Treaty Times 30 feiert nach der Präsentationsfeier
© Adalen Photography 2017. © Treaty Times 30 2017

Als ich von dem Projekt zur Übersetzung der Verfassungsurkunde Neuseelands erfuhr, bot ich sogleich meine Mitarbeit an. So wurde ich eine von 115 freiwilligen Übersetzern, die Te Tiriti o Waitangi, den Vertrag von Waitangi, gemeinsam in 30 Sprachen sowie die neuseeländische Gebärdensprache übersetzten. 

Um es gleich klarzustellen: Nein, ich spreche keine 30 Sprachen, nur zwei! Nach meiner Anmeldung wurde ich einem kleinen Team zugeteilt, das den Vertrag von Waitangi ins Deutsche übersetzten sollte, und das in zwei Versionen: Einmal haben wir als Ausgangstext die von dem ersten Gouverneur Neuseelands William Hobson erstellte englische Fassung genommen, das andere Mal die von den damaligen Chiefs Neuseelands unterzeichnete Version der Māori. Da es ein Ding der Unmöglichkeit war, genug professionelle Übersetzer zu finden, die sowohl die maorische Sprache te reo Māori als auch eine der Projektsprachen beherrschten, haben wir mit der modernen englischen Übersetzung der Māori Version von Professor Hugh Kawharu gearbeitet.

Zunächst hat jeder für sich den Text übersetzt und das Ganze auf Dropbox hochgeladen. Dann haben wir unsere Übersetzungen gemeinsam online diskutiert und uns quasi aus jedem Text das Beste herausgepickt. An dem Ergebnis haben wir dann so lange herumgewerkelt, bis wir schließlich die unserer Meinung bestmögliche Übersetzung jedes Textes vorliegen hatten. 

Zwei Verträge zur Übersetzung

Der am 6. Februar 1840 unterzeichnete Vertrag von Waitangi: einer von neun erhaltenen Originalen des Te Tiriti o Waitangi. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Archives New Zealand Es hat wirklich Spaß gemacht, über diese Texte zu diskutieren, vor allem, wenn es darum ging, die Unterschiede zwischen der englischen und der Version der Māori herauszuarbeiten. Die Übersetzung der englischen Version von Hobson in te reo Māori, die Henry Williams mit seinem Sohn Edward im Jahr 1840 angefertigt hat, war damals quasi über Nacht für ein Häuptlingstreffen am nächsten Tag entstanden. Die genauen Beweggründe von Vater und Sohn Williams sind unklar, aber die beiden waren sich sicher bewusst, dass ihre Wortwahl ausschlaggebend für die Frage sein würde, ob die Māori den Vertrag akzeptieren würden. So finden wir in ihrer Übersetzung entscheidende Unterschiede. Nehmen wir etwa den Begriff der „sovereignty“, den die beiden nicht mit „Hoheitsgewalt“ übersetzt haben, sondern das etwas abgeschwächte „kawanatanga“ gewählt haben, was so viel bedeutet wie „Regierung der Könige“ oder „Regierungsgewalt“. Ebenso haben sie den Ausdruck „undisturbed possession“, der den Māori einen „exklusiven/ungestörten Besitz” ihres Landes bescheinigt, als „tino rangatiratanga“ übersetzt, die „uneingeschränkte Ausübung der Häuptlingschaft“. Die Übersetzungen wurden also ganz im Sinne der britischen Krone gewählt, die an der englischen Version festhielten, in der dem britischen Monarchen die Hoheitsgewalt zugesprochen wurde, während man den Māori lediglich einen exklusiven und ungestörten Besitz zubilligte. 

Die Endfassung. Die veröffentlichten deutschen Übersetzungen im PDF-Format © The Treaty Times 30 2017 In unserem Übersetzungsprojekt konnten wir diese Unterschiede detailliert herausarbeiten, und es war eine echte Herausforderung, den Text originalgetreu ins Deutsche zu übertragen. Die Endfassungen der Übersetzungen aus dem Englischen und der maorischen Sprache sind das Resultat stundenlanger Debatten und beinhalten Begriffe, um deren Bedeutungsnuancen wir leidenschaftlich gestritten haben. Insgesamt habe ich aus diesem Projekt viel mitnehmen können. So habe ich etwa gelernt, welche Macht die Sprache besitzt und wieviel Verantwortung der Übersetzer trägt: Man braucht nur einmal eine falsche Wortkombination zu wählen und hat damit die komplette Geschichte umgeschrieben!

Die Endfassung. Die veröffentlichten deutschen Übersetzungen im PDF-Format gibt es hier

Übersetzer Stefan Grand-Meyer überreicht Dame Patsy Reddy, Generalgouverneur von Neuseeland, ein Exemplar des Buches © Adalen Photography 2017. © Treaty Times 30 2017 Ich muss sagen, dass sich die ganze Mühe wirklich gelohnt hat. Neuseeland ist sehr multikulturell und hat eine lange Einwanderungsgeschichte – man spricht hier immerhin 160 Sprachen. Durch unsere Übersetzungen können wir nun noch mehr Zugewanderten jenes Dokument näher bringen, auf dem die Gründung Neuseelands beruht. Selbst diejenigen, die Englisch sprechen, haben sicher mehr Zugang zu der am modernen Sprachgebrauch ausgerichteten Übersetzung als an dem altmodischen, „steifen“ Englisch des Vertrags von Waitangi. Ich würde mich jederzeit wieder für ein solches Projekt zur Verfügung stellen. Dank der Arbeit unseres Übersetzerteams können deutsche Muttersprachler jetzt verstehen, was genau im Te Tiriti steht und damit auch Land und Leute Neuseelands besser verstehen. Und das ist ein tolles Gefühl!