Miles Buckingham
Antipodean Dub/Techno

Salmonella Dub live (NightQuarter, Helensville, Australia, 2016)
Salmonella Dub live (NightQuarter, Helensville, Australia, 2016) | © blankgc.com.au

Um internationale Spielarten von Dub-Techno mit einander zu vereinen und die Bewegung immer weiter wachsen zu lassen, brauchte es das Aufkommen von Schlüsseltechnologien, das sich dann mit einem Denken außerhalb der Maschine verband, um sich das Studio zu eigen zu machen und neue Klanglandschaften zu entwerfen.

Bass und Schlagzeug werden zum Ausgangsmaterial der Musik, das Studio wird zum Instrument und Körper werden von der Macht der Musik in Bewegung gesetzt. Einmal nach Aotearoa-Neuseeland gekommen, vereinte sich diese frische musikalische Brise mit der pulsierenden Charakteristik des Reggae und traf auf eine wachsende Szene von Musikern, die mit elektronischen Instrumenten experimentierte. Der möglicherweise erste Schritt in die Zukunft wurde in Neuseeland in den späten 1980s gemacht, als sich die quasi-industriell-experimentellen Klänge eines Michael Hodgson (der gemeinsam mit Angus McNaughton und weiteren unter dem Namen Tinnitus produzierte) hin zu der klanglichen Dichte und textuellen Reduziertheit von Dub und Techno öffneten.

Audio: Tinnitus, Ambient Image


Neben meiner Begeisterung für alle Elektro-Importe – das war lange bevor das Internet jegliche Musik (überall) erhältlich macht – gab es zwei Ereignisse, die meine Klangwelt durcheinanderbrachten: Als jemand, der in der Mitte von Wellington lebte und Berührung zu verschiedenen Musikszenen hatte, war es unvermeidlich, dass ich irgendwann mit Musikern der neuen Szene und ihren Studios Kontakt haben würde. So ergab es sich, dass sich ein abgeschiedener Teil meiner eigenen Wohnung mit elektronischem Equipment, verschiedenen Schlagzeugcomputern und allerlei Kabeln füllte – das Studio des neuseeländischen Techno-Pioniers LRS.

Ashley Turner at the Tinnitus performance in Christchurch, New Year's Eve 1986/7 Ashley Turner at the Tinnitus performance in Christchurch, New Year's Eve 1986/7 | © audioculture.co.nz Das zweite Ereignis war das Erscheinen von Platten auf einem Label mit dem kryptischen Namen Basic Channel: jede von ihnen ein Tauchgang in die Abgründe von bass-lastigen Klängen, der Abwesenheit von Haltepunkte im dichten Pulsieren. Unter ihnen ein Trio von 12’’-Platten von Porter Ricks, deren Sound eine Umsiedlung der Techno-Ästhetik in eine Unterwasserwelt suggerierte.





 

Audio: LRS, Proxy


Die Klänge aus Deutschland und Detroit schienen nun nicht mehr weit entfernt, waren in Wellington, der Hauptstadt von Aotearoa, angekommen – wie uns ein Plakat von Psurkit Plus Plus wissen ließ: "dunkel bis zum Sonnenaufgang mitreißend erbebenartig live unter Strom“. Eine Szene, die sich um einige Einzelne herum gruppierte, die die Magie in der Maschine zu finden wussten. Als Ausdruck der damaligen Zeit stellte die legendäre Platte "Skankatronics: Pure Wellingtronica” die blühende Untergrundszene vor. Auf der Zusammenstellung findet sich der damals bereits etablierte Jet Jaguar gemeinsam mit LRS, Oblique und Polarity, die alle auf das Grobe und Körnige, das Verzerrende und die reine Intensität beim Musikmachen setzten – womit Klangtexturen als die Wurzeln einer Dub-Sensibilität in Neuseeland angekommen waren. Das war ein ganz neuartiger Zugang zum Musikmachen und auch neuer Wahrnehmungsweisen. Die noch neuen Warehouse-Parties machten bald Platz für den Bunker, der Minimalismus von Techno verstärkte die Effekte extrem, die den Raum zu einem oralen Nebel werden ließen, während zugleich Nebelmaschinen und Stroboskop-Blitze die Desorientierung aller Sinne noch verstärkten.


Poster for Psurkit’s Plus Plus event Poster for Psurkit’s Plus Plus event | © Psurkit

Audio: micronism

micronism, constructing space


Kog Transmissions © kog.co.nz Solche neuen Formen von elektronischer Musik waren auch in Auckland allgegenwärtig – im Umfeld von Kog Transmissions, einem 1997 gegründeten Studio und Label. Es zog eine vielfältige Gruppe von Musikern und Produzenten an, darunter Michael Hodgson, Denver McCarthy und Leyton Glen. Unter seinem Aliasnamen Micronism veröffentlichte McCarthy was manche für das erste neuseeländische Techno-Album halten: "Inside a Quiet Mind". Als eine Reise angelegt zeigt sich über die Dauer des Albums eine geschlossene Entwicklung, bewegt sich klanglich dabei zwischen verschiedenen Untergenres und hörbaren Texturen hin- und her, wobei die dichte Produktion und die von Störungen durchzogenen Klänge an verschiedenen Stellen den Beat völlig verschlucken.

Leyton Glen fand sich derweil in drei Identitäten aufgeteilt. Mit Epsilon Blue machte für gradlinigen House. Mit Rotor + ging er eher experimentellen Tendenzen nach, versuchte sich an den Grenzen von dauerhaften, durchkomponierten Elektronika-Klängen. Mit son.sine tauchte er in einen tief kontemplativen Ozean von warmen Beats ein. Als Remix-Projekt übernahm son.sine auch die Dekonstruktion und Neuformierung zahlreicher Tracks von Glens Zeitgenossen, wobei als Markenzeichen oft das Knacken und die offenen Räume innerhalb der Tracks verstärkt wurden, so überhörte Details aus den Songs im Mix nach vorne gebracht wurden. Die Ästhetik von son.sine wird am besten vom Track "Upekah" wiedergegeben, der auf dem Nurture label des Auslands-Neuseeländers Simon Flowers veröffentlicht wurde.
 

Audio: son.sine

son.sine, Upekah


Die elektronische Tanzmusik aus Aotearoa fand ihren Weg auch in die wirkliche Landschaft, blühte im Freien auf – wie auf legendären Festivals wie dem Gathering, das von 1996 bis 2002 Besucher zum jährlicher Feier zum Neuen Jahr nach Takaka Hill zog. Entscheidenden Anteil für den Erfolg dieser Festivals hatte der besondere Umgang, den viele neuseeländische Musiker und DJs mit der Umwelt pflegen. Alle erwähnten Künstler haben ihre Musik in atemberaubender Landschaft gespielt und die Erfahrung, die eigenen Klänge als dub-ähnliche Echos zwischen den herausragenden Hügeln und den tiefen Tälern gehört zu haben, wird einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Viele Musiker und Bands aus Neuseeland scheinen ein untergründiges Bewusstsein für die Beziehung zwischen dem Klang und der vielgestaltigen physisch manifesten Landschaft wie auch eine besondere Wahrnehmung und Fähigkeit zur Aktivierbarkeit des klanglichen Raums zu besitzen. 


Fat Freddy's Drop live (Great Northern Hotel, Byron Bay, Australia, 2009). Fat Freddy's Drop live (Great Northern Hotel, Byron Bay, Australia, 2009). | © Brad Sawatzki Von Fat Freddy’s Drop bis zu Salmonella Dub findet man endlose variierte Wiederholungen und eine rein hörbare Dichte, die gemeinsam eine klangliche Körperlichkeit im großen Maßstab erzeugen. Der Dub-Anteil im Techno braucht eine Weite, während die tanzenden Körper der Zuhörer zugleich Intimität bedeuten. Ein solch besonderes Empfinden für beides zeichnet die in Aotearoa produzierte elektronische Musik zumeist aus. Indem sie Berlin, Detroit, London und andere Orte aufnehmen und verarbeiten, haben die Inseln ihre ganz eigene Handschrift eines internationalen Stils hervorgebracht.
 

Audio: Fat Freddy’s Drop, The Drop