Kulinarische Hafenstädte
Ein Lokal setzt auf Lokales: Orphans Kitchen

Kristallisierter Honigwein
© Lottie Hedley

Kennengelernt haben sich Josh Helm und Tom Hishon, Freunde und Geschäftspartner aus Neuseeland, während ihres Auslandsjahrs in London bei der Geburtstagsfeier eines gemeinsamen Freundes. Dank ihrer gemeinsamen Leidenschaft für gutes Essen und Wein haben sich die beiden schnell angefreundet. Tom war zu der Zeit nach eigenen Worten gerade dabei, sich in diversen mit Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants „den Arsch abzuarbeiten”, Josh hatte im Rahmen seiner Tätigkeit für einen südafrikanischen Weinbauer in London zu tun. Die beiden teilten sich dort alsbald eine Wohnung, gingen zusammen auf Reisen und redeten oft davon, nach ihrer Rückkehr gemeinsam ein Lokal zu eröffnen.
 
Gesagt, getan: Als Tom und Josh 2013 dann nach Neuseeland zurückgingen, eröffneten sie in einer alten Villa in der Ponsonby Road 118 in Auckland das Restaurant Orphans Kitchen, das sich die Begriffe „einfach“, „nachhaltig” und „originell” auf die Fahnen schreiben sollte. Hier wird man in jedem Winkel daran erinnert, dass das, was einem aufgetischt wird, auch aus der Gegend stammt: Auf dem Dach prangen Bienenstöcke (die nur über ein Dachfenster im Badezimmer zu erreichen sind), von den Lampen auf der oberen Etage hängen skulpturartige Arrangements aus Trockenpflanzen herunter, und die Tischplatten im unteren Essbereich sind aus dünnem heimischen Macrocarpa-Holz gefertigt.
 
Seit 2017 gehört auch der Bäcker Patrick Welzenbach zum Team, der gemeinsam mit den beiden in Pt Chevalier eine Bio-Bäckerei namens Daily Bread betreibt, die auch in Parnell eine Filiale hat.
 
Geschäftsführer und Mitbetreiber Tom Hishon hat mir in einem Gespräch Näheres über das Konzept hinter Orphans Kitchen erzählt.
 
Das Orphans Kitchen hat gerade sein 5-jähriges Bestehen gefeiert. Was bedeutet dieses Jubiläum für Sie?
 
Es ist schon ein besonderes Gefühl, fünf Jahre hinter sich zu haben. Normalerweise macht man sich gar keine Gedanken, wenn andere solche Jubiläen feiern. Man weiß erst, dass es wirklich etwas Besonderes ist, wenn man es selbst geschafft hat. Es ist schon erstaunlich, denn am Anfang wollten wir einfach nur etwas machen, das zu uns passt; etwas Einzigartiges, das sich vom Rest abhebt. Damals war uns gar nicht bewusst, was das alles ins Rollen bringen kann.
 
Dass wir diese fünf Jahre geschafft haben, liegt daran, dass die Leute um uns herum ihr Wissen und ihre Erfahrung mit uns geteilt haben. Das liebe ich so am Kochen: Je mehr man von seinem Können an andere weitergibt, desto mehr bekommt man auch zurück.
 
Zu unserem 5. Geburtstag haben wir ein gemeinsames Dinner mit Douglas McMaster vom Silo Brighton in Großbritannien veranstaltet, der zwei Abende mit uns gekocht hat. Dabei haben wir viel von ihm gelernt, und andersrum war es sicher genauso.
 
Gut essen will man überall auf der Welt. Man sollte sich daher mit Menschen umgeben, die sich für gutes Gastronomie einsetzen. So kann man nicht nur seinen Gästen besondere kulinarische Erlebnisse bescheren, sondern auch von der Kreativität anderer Profis aus der Branche lernen und sich so vom restlichen Markt abheben. Auch wenn man nur einen Abend zusammen kocht, ist das Ganze eine tolle Erfahrung, bei dem das Team viel dazulernt und mehr Selbstvertrauen in der Küche erfährt.
 
Welche Philosophie steckt hinter dem Konzept Orphans Kitchen, und hat sich diese seit der Eröffnung verändert?
 
Unsere Philosophie hat sich seit unseren Anfängen weiterentwickelt und sie wird sich wohl auch noch weiter verändern. Unsere Grundidee war, köstliches Essen für jedermann anzubieten. Nach fünf Jahren stellt man allerdings fest, dass bestimmte Dinge beim Kochen nicht so gut funktionieren, und die müssen dann eben verändert werden. Wir passen uns immer wieder den Gegebenheiten an und hoffen, dass unsere Entscheidungen auch die Entscheidungen anderer beeinflussen.
 
Am Anfang hatte unser Essen etwa keine Bio-Qualität, inzwischen setzen wir vorrangig auf Bio-Lieferanten, und auch unser Fisch wird nachhaltig an der langen Leine geangelt. Fleisch aus Massentierhaltung steht bei uns nicht im Vordergrund, wir bieten lieber bessere Alternativen an.
 
Wir wissen, dass wir die Weichen für das Wohl nachfolgender Generationen stellen, sind verantwortlich für die Flüsse, Meere, unser gesamtes Ökosystem. Wenn wir auf biologische bzw. biodynamische Produkte, Fleisch und Getreide setzen, können wir die Belastung unserer Ackerböden deutlich mindern. Wir möchten unseren Gästen Umweltbewusstsein vorleben und tragen damit eine enorme Verantwortung. Es steckt also ein tieferer Sinn hinter dem Ganzen. Wenn wir die Privilegien, die wir genießen, nicht ausnutzen würden, dann wären unsere Tage hier gezählt.
 
Was im Orphans Kitchen auf den Tisch kommt, stammt aus kleinen Bio-Betrieben aus ganz Neuseeland. Warum ist es für Sie so wichtig, zu wissen, woher die Lebensmittel, die Sie verarbeiten, stammen und wer sie produziert?
 
Wir möchten das Selbstbewusstsein der Bauern stärken. Ich als Küchenchef kann hier enorm viel bewirken. Wenn wir unsere Hersteller bekannt machen, indem wir zeigen, was sie machen, wo es herkommt und wie köstlich es schmeckt, werden unsere Kunden sich für diese Waren interessieren und auch für den Hausgebrauch nutzen.
 
Die Küchenchefs sollen schließlich nicht alleine im Rampenlicht stehen. Wir sollten den Fokus viel mehr auf die Lebensmittelhersteller legen. Diese bescheidenen Menschen sind doch die eigentlichen wichtigsten Leute dieser Branche; sie leisten den ganzen Tag Schwerstarbeit. Genau diese Botschaft möchten wir hier im Orphans Kitchen und Daily Bread verbreiten und quasi ein Loblied auf die Lieferanten singen, die am Ende doch die wahren Food-Helden sind.
 
Wir betreiben dabei so viel Direkthandel wie möglich. Wir lassen unsere Geschäfte möglichst nicht über Zwischenhändler gehen, sondern arbeiten direkt mit dem Anbaubetrieb zusammen, damit dieser einen guten Preis erzielt. So können wir diesen Händlern ständig Feedback geben und unsere Wertschätzung zeigen. Diese direkte Kontakte ist für mich und mein Team sehr wichtig.
 
Bei Daily Bread wird das genauso gehandhabt. Wir möchten, dass der Kunde (auch wenn dieser nicht bei Daily Bread kauft) fragt: „Was ist genau drin in dem Brot? Es steht Mehl drauf, aber wo kommt das her? Woher weiß ich, dass es aus Neuseeland stammt?“
 
Mehr als 90 % des Mehls, das in Neuseeland verwendet wird, wird importiert, meist aus Australien, und ist mit Pestiziden und Herbiziden belastet. Daily Bread dagegen setzt auf Bio-Qualität. Das Saatgut wird ausschließlich hier in Neuseeland erzeugt. Das umzusetzen, ist nicht einfach, aber wir möchten den Leuten eben eine gesunde Alternative bieten.
 

  • Tom Hishon und Josh Helm, Besitzer des Orphans Kitchen, beim gemeinsamen Mitarbeiteressen im oberen Restaurantbereich © Lottie Hedley

    Tom Hishon und Josh Helm, Besitzer des Orphans Kitchen, beim gemeinsamen Mitarbeiteressen im oberen Restaurantbereich

  • Orphans Kitchen Sauerteig-Eis mit kristallisiertem Honigwein und Honignektar © Lottie Hedley

    Orphans Kitchen Sauerteig-Eis mit kristallisiertem Honigwein und Honignektar

  • Lampe mit Pflanzendeko im Orphans Kitchen © Lottie Hedley

    Lampe mit Pflanzendeko im Orphans Kitchen

  • An der Wand des Orphans Kitchen hängt der Imkeranzug gleich neben den Schürzen © Lottie Hedley

    An der Wand des Orphans Kitchen hängt der Imkeranzug gleich neben den Schürzen

  • Orphans Kitchen - Innenansicht © Lottie Hedley

    Orphans Kitchen - Innenansicht

  • Der Bienenstock auf dem Dach des Orphans Kitchen © Lottie Hedley

    Der Bienenstock auf dem Dach des Orphans Kitchen

  • Tom Hishon holding a rack of honey during the summer of 2016 © Lottie Hedley

    Tom Hishon holding a rack of honey during the summer of 2016

  • Kristallisierter Honigwein © Lottie Hedley

    Kristallisierter Honigwein

  • Tom Hishon wirft den Grill fürs Abendessen an © Lottie Hedley

    Tom Hishon wirft den Grill fürs Abendessen an


 
Sie haben im Orphans Kitchen schon jede Menge zu tun, warum bürden Sie sich dann noch eigene Bienenstöcke auf dem Dach auf?
 
Ja, es klingt verrückt, aber wir sind eben gerne erfindungsreich. Die Vorstellung, Bienen auf unserem Dach Honig produzieren zu lassen, den wir nur noch ernten müssen, war für uns ein „Heureka!“ Moment, und wir wussten gleich: Das machen wir! Nicht nur wir haben viel von den Bienen gelernt, sondern unsere Kunden auch. Unsere Idee hat außerdem noch ganz viele andere positive Entwicklungen angestoßen.
 
Inzwischen ist die ganze Stadt voller Bienen. Ein Bienenstock steht bei Josh zuhause, einer in der Daily Bread Bäckerei. Seit wir Bienen auf dem Dach haben, haben viele andere nachgezogen, das ist toll. Immer mehr Menschen haben auf einmal mitten in der Stadt Bienenstöcke stehen.
 
Um die Bienen kümmern sich hauptsächlich Josh und ich, aber wenn es an die Ernte geht, packt jeder mit an, weil wir dann kiloweise Honig produzieren. Momentan machen die Bienen nicht so viel Arbeit, aber wir müssen uns vor der Varroamilbe in Acht nehmen. Im ersten Jahr hat uns die Amerikanische Faulbrut erwischt, eine Krankheit, bei der man den ganzen Bienenstock entsorgen muss. Das war wirklich schade. Zum Glück sind wir seither aber von weiterem Übel verschont geblieben.
 
Die Hierarchie in einem Bienenvolk ist übrigens ganz ähnlich aufgebaut wie in einem Restaurant. In dem Stock trifft die Bienenkönigin nicht viele Entscheidungen, sondern das gesamte Kollektiv. Alle bestimmen quasi gemeinsam, was die Königin tun wird, etwa, ob sie eine neue Königin produziert, die dann wiederum wegfliegt und ein eigenes Volk gründet. Im Restaurant wie im Bienenvolk entscheiden alle gemeinsam. Echte Zusammenarbeit kann nur entstehen, wenn alle an die gleichen Werte glauben. Man erkennt ein erfolgreiches Unternehmen bzw. Restaurant daran, dass das ganze Team um einen herum die eigene Vision lebt.
 
Mit Ideenreichtum meinen wir auch, dass wir eine Bio-Stadtfarm wie Kelmarna Community Gardens unterstützen. Lebensmittel müssen nicht durch die Weltgeschichte reisen. Das beste Essen ist das, was aus der Region kommt und nicht das, was aus anderen Ländern importiert wird. Je mehr man auf Regionalität setzt, vor allem in der Stadt, desto mehr Vorteile hat man selbst davon. Zum Beispiel hat man viel weniger Verpackungsmüll. Man legt einfach ein paar Blätter in eine Kiste im Garten und bringt dann alles direkt in die Küche. Das ist doch toll, wenn man in einer Gemein schaft so arbeiten kann.
 
Was genau hat es mit der berühmt-berüchtigten vom Honig inspirierten Dessertkreation aus Sauerteig-Eis auf sich?
 
Wir versuchen, in unserem Restaurant vorranging mit dem zu arbeiten, was reichlich vorhanden ist. Wir lassen uns gerne etwas Neues einfallen, und wenn es gleichzeitig köstlich und kostengünstig ist, passt das genau in unser Konzept. Dieses Sauerteig-Eis ist das beste Beispiel dafür.
 
Das Ganze besteht aus fermentiertem Sauerteig aus Hafermehl aus der Bäckerei mit kristallisiertem Honigwein, Salz und ein wenig Honignektar als i-Tüpfelchen. Wir servieren unseren Gästen zu Anfang hier unser extrem leckeres Sauerteigbrot mit gebräunter Butter; ein köstlich-süßes frisch gebackenes Brot mit karamellisierter Butter. Mit diesem Dessert schließt sich dann der Kreis mit etwas ähnlich Pikantem, das fast schon eine reinigende Wirkung hat und nicht zu süß ist.
 
Was glauben Sie, wo stehen Sie mit Orphans Kitchen in fünf Jahren oder sogar später?
 
Wir würden uns freuen, wenn wir dann immer noch da sind und so weitermachen wie bisher. Unser Ziel ist, hier langfristig eine Institution zu werden.
 
Gastfreundlichkeit ist eine Lebenseinstellung. Man wird dabei nicht reich, aber wenn man es richtig macht, bekommt man viel Freude und Zufriedenheit von den Menschen, die für einen arbeiten bzw. die man bei der Arbeit kennenlernt, zurück.
 
Es ist schon erstaunlich, dass wir nun schon fünf Jahre dabei sind. Wenn man sich auf so eine Reise begibt, ist es wichtig, dass man ab und zu auch mal zurückschaut und seine Arbeit wertschätzt. Eines Tages werden wir das Ganze hier hinter uns lassen und dann möchte ich nicht das Gefühl haben, solche Momente nicht genossen zu haben. Auch wenn es um mich herum richtig brummt, so suche ich mir doch immer mal wieder zwischendurch eine ruhige Ecke des Restaurants, um dort kurz innezuhalten und mir schöne Erinnerungen an Vergangenes vor Augen zu führen.
 
 
 
 

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