Wir laden Sie ein, für einen langen Augenblick aus der bedrängenden Gegenwart des Weltgeschehens auszusteigen: mit einer guten Geschichte – selbsterlebt, frei erfunden oder beides zugleich. Von Geschichtenerzähler*innen aus allen Teilen der Welt.
Charles Dominic Sanchez, Cebu City Pfadfinder-Tage
Gute Knoten lassen sich auch anders lernen. In seiner Jugend geriet Charles Dominic Sanchez in Kontakt mit einer Form des Faschismus, gehörte einer Jugendbrigade an, in der er Gehorsam, Marschieren und Salutieren lernte. Die Ausbilder schikanierten die Jugendlichen, denen es verboten war, anderen von den Geschehnissen in der Gruppe zu erzählen. Er zieht daraus Konsequenzen, die bis in die politische Gegenwart reichen.
Herta Müller, Berlin Füchse gehen in die Falle. Ich gehe nicht in die Falle!
Als Kind in Rumänien sollte Herta Müller einen neuen Wintermantel bekommen. Einen mit Kragen und Manschetten aus Fuchsfell. Beim Aussuchen des Fuchsfells fiel ihr die Ähnlichkeit zwischen Fuchs und Jäger auf. Der Geheimdienst folgte ihr später in ihre Wohnung und hinterließ Zeichen.
Ein Ausflug mit der Familie, ein Haus im Wald. Die marinierten Hühnchen bruzzeln auf dem Lagerfeuer – und locken unerwarteten Besuch an. T. C. Boyle erzählt eine Geschichte mit überraschender Wendung, die zeigt, dass es selbst in den schlimmsten Situationen noch eine Erlösung geben kann.
Sally Shalabi, Amman Was nach der Prophezeiung kommt
Nicht mehr von ihrem Reisebegleiter gegängelt, beschloss Sally Shlalabi auf einer Thailandreise vor 15 Jahren, endlich Streetfood zu essen. Auf der Suche nach mehr von den köstlichen Gerichten begegnet sie einem Wahrsager. Sie bezahlt und hält ihm die noch vom Essen verschmierten Hände hin. Er macht ihr eine Prophezeiung fürs Leben ...
Kristina Tóth, Budapest Eine Petunie in der Satellitenstadt
Als Kind wuchs Kristina Tóth in einer Hochhaussiedlung auf, die in einem Vorort von Budapest gebaut wurde – die erste Hochhaussiedlung Ungarns, mit über 100.000 Bewohnern. In der 5. Klasse sollte sie für den Biologieunterricht eine Petunie mit in den Unterricht bringen. Eine gewöhnliche Blume, die in der Satellitenstadt jedoch kaum zu finden war. Da hatte die Mutter eine Idee …
Sergio Blanco, Montevideo Wie ich meine Lehrerin vergiftete
Als Kind hasste Sergio Blanco alles an der Schule. Die Räume, die Idee der Schule selbst: „Die Regeln“, „die Normen“ lernen zu müssen. Auch die Lehrer hasste er und beschloss – angestachelt von Bildern aus der Literatur – die von ihm meistgehasste Lehrerin zu vergiften.
Eine Frau versucht ihrer Tochter zu erklären, warum sich der Vater so rücksichtslos verhält. „Er kämpft mit seinen Phantomen.“ Diese verstecken sich angeblich in seinem Handy und sie schicken ihm Nachrichten…
Giuseppe Caputo, Bogotá Der Spiegel und der Schild
Der Erzähler erinnert sich an seine Kindheit, in der seine Mutter ihn betteln schickte und Schuldner abwimmeln ließ. Eine Erfahrung, die bis heute in seinen Träumen wiederkehrt. Mit welchen Gefühlen blickt er zurück?
Marius Ivaškevičius, Vilnius Wie ich Nationaldichter werden sollte
Eines Tages bekam der Theaterautor Marius Ivaškevičius die Anfrage aus einer ihm unbekannten autonomen Republik in Südsibirien: Er sollte der National-Theaterschriftsteller Chakassiens werden. Er lehnte ab – doch er hatte nicht mit der Hartnäckigkeit der Chakassen gerechnet…
Alissa Ganieva, Moskau Wie ich mich aus dem Fenster stürzte
In ihrer Schulzeit entdeckte Alissa Ganieva eines Tages eine Art Balkon unterhalb des Fensters ihres Klassenraums. Weil sie erkannte, dass die anderen diesen nie wahrgenommen hatten, wettete sie, sie würde sich aus dem Fenster stürzen. Und sie sprang wirklich, mit anderen Folgen als sie vorausgesehen hatte.
In seiner Studentenzeit mietete Jordi Puntí mit Freunden in Barcelona eine Wohnung. Der Vermieter behielt den Schlüssel zu einem fensterlosen Raum, den die Freunde nicht betreten durften. Die Freunde begannen zu spekulieren: Befand sich eine pornographische Sammlung darin? Fiel da nicht Licht unter der Tür hervor? War es ein Tor zur Hölle? Was war das Geheimnis des verschlossenen Raumes?
Gali Mir-Tibon, Tel Aviv Wie ich meine Mutter verriet
Galis Mutter kam als Waisenkind nach Israel aus der Bukowina, wo sie sich und ihrem Bruder mit ihren Nähkünsten das Überleben gesichert hatte. Das Mädchen schämt sich seiner Mutter, weil diese keine gebürtige Israelin ist. Trotz der Mutters Hilfe besteht Gali den Nähkurs in der Schule nicht.
Simon Stranger, Oslo Warten im großen weiten Ozean
Der 19-jährige Simon segelt ein Jahr lang auf einem kleinen Schiff mit einem Freund und dessen Vater durch das Mittelmeer, die französische und spanische Küste entlang. Trotz eines Schiffbruchs, beschließen sie, ohne Motor weiterzumachen, wie in den alten Zeiten.
Eigentlich wollte Edwige Renée Dro einen Sachtext zum Projekt besteuern. Doch unberechenbar, wie die Zeiten sind, hatte sie eine andere Inspiration – und erzählt eine Geschichte, in der ein Gegenstand die Hauptrolle spielt, den wohl nur die wenigsten als „Gott“ bezeichnen würden.
Katharina wird von ihrem Vater, dem Zar, an den Sultan verheiratet. Sie ist seine 99. Ehefrau und direkt nach ihrer Hochzeit vergisst er sie. Bei einer Disko, die der Sultan veranstaltet, werden den Musikern die Augen verbunden. Da verrutscht die Augenbinde des gutaussehenden Gitarristen und die Geschichte nimmt ihren Lauf...
Hallgrímur Helgason, Reykjavík Das Steak ist vielleicht übergrillt
Als Bildender Künstler in New York bekommt Hallgrímur Helgason eines Tages Besuch von einem isländischen Landsmann, der sich im Laufe des Abends immer exzessiver betrinkt. Beim Essen kommt es zu einem vielsagenden Fauxpas.
Roberta Estrela D’Alva, São Paulo Wer glaubt schon an Wunder?
Basierend auf einer wahren Geschichte: Beim Aussteigen aus dem Taxi fiel Roberta Estrela D’Alva ihr Handy in einen Gully. Es war damit in der Kanalisation verschwunden mit allen Telefonnummern und Notizen. Von allem dem gab es keine Sicherungskopie. Ihr war danach, um ein Wunder zu bitten, als sie ihren Nachbarn traf und ihm ihr Leid klagte. Am nächsten Morgen klingelt der Nachbar, um ihr etwas zu erzählen und zu zeigen.