Film Goethe Society Wellington Filmabend: Friedland

Friedland, Szenenbild © Goethe-Institut

Mi, 15.11.2017

17:30 Uhr

Wellington, Von Zedlitz Building

Regie: Frauke Sandig, Farbe, 85 Min., 2015

Friedland, ein idyllischer Ort in Niedersachen, ist berühmt geworden durch das 1945 von der britischen Militärverwaltung gegründete Lager für Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer. Seither hat es immer wieder Menschen aufgenommen, aus Ungarn und Chile, aus Vietnam und aus der DDR. Heute ist dort ein Erstaufnahmelager für Asylbewerber, vor allem aus Syrien, Eritrea und Afghanistan. Die Dokumentaristin Frauke Sandig lässt deutsche ehemalige Lagerbewohner von ihrer Flucht und den Erfahrungen in den ersten Nachkriegsjahren erzählen und stellt den Erinnerungen von damals die Aussagen heutiger Flüchtlinge gegenüber; das Ergebnis ist ein berührendes Dokument von Not, Hoffnung und Menschlichkeit.   


Am Airport Hannover kommen Flüchtlinge an, vor allem Familien aus Syrien, die in ihrer Heimat alles verloren haben – auch Angehörige. Von dort aus werden sie nach Friedland gebracht, in der Regel für zwei Wochen, dann erfolgt ihre Verteilung auf alle Bundesländer. Schon die idyllische sommerliche Landschaft, von der Filmemacherin immer wieder für Inserts benützt, wirkt auf die Flüchtlinge wie ein Versprechen auf Frieden und ein neues Leben in Geborgenheit. „Deutschland ist ein schönes Land“, sagt Jebrail Adam; er will möglichst bald arbeiten und nicht auf Kosten der Deutschen leben – ein Wunsch, den auch viele andere Flüchtlinge äußern. Unter den meisten herrscht große Zuversicht, zumal sie in Friedland die erste Erfahrung mit einer „Willkommenskultur“ machen, die sich im Sommer 2015 in Deutschland entwickelt hatte, bevor sich im Folgejahr die Stimmung im Land, angeheizt vor allem von Rechtspopulisten, aber auch beeinflusst von einigen Straftaten und Terror-Anschlägen mehr oder minder in ganz Europa erheblich verschlechterte.

So bewegend die Leidensgeschichten der Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea oder Afghanistan auch sind: seine emotionale Kraft entwickelt der Film vor allem mit der Gegenüberstellung der Erfahrungen der Flüchtlinge von heute und jenen Deutschen, die sehr früh nach dem Ende des II. Weltkriegs in das im Herbst 1945 von der britischen Militärverwaltung eingerichtete Lager kamen – vor allem Kriegsheimkehrer und Flüchtlinge aus dem Osten: Damals wie in der Gegenwart ist das Lager ein Ort der ersten Hilfe. Auch heute hat man die Dauer des Aufenthalts begrenzt; die Erfahrungen von Flucht, Verlust und Gewalt, wie sie Annelie Keil oder Edelgard Grothey machen mussten, unterscheiden sich nicht wesentlich von jenen, die die Flüchtlinge aus Syrien durchleben mussten. Detmar Heller war 1947, im Alter von 18 Jahren, aus russischer Kriegsgefangenschaft ins damals heillos überfüllte Lager Friedland gekommen und fühlte sich „wie im Traum“: Es gab etwas zu Essen, ärztliche Versorgung und einfach Menschen, die sich um ihn kümmerten. Annelie Keil merkt an, sie habe „früh gelernt, dass man nicht selbstverständlich einen Platz auf der Erde hat“.

FRIEDLAND beginnt mit einer Ankunft und endet mit dem Abschied der einst Angekommenen. Sie sind vergleichsweise zuversichtlich; als Zuschauer, dem diese Gruppe von Flüchtlingen, die einem mit ihren bitteren Geschichten und auch mit den vielleicht zu naiven Erwartungen an die eigene Zukunft zutiefst ans Herz gewachsen sind, beginnt man sich zu sorgen: Das Lager Friedland ist eine friedliche Insel, an der die Konflikte in der deutschen Wirklichkeit scheinbar wirkungslos vorbeigehen. Die Erfahrungen von militanter Ausländerfeindlichkeit und brennenden Flüchtlingsunterkünften, ist hier nicht präsent. Das ist die Gefahr, dass, ähnlich wie in München, als eine enorme und jubelnde Menschenmenge am Hauptbahnhof die Ankommenden mit Geschenken begrüßte, die Stimmung überschätzt wird: Die Menschlichkeit von Friedland oder München ist längst nicht mehr die Regel – den Menschen, die sich innerhalb und außerhalb der Unterkünfte von Asylbewerbern und Flüchtlingen engagieren, steht eine nicht zu unterschätzende Zahl von fremdenfeindlichen Deutschen gegenüber, wie es die Wahlen im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern im Herbst 2016 mit dem Erfolg der rechten Partei AfD gezeigt haben.

In einer wunderbaren kleinen Sequenz beobachtet Frauke Sander die Flüchtlinge von Friedland bei einer Exkursion in eine nahe gelegene Stadt: Sie wundern sich vor allem über Hunde, die sich mit Genuss streicheln lassen. Jebrail sagt: Die Hunde in Syrien beißen, hier sind sie friedlich, weil sie gepflegt werden. Was für eine wunderbare Erklärung für die Anwendung von Gewalt und den Mangel an Zuwendung!

Das Lager von Friedland scheint eine mögliche neue Heimat in Deutschland zu versprechen. Die Zukunft der Flüchtlinge ist ungewiss, das weiß auch die Filmemacherin: „In einer Zeit, in der an vielen Orten in Deutschland Flüchtlingsheime brennen, liegt mir viel daran, den einzelnen Flüchtlingen ein Gesicht und eine Stimme zu geben, die Möglichkeit, selbst von ihren Schicksalen und der Situation in ihren Heimländern zu erzählen – und wirkliche Personen den anonymen Statistiken einer sogenannten Flüchtlingsflut gegenüberzustellen!“ Mit dieser Haltung, die auch der Frage nach der fast achtzigjährigen Historie Friedlands gilt, hat Frauke Sandig einen sehr sensiblen, ergreifenden und erhellenden Dokumentarfilm zum brennenden Thema „Flüchtlinge in Deutschland“ realisiert. Einmal, im Deutschunterricht, der wie ein entspanntes Lernspiel abläuft, singen sie: „Wie schön, dass du da bist!“

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