Mittwochskino Phoenix

Phoenix, Christian Petzold © Schrammfilm

Mi, 22.11.2017

19:30 Uhr

Goethe-Institut Peru

Regie: Christian Petzold, Farbe, 98 Min., 2013/14

Phoenix
Regie: Christian Petzold, 35mm, Farbe, 98 Min., 2013/14

1945, bald nach Kriegsende: Die Jüdin Nelly kehrt schwer verwundet nach Deutschland zurück. Ihre schlimmen Gesichtsverletzungen sind auch ein Symbol; diese Wunden lassen sich mit den Mitteln der plastischen Chirurgie äußerlich korrigieren – anders als die inneren Verletzungen. Nelly sucht Johnny, ihren früheren Mann, der sie durch die Ehe jahrelang vor der Verfolgung geschützt hatte, bis zum 4. Oktober 1944, dem Tag ihrer Scheidung. Anders als Nelly glaubt ihre Freundin Lene nicht an Johnnys Unschuld, sondern ist sich sicher, dass er damals seine Frau an die Nazis verraten hatte. Zudem glaubt Lene, die davon träumt, nach Palästina auszuwandern, dass Johnny nun versuchen werde, an das Erbe seiner Exfrau zu kommen.
 
Nelly hofft, mit der Liebe zu Johnny auch ihre verlorene Identität zurückgewinnen zu können; sie sucht und findet den Mann im US-Nachtlokal „Phoenix“. Er hält seine Exfrau für tot und erkennt sie nicht, obwohl ihm ihre Ähnlichkeit mit der „Verstorbenen“ nicht entgeht. Johnny fasst einen infamen Plan: Nelly soll gegen einen kleinen Anteil als seine Exfrau auftreten und ihm so zum Vermögen ihrer im Holocaust ermordeten Familie verhelfen. Nelly willigt ein; sie will sehen, wie weit Johnny gehen würde und, mehr noch, herausfinden, ob er sie einst wirklich geliebt und später verraten hat. Johnny erschafft die ihm scheinbar fremde Frau neu: Kleidung, Gang, Haarfarbe, Makeup – alles gleicht er der Vergangenheit an und merkt nicht einmal, dass sich Nelly die Handschrift der Totgeglaubten viel zu mühelos „aneignet“. Für das Wiedersehen mit alten Zeugen soll sie sich Geschichten aus dem Konzentrationslager zurechtlegen, damit sie ein paar glaubwürdige Belege aufweisen kann. Sogar die berüchtigte eintätowierte Nummer am Arm der KZ-Häftlinge will er ihr verpassen; die reale hat er nie wahrgenommen. Nelly fühlt sich immer noch zu dem Mann hingezogen. Der aber geht sofort auf Distanz, wenn sie ihm näher kommen will als er es für ihre Rolle geplant hat. Schließlich kommt es zu ihrer fingierten Ankunft an einem Bahnhof und zum Wiedersehen mit den alten Freunden. Sie feiern in der Bahnhofsgaststätte. Nelly will, von Johnny am Klavier begleitet, spontan ein altes vertrautes Lied singen: Kurt Weills „Speak Low“. Jetzt muss Johnny die Wahrheit erkennen. Nelly geht weg und löst sich fast auf in der Unschärfe des Bildes.
 
„Ist es möglich, über den tiefen, nihilistischen Riss, den die Nationalsozialisten und die Deutschen vollzogen haben, über diesen Riss zurückzuspringen und etwas zu rekonstruieren – die Gefühle, die Liebe, die Barmherzigkeit, das Mitleid, das Leben? PHOENIX erzählt die Geschichte einer Frau, die nicht einsehen will, dass 'keine Erzählung, kein Gesang, kein Gedicht', dass Liebe nicht mehr möglich sein soll.“ (Christian Petzold) Der vergebliche Versuch, durch die physische Vortäuschung die Vergangenheit zurückzugewinnen, führt unweigerlich zum Motiv des Doppelgängers, das seit den Tagen der Romantik eine lange Tradition in der deutschen Kultur hat. Einmal verweist Petzold auf Fritz Lang – und der hat einen der berühmtesten Doppelgänger-Filme des deutschen Kinos gedreht: METROPOLIS, mit der künstlichen Maria: sie ist eine Art Vorläuferin der totgeglaubten Nelly und ihrer aus Johnnys Sicht neu erschaffenen Imitation. Nach der Wiederherstellung ihres früheren Gesichts fragt Nelly ihre Freundin: „Würdest du mich wiedererkennen?“ Die viel schwerer zu beantwortende Frage wäre: Ist mit dem alten Erscheinungsbild auch der Mensch wiederhergestellt, der Nelly einmal war?
 
 
Biografie
 
Christian Petzold wurde1960 in Hilden (NRW) geboren. Von 1981 bis 1989 Studium der Germanistik und der Theaterwissenschaft an der FU in Berlin, anschließend Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) in Berlin. 1994 dreht er seinen Abschlussfilm PILOTINNEN.
 
 
Filmografie (Auswahl)
 
1987 Mission
1989/90 Süden
1990/91 Ostwärts
1994 Pilotinnen
1995/96 Cuba Libre
1997/98 Die Beischlafdiebin
2000 Die innere Sicherheit
2001 Toter Mann
2002/03 Wolfsburg
2004/05 Gespenster
2006/07 Yella
2008 Jerichow
2010/11 Etwas Besseres als den Tod
2011/12 Barbara
2014 Phoenix
 
Hans Günther Pflaum, 12.03.2015

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