Filmreihe Humboldt "Übersee" ​Die Vermessung der Welt

Alexander von Humboldt © Boje Buck Produktion.jpg

Mi, 08.05.2019

19:30 Uhr

Goethe-Institut Peru

Regie: Detlef Buck, Farbe, 119 Min., 2011/12

Am Anfang des 19. Jahrhunderts: zwei Männer erforschen die Welt. Der eine konzentriert sich auf das Sichtbare, der andere auf das Vorstellbare. Alexander von Humboldt, ein Adelsspross, reist nach Südamerika, um den Kontinent zu vermessen und fremdes Leben zu entdecken. Carl Friedrich Gauß, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, forscht zu Hause am Schreibtisch und wird ein berühmter Mathematiker. Am Ende begegnen sich die beiden berühmt gewordenen Deutschen – sie sind alt und nicht unbedingt glücklich geworden. An der Verfilmung eines der seltenen internationalen Bestsellers der jüngsten deutschen Literatur war der Romancier Daniel Kehlmann selbst als Co-Autor am Drehbuch beteiligt.
 
 
Ihre Kindheit könnte unterschiedlicher kaum sein: Alexander von Humboldt, der Sohn einer Adelsfamilie, hat in Berlin die besten Privatlehrer, ein wohlhabendes, renommiertes Elternhaus und die Protektion der Mächtigen. Carl Friedrich Gauß wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, wird von Mitschülern und Lehrern verprügelt und bekommt dann, als seine mathematische Begabung nicht mehr zu übersehen ist, doch noch ein Stipendium des Herzogs von Braunschweig. Dass es Alexander von Humboldt in die ferne Welt hinauszieht, während Gauß zu Hause Geborgenheit und eine sichere Heimat haben will, in der er seinen Forschungen nachgehen kann, lässt sich mit der unterschiedlichen Kindheit und Jugend der beiden Forscher nicht weniger plausibel erklären als mit ihren fast gegensätzlichen Begabungen, die indes einen gemeinsamen Nenner haben: eine grenzenlose Neugier. So geht es auch im Zentrum des Films nicht um die Definition der wissenschaftlichen Leistungen der beiden Männer, sondern um ihre unterschiedlichen Methoden, ihre Neugier in Kreativität umzusetzen. Alexander von Humboldt hat immerhin einen Reisegefährten dabei, den Franzosen Aimé Bonpland, der dem Deutschen an Lebensfreude überlegen ist und ihm auch einmal zornig die Frage stellt: „Warum müssen Sie so deutsch sein?“
 
Wie die Vorlage erzählt auch der Film lange in parallelen Episoden vom Leben und von den Unternehmungen der beiden Männer. Mit der visuellen Konkretisierung (gedreht wurde in Görlitz, Wien und Ecuador) ist die Geschichte handfester geworden – und der im Roman sehr sublime Humor klingt nun direkter, manchmal fast derb. Dabei ist es dem Regisseur und seinem prominenten Kameramann gelungen, die Bilder aus der deutschen Provinz des beginnenden 19. Jahrhunderts nicht minder intensiv zu gestalten als die exotischen Szenen vom Dschungel in Ecuador oder von Humboldts legendärer Besteigung des Chimborazo. Die Geschichte endet nicht mit der Verklärung der „großen Deutschen“, wie sie von zahlreichen deutschen Filmen über Jahrzehnte hinweg betrieben wurde; am Ende herrscht das Gefühl von Melancholie. Gauß ist ein alter Mann geworden, der aus der Begegnung mit dem bewunderten, aber vergreisten Immanuel Kant längst nicht mehr den Gewinn zieht, den er sich lange versprochen hatte, und Alexander von Humboldt ist noch einmal unterwegs, über Russland nach Asien, um dort als Wunderheiler verkannt zu werden. „Was bleibt?“, fragt er zum Schluss, und gibt selbst die Antwort: „Immer die Neugier!“
 
 
Pressestimmen:
 
„Ein philosophischer Abenteuerroman von seltener Phantasie, Kraft und Brillanz“, so hatte 2005 die Frankfurter Rundschau in einer der vielen Lobeshymnen auf den Roman geurteilt. Dem Film erging es bei der Kritik weniger gut: „Dass Detlev Bucks Verfilmung nun scheitert, weil die Macher das Buch nicht verstanden haben, kann man gerade nicht behaupten - schließlich hat Kehlmann das Drehbuch mitverfasst und tritt auch noch als Erzähler auf. Was aber überdeutlich wird, ist, dass er und seine Co-Autoren Detlev Buck und Daniel Nocke keinen Weg gefunden haben, der literarischen Raffinesse der Vorlage mit filmischen Mitteln zu entsprechen.“ (Der Spiegel)
 
„Im Film haben die Figuren notgedrungen Gesichter und Stimme. Sie rücken dem Zuschauer viel näher, als es Kehlmanns literarische Technik vorsah. Und leider verheddert sich der Film in alle Fallstricke dieser medialen Übertragung. So werden aus den Hauptfiguren dann doch Karikaturen, Humboldt eine eitle, verklemmte Spaßbremse, Gauß ein früh frustrierter Grantler. Die Schauspieler finden für dieses Problem keine Lösung, um es vorsichtig auszudrücken. (Die Zeit).
 
Vielleicht wären diese Reaktionen von vorne herein absehbar gewesen: In der Kinogeschichte ist es fast schon die Regel, dass die Adaptionen hoch gelobter Vorlagen bei den Kritikern keine vergleichbare Zustimmung finden konnten. So dürfte bei DIE VERMESSUNG DER WELT der Vergleich zwischen Text und Film besonders lohnend sein.
 
 
Detlev Buck
 
Geboren 1962 in Bad Segeberg (Schleswig-Holstein). Parallel zu einer Landwirtschaftslehre realisierte er 1984 seinen ersten Spielfilm ERST DIE ARBEIT UND DANN? Nach dem Studium an der DFFB (Berlin) gründete er 1991 mit Claus Boje die „Boje Buck Produktion“. Für seine Filme erhielt Detlev Buck zahlreiche Preise, darunter den Bayerischen Filmpreis anlässlich seines ersten abendfüllenden Spielfilms KARNIGGELS sowie den Deutschen Filmpreis in Silber für WIR KÖNNEN AUCH ANDERS und KNALLHART. Als Schauspieler wurde Detlev Buck 2004 mit dem deutschen Filmpreis in Gold als Bester Nebendarsteller in der Rolle von Karl in HERR LEHMANN ausgezeichnet. Er lebt abwechselnd in Berlin und auf dem elterlichen Hof in Nienwohld.
 
 
Hans-Günther Pflaum

 

Zurück