Deutsche Serien auf den Philippinen
Der Billion Dollar Code

Titelmotiv der Netflix Serie "The Billion Dollar Code"
© Netflix

Die Netflix-Miniserie Der Billion Dollar Code beruht auf wahren Begebenheiten und erzählt die Geschichte zweier deutscher Entwickler, die wegen Patentrechtsverletzung gegen Google vor Gericht ziehen – mit dem Vorwurf, dass Google Earth sich in eklatanter Weise ihr eigenes Terravision-Programm aus den 1990ern angeeignet habe. Die Serie erzählt den Fall als spannendes, aber auch desillusionierendes Gerichtsdrama, das die Züge einer Parabel trägt und auf zwei Zeitebenen den Kontrast zwischen den utopischen Träumen der 90er Jahre und der heutigen Ernüchterung in der Big-Tech-Branche darstellt.
 

Von Josef Markus

Die erste Folge zieht das Publikum mit einer spannenden Frage in den Bann. Im Berlin der frühen 90er Jahre findet der junge Carsten Schlüter (Leonard Scheicher), ein Kunststudent mit visionären Ambitionen, aber dürftigen Mitteln, in dem jungen Juri Müller (Marius Ahrendt) einen Partner zur Entwicklung des globalen 3D-Kartierungsprogramms Terravision. Die beiden ergänzen einander, denn Müller ist unter anderem als Hacker tätig und seine Programmierfähigkeiten übersteigen seine Sozialkompetenzen bei weitem. Von fast kindlichem Ehrgeiz getrieben verbindet die beiden der gemeinsame Traum eines Internets, das Grenzen und Konflikte auflöst. (Dabei wird ihre Darstellung als gutgläubige Computer-Nerds durch ihre grauenvollen Frisuren und ihr fehlendes diesbezügliches Bewusstsein untermauert.)

Standbild aus der Netflix series "The Billion Dollar Code": Carsten und Juri im Silicon Valley © Netflix

Doch ein paralleler Erzählstrang, ungefähr im Jahr 2017, zeigt Schlüter (Mark Waschke) und Müller (Mišel Matičević), inzwischen Männer mittleren Alters, bei ihren getrennten Aussagen im Besprechungsraum einer Kanzlei. Die Atmosphäre ist angespannt, die Beleuchtung erinnert an ein Polizeiverhör in einem alten Film Noir, und wann immer der Anwalt der Gegenpartei den Mund öffnet, verwandelt sich der Raum unvermittelt in ein Haifischbecken. Die Jahre sind offensichtlich nicht spurlos an Schlüter und Müller vorbeigegangen und außerdem wird klar, dass die beiden nicht mehr miteinander reden. Der Zuschauer stellt sich zwangsläufig die Frage, was aus den ehemaligen Freunden und ihren glorreichen Idealen der 90er Jahre geworden ist?

Aus dem Niemandsland in ein Land der Möglichkeiten

Als echte Berliner treffen sich der junge Carsten und Juri gerne zum Brainstorming an einem Döner-Imbiss in einer städtischen Brache. Wo früher vermutlich die Mauer stand, ist heute ein Stück Niemandsland, in dem alles möglich ist. Nachdem sie mit ihrem Plan für Terravision unverhofft zu Unternehmern geworden sind, lassen sie sich in der Nähe des Ku‘damms im Schatten der von Kriegsbomben gezeichneten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche nieder. (Ein geschichtsträchtiges Symbol, dessen Last diese Generation nicht mehr tragen möchte.) Doch erst als sie das Verwaltungsgebäude der Deutschen Telekom betreten, um Fördermittel zu beantragen, wird der denkwürdigste Drehort des Billion Dollar Code enthüllt: ein pompöser, schön-schrecklicher Saal, der die Ära des Kalten Krieges nicht eindrücklicher hinaufbeschwören könnte.
Szene aus der Netflix-Serie "The Billion Dollar Code": Art+COM präsentieren ihr Projekt TerraVision auf der Konferenz der International Telecommunication Union in Kyoto, 1995. ©Netflix
Dieses Berlin, grau und voller brüchiger Silhouetten und doch fieberhaft pulsierend zu einem frühen Techno-Beat, wird noch schärfer kontrastiert, als Schlüter und Müller schließlich ins kalifornische Sonnenparadies Silicon Graphics reisen. Dort ist die Atmosphäre geradezu provozierend entspannt, auch beim Anblick einfacher Angestellter, die körbeweise Geld vorbeischleppen. Regisseur Robert Thalheim und Drehbuchautor Oliver Ziegenbalg mögen hier etwas dick aufgetragen haben, aber klar ist, dass der Zuschauer die Geburt der Startup-Kultur erleben soll, die von der stumpfsinnigen Bürokratie, gegen die Schlüter und Müller zu Hause ankämpfen, Welten entfernt ist.
Standbild aus der Netflix series "The Billion Dollar Code" © Netflix
Hier lernen die beiden Deutschen Brian Andersson (Lukas Loughran) kennen, den Programmierer, der zunächst wie ein hippiehafter Teddybär daherkommt, im Laufe der Serie aber zunehmend diabolische Züge annimmt. Der naive Juri erkennt in Andersson mit seiner Tech-Affinität einen Gleichgesinnten und teilt mit ihm, ohne weiter nachzudenken, seinen Code für Terravision in allem Detail. Damit ist die Grundlage für den Betrug gelegt, der Juris und Carstens Geschäftsplan aus den Fugen bringen wird, von ihrem Leben ganz zu schweigen.

Geld ändert alles

Mit ihrer Klage gegen Google kämpfen die älteren Schlüter und Müller (der eine inzwischen Professor, der andere Gärtner) wie zwei Davids ohne Mittel und ohne Ansehen gegen den ultimativen Goliath Silicon Valley, was ihnen auch bewusst ist. Wie Schlüter aus dem Off trocken kommentiert: „Zwei deutsche Hacker, die es mit einer amerikanischen Erfolgsgeschichte auf sich nehmen. Die Chancen hätten zugegebenermaßen besser stehen können.“ Der Prozess findet in Delaware statt: Es kommt zu einem der wenigen Momente der Leichtigkeit, als die beiden Deutschen beim Zeitvertreib in einer nahegelegenen Bar beschließen, dass sie das, was heute als amerikanische Country Music durchgeht, nicht mehr ertragen können.
© Netflix
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Der Billion Dollar Code zieht das Publikum mit jeder Folge mehr in den Bann und baut die Spannung bis zum Finale auf. Mit dem Höhepunkt, der Aussage, wecken Thalheim und Ziegenbalg im Zuschauer zunächst die Erwartung eines klassischen Triumphs, bei dem die Fäuste in die Höhe gereckt werden, so wie wir es aus Gerichtsdramen kennen, doch dann wird das Hollywood-Klischee brutal enttäuscht. Auch wenn die Geschichte leicht fiktionalisiert ist, geht es doch um bittere Wahrheiten. Dem Publikum mag es gefallen, wenn am Ende alles gut wird, aber wann wäre der Kapitalismus je auf solche Enden angewiesen gewesen.

Standbild aus der Netflix series "The Billion Dollar Code": Carsten, Juri und die Anwältin Lea spielen nach der Urteilsverkündung noch einmal Pong in einer Bar. © Netflix
Mit seiner Schilderung der umstrittenen Anfänge von Google Earth zeigt Der Billion Dollar Code einige Parallelen zur Untersuchung des Falls Facebook in The Social Network. Schlüters und Müllers Geschichte steht stellvertretend für die größere Geschichte der Tech-Branche und macht deutlich, dass der Optimismus der 90er Jahre und die utopische Rhetorik, die das Internet einst umrankte, heute in einem ganz anderen Licht stehen.

Wir haben den Blick auf die Welt für immer verändert. Nur unsere Geschichte kennt kein Mensch. Aber das werden wir jetzt ändern...

The Billion Dollar Code


Die Figur des Carsten Schlüter ist an dem Computerkunstpionier Joachim Sauter (1959–2021) angelehnt. Mehr über Sauter erfahren Sie in dem Artikel Kunst aus der Zukunft
Lesen Sie auch den Übersichtsartikel zu der Designfirma Art+Com Melange aus Kunst und Kommunikation

DER BILLION DOLLAR CODE
Vier Folgen, 58 bis 77 Min.
Eine Serie von Oliver Ziegenbalg (Drehbuch) und Robert Thalheim (Regie)
Mit Mark Waschke, Mišel Matičević, Leonard Scheicher, Marius Ahrendt, Lavinia Wilson, Seumas Sargent, Lukas Loughran

Sehen Sie „The Billion DolLar Code“

Auf den Philippinen und in Deutschland

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