Deutsche Serien auf den Philippinen
Tribes of Europa

Der Zuschnitt des offiziellen Posters der Netflix Serie "Tribes Of Europa" zeigt die sechs Protagonisten der Serie.
© Netflix

März, 2021. Der Blätterwald ist in Aufruhr. Es flattert und schnattert unerhörlich und das Reizwort, das dazu geführt hat, ist: Identität. Oder besser gesagt die sogenannte Identitätspolitik, mit dem Kultur-konservative Medienmacher*innen die Bestrebungen von Minderheiten meinen, die wollen, dass ihre Belange genauso beachtet und wichtig genommen werden, wie die der sogenannten Mehrheitsgesellschaft. Durchaus interessant ist es, dass just in diese hitzig geführte Debatte hinein „Tribes of Europa“ erscheint, eine neue in Deutschland produzierte Netflix-Miniserie, in der Europa nach einer Apokalypse zu einer Stammesgesellschaft zerfallen ist. Ist das dystopische Drama also eine Liebeserklärung an „das große Ganze“, also das europäische Ideal?

Von Sascha Ehlert

Blackout

Es beginnt, wie von post-apokalyptischen Szenarien gewohnt mit Fakten: 2029 gab es einen globalen Blackout. Mit dem Niedergang der Technik zerfielen sowohl die Europäische Union als auch die Nationalstaaten. Die Anarchie regierte und aus Europa wurde ein vormodernes Gebilde, in dem verschiedene Stämme ihre paar Quadratkilometer Land mehr mit Gewalt als mit Diplomatie vor einander verteidigen. In diese Welt hineingeboren wurden Liv, Kiano und Elja vom Stamm der Origines. Die Stammeszugehörigkeit ist in dieser Welt das wichtigste, sie hat die Nachnamen ersetzt. Als ein Raumschiff aus Atlantis (der Mythos der Stadt im Meer ist der große Sehnsuchtsort und vielleicht gleichzeitig der Auslöser der technologischen Katastrophe, um die die Serie kreist) über dem Gebiet der Origines abstürzt, wird deren friedliches Zusammenleben mit der Natur bereits in der ersten Folge zerstört.

Denn: mit der Technologie aus Atlantis müsste man die Vormachtstellung über Europa (in der Serie ausgesprochen als englisches „Europe“ mit „A“ am Ende) erreichen können, weshalb zwei weitere Stämme, Crimsons und Crows, nun auf den Plan treten. Die Crows metzeln die friedfertig mit der Natur lebenden Origines nieder, versklaven die Überlebenden und nun sind alle entscheidenden Schachfiguren in Position. Kiano soll als Sklave für die Crows im ehemaligen Berlin in einer Fabrik beim Drogenabbau helfen, Liv überlebt mit Glück und landet im Lager der Crimsons und Elja reist, wie Frodo in Der Herr der Ringe, mit einem mehr oder minder treuen Gefährten, einem Schrotthändler, durch die Lande, um herauszufinden was es mit dieser Würfel-förmlichen Atlantis-Technologie auf sich hat, die er im abgestürzten Raumschiff fand und die alle haben wollen.
  • Standbild aus der Netflix Serie "Tribes of Europa" 1 © Netflix / Foto: Gordon Timpen

  • Standbild aus der Netflix Serie "Tribes of Europa" 1 © Netflix / Foto: Gordon Timpen

  • Standbild aus der Netflix Serie "Tribes of Europa" 1 © Netflix / Foto: Gordon Timpen

  • Standbild aus der Netflix Serie "Tribes of Europa" 1 © Netflix / Foto: Gordon Timpen

  • Standbild aus der Netflix Serie "Tribes of Europa" 1 © Netflix / Foto: Gordon Timpen

  • Standbild aus der Netflix Serie "Tribes of Europa" 1 © Netflix / Foto: Gordon Timpen

  • Standbild aus der Netflix Serie "Tribes of Europa" 1 © Netflix / Foto: Gordon Timpen

  • Standbild aus der Netflix Serie "Tribes of Europa" 1 © Netflix / Foto: Gordon Timpen

  • Standbild aus der Netflix Serie "Tribes of Europa" 1 © Netflix / Foto: Gordon Timpen

  • Standbild aus der Netflix Serie "Tribes of Europa" 1 © Netflix / Foto: Gordon Timpen

  • Standbild aus der Netflix Serie "Tribes of Europa" 1 © Netflix / Foto: Gordon Timpen

Origines, Crows, Crimsons

Soweit das Ausgangsszenario von „Tribes of Europa“, das vom deutschen Regisseur Philip Koch geschrieben und umgesetzt wurde. Koch ist auf sogenannte „schwierige“ Themen spezialisiert, seine ersten Drehbücher erzählten davon, wie Häftlinge einen anderen zum Selbstmord treiben („Picco“) oder von Missbrauch und Kinderhandel („Operation Zucker“). Und auch die Welt von „Tribes of Europa“ versucht sich an extremer Dunkelheit. So sind die Crows ein von archaischer Gewalt und Drogenmissbrauch angetriebener Stamm, der hedonistische Parties in alten Industriehallen feiert und bei dem ein Kampf bis zum Tod das Initiationsritual darstellt. So landet Kiano, bevor er sich am Ende der Staffel seine Freiheit erkämpft, in dem er seinen eigenen Vater umbringt, in den Fängen einer Crow, die ihn vergewaltigt. Liv wiederum verknallt sich bei den Crimsons, die letzten Überreste europäischer Militärs, in einen jungen Offizier, der später ebenfalls seinen eigenen Vater umbringt. Der Grund: der Vater möchte Friedensverhandlungen mit den Crows aufnehmen, er sie wiederum lieber alle niedermetzeln. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs der Gewalt dieser Serie, in der in sechs mal 45 Minuten literweise Blut fließt.
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Blutlust

Nicht, das ein Übermaß an Gewalt eine Geschichte zwangsläufig zu einer schlechten macht. Aber in „Tribes of Europa“ wirken all die Morde und Missbräuche wie billige Schockeffekte, die einen zwar bei der Stange halten, aber nichtsdestotrotz mehr schlecht als recht das Vakuum im Zentrum der Geschichte kaschieren. So stellt man sich die Frage, was Koch mit dieser durchaus gut aussehenden (Ausnahme: die unfreiwillig komischen Orgien-Szenen bei den Crows, die so aussehen wie man sich in Ontario vielleicht eine „normale“ Berliner Party vorstellt) Serie bezweckt? Will er darauf aufmerksam machen, wie gefährlich es ist, wenn wir uns nicht mehr an einem großen gemeinsamen Ideal orientieren, sondern versuchen Minderheiten-Interessen stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen? Das könnte man vermuten, jedoch geht jeglicher Inhalt, jegliche Aussage in der Blutlust der Kamera unter. Und das wäre sogar okay, hätte man das Gefühl, dass sich die Regie wirklich für die Schicksale der Figuren interessiert, die da missbraucht, gefoltert, niedergemetzelt werden – aber dem ist leider nicht so. Am frappierendsten ist das Beispiel von Kiano. Emilio Sakraya tut wirklich sein bestes dem jungen Mann Leben einzuhauchen, aber was ist da wirklich zu holen, wenn sogar seine Vergewaltigung eher erotisch als traumatisch inszeniert ist?

"Wir werden nie vergehen"

Ist diese Serie nun ein drastisch überzeichneter Kommentar auf unsere Gegenwart und auf die Gefahren, die uns mutmaßlich drohen, wenn wir nicht mehr sogenannten „allgemeingültigen“ Idealen folgen, sondern versuchen alle Partikularinteressen gleichermaßen zu berücksichtigen? Möglicherweise, allerdings keiner, der mit sonderlich viel Feingefühl geschrieben ist. Und überhaupt: welche Aussage will eine Serie treffen, in dem die Sympathien einem Tribe gehören, der sich tief in die romantische Düsternis des deutschen Waldes zurückgezogen hat? Deren Angehörige solche Sätze sagen: „Wir sind die Stimmen des Waldes, das Blut der Erde, (..) Wir werden nie vergehen.“? Eine Serie, in der der Diversität zuliebe zwar auch mehrere Schwarze Menschen gecasted sind, diese aber in der Regel nur Kanonenfutter oder Statist*innen darstellen? Eine Serie, in der die Crows, die aussehen wie eine Mischung aus Rammstein Live und Berghain-Gänger*innen mit Wehrmachtsfetisch, die einzig offensichtlichen Nazis sein mögen, aber irgendwie eigentlich die meisten Tribes völkischen Vorstellungen anzuhängen scheinen? Eine Serie, in der ganz zum Schluss erst der Femen-Stamm gezeigt wird – klar, die radikalen Feministinnen (O-Ton: „Bei denen willste nich landen als Schniedelträger.“) hebt man sich für eine mögliche Staffel Zwei auf – und von einer Spanisch sprechenden Hippie-Amazone auf einem Pferd dargestellt wird? Ehrlich gesagt: keine, die ich hören möchte. 
 

Die Serie blieb nach ihrer Veröffentlichung fast eine Woche lang in den Top Ten von Netflix und erzielte beeindruckende Zuschauerzahlen. Engagierte fans hoffen auf eine zweite Staffel, die Netflix allerdings noch nicht bestätigt hat.

Sechs Episoden à 44 - 49 min. Eine W&B Television Produktion: Executive Producers sind Quirin Berg, Max Wiedemann und Maximilian Vetter

Created by Philip Koch (Showrunner, Headwriter, Regisseur der Episoden 1, 2, 6 und Executive Producer)

Cast: Emilio Sakraya, Henriette Confurius, David Ali Rashed, Oliver Masucci, Melika Foroutan, Robert Finster, Ana Ularu. 

 

Stream „TRIBES OF EUROPA“

Auf den Philippinen und in Deutschland

Link-Icon  Netflix

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