Deutsche Filmwoche 2023

Deutsche Filmwoche 2023 © Olek Modzelewski

Fr, 20.01.2023 –
Do, 09.02.2023

Kino Muranów in Warschau

Die Deutsche Filmwoche, organisiert vom Goethe-Institut Warschau, Nürnberger Haus in Krakau, dem Generalkonsulat Breslau sowie German-Films, wird vom 20. Januar bis 2. Februar 2023 im Kino, und vom 3. Februar bis 9. Februar 2023 online stattfinden. Das Programm der Deutschen Filmwoche 2023 wird in Warschau, Krakau, Breslau, Kattowitz, Oppeln, Posen, Danzig, Thorn und Kielce gezeigt. Die ausgewählten Filme werden im Anschluss auf der Plattform MOJEeKINO.pl zur Verfügung gestellt.
 

Die Deutsche Filmwoche bietet einen Überblick über die neuesten Filme unserer deutschen Nachbarn. Wie jedes Jahr finden sich im Programm Filme, die nicht nur von KritikerInnen gelobt wurden, sondern auch das Publikum begeisterten und auf internationalen Festivals als Preisträger prämiert wurden. Zum Beispiel, die von Andreas Kleinert gedrehte Biographie von Thomas Brasch, unter dem Titel Lieber Thomas, gewann in 9 Preiskategorien des Deutschen Filmpreises, einschließlich der wichtigsten Kategorien für den besten Film, die beste Regie und das beste Drehbuch. Die Schauspielpreise wurden Albrecht Schuch und Jella Haase verliehen, die dem polnischen Publikum bestens bekannt sind. Der Autor, Dichter, Drehbuchschreiber und Autor von Theaterstücken Thomas Brasch war nicht der einzige ostdeutsche Dissident, dessen Biographie zur Filminspiration wurde.

Eine Dissidentin der gleichen Generation und gleichzeitig die charismatische Liedermacherin und Dichterin Bettina Wegner ist die Hauptfigur des Dokumentarfilmes von Lutz Pehnert. Aus Ostdeutschland kommt auch der sehr beliebte Musiker, Bühnenkünstler und Kabarettist Olaf Schubert, der durch Zufall entdeckt, dass sein biologischer Vater Mick Jagger sein könnte. In der investigativen Geschichte Olaf Jagger unter der Regie von Heike Fink, versucht er die Wahrheit zu finden. Welche mühevolle Arbeit die Informationsrecherche und Bestätigung von Informationsquellen darstellt, zeigt der Dokumentarfilm von Daniel Sager. Die Arbeit, der aus den Titelseiten der Zeitungen bekannten investigativen Journalisten, denen wir das Wissen über viele politische und wirtschaftliche Skandale verdanken, ist das Hauptthema seines Filmes Hinter den Schlagzeilen.

Nach der Wahrheit über die vergangenen Ereignisse, die kollektiv von der lokalen Gemeinschaft verdrängt wurden, sucht auch die Hauptfigur des Filmes Schweigend steht der Wald, unter der Regie von Saralisa Volm. Das charakteristische Merkmal des Protagonisten Julius, aus Jöns Jönssons Film Axiom, ist das ständige Lügen. Es scheint, als ob Julius ohne die fiktive Welt nicht normal funktionieren kann. Stefan Jäger knüpft im Film Monte Verità an die soziale Idee an, die vor 100 Jahren populär war. Die Hauptansätze dieser oben erwähnten Bewegung waren vor allem: Vegetarismus, Respekt für die Natur und die kreative Arbeit. Der Eröffnungsfilm der Deutschen Filmwoche 2023 ist die Komödie Contra von Sönke Wortmann. Der Regisseur stellt in seinem Werk die Kunst der Rhetorik ins Zentrum – eine Fähigkeit, die in Zeiten der sozialen Medien immer weiter vernachlässigt wird, aber die es durchaus wert ist, gelernt zu werden.

Das Programm:

CONTRA, Regie: Sönke Wortmann
MONTE VERITÀ, Regie: Stefan Jäger
SCHWEIGEND STEHT DER WALD, Regie: Saralisa Volm
BETTINA Regie: Lutz Pehnert
HINTER DEN SCHLAGZEILEN, Regie: Daniel Sager
LIEBER THOMAS, Regie: Andreas Kleinert
OLAF JAGGER, Regie: Heike Fink
AXIOM, Regie: Jöns Jönsson

Die Filme werden in der originalen Sprachversion mit den polnischen und ukrainischen Untertiteln gezeigt, mit Ausnahme „Scheigend steht der Wald“.

Organisatoren: Das Nürnberger Haus in Krakau, Goethe-Institut Warschau, Generalkonsulat Breslau, German-Films.
Partner: Mojeekino.pl, Goethe-Institut Krakau, Generalkonsulat Danzig, Deutsche Zentrale für Tourismus.
 

Das Programm in Warschau:

20.01.2023, 20:00 Uhr

CONTRA
Deutschland, 2021, 103'
 
Sönke Wortmann

Regie: Sönke Wortmann
Drehbuch: Doron Wisotzky, Victor Saint Macary, Yaël Langmann, Noé Debré, Yvan Attal
Kamera: Holly Fink
Besetzung: Christoph Maria Herbst, Nilam Farooq, Ernst Stötzner, Hassan Akkouch
Produktion: Constantin Film Produktion

Teilnahme an Festivals: Stony Brook Film Festival 2022, Berlinale 2022
Preise und Auszeichnungen: Der Publikumspreis, Stony Brook Film Festival 2022; Bayerischer Filmpreis (Auszeichnung in der Kategorie Darstellerin: Nilam Farooq); Ernst-Lubitsch-Preis (Auszeichnung für die Beste komödiantische Leistung: Nilam Farooq und Christoph Maria Herbst)

Naima, die frischgebackene Rechtswissenschaftsstudentin, verspätet sich für ihre erste Vorlesung und kann in einem überfüllten Vorlesungssaal keinen freien Sitzplatz finden. Der darauffolgende Kommentar des irritierten Juraprofessors ist nicht nur bösartig, sondern auch frauenfeindlich und rassistisch. Diese unangenehme Szene wird aufgenommen und ins Internet hochgeladen, worauf eine hitzige Debatte entsteht, dessen Konsequenz der allgemeine Aufruf zum Entlassen des Professors ist. Obwohl die prestigeträchtige Universität sich keinen Skandal leisten kann, ist sie nicht dazu bereit, einen sehr guten Hochschullehrer zu verlieren. Stattdessen beauftragt der Rektor den Juraprofessor, Naima für einen universitätsweiten Debattierwettbewerb zu coachen.

Der Film von Sönke Wortmann basiert auf dem klassischen humorvollen Prinzip der Zusammensetzung von zwei ProtagonistInnen aus unterschiedlichen Welten, die sich einander nicht besonders mögen. Durch die Beschäftigung mit einem aktuellen Thema wird Contra zu einer wichtigen Stimme in unserer alltagsbezogenen Diskussion, und versucht die folgenden Fragen zu beantworten: Wie sollte man eine Debatte mit einem Gegner führen, der unsere Meinung nicht teilt? Die Rhetorik- und Argumentationskunst, sowie die Überzeugung der Gesprächspartner von unserem Ansichtspunkt scheint in der Zeit der sozialen Medien eine längst vergessene Kunst zu sein, die nicht nur für Naima nützlich wäre, sondern auch für uns alle. Die von den FilmemacherInnen gewählten Themen des Debattierwettbewerbs betreffen unsere moderne Gesellschaft, deswegen lohnt es sich sowohl die Für- als auch die Gegenargumente der DisputantInnen auszuhören.

Sönke Wortmann ist in 1959 im nordrhein-westfälischen Marl geboren. Er studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film in München und am Royal College of Art in London. Sein Diplomfilm Drei D (1988) wurde zum Studentenfilm-Oscar nominiert. In 1992 bekam er den Deutschen Filmpreis für den Film Kleine Haie und seine Komödie Der bewegte Mann sahen 6,5 Million ZuschauerInnen. Im Jahr 2003 drehte er den Film Wunder von Bern, der vom Erfolg des deutschen Fußballteams in 1954 erzählte. Sönke Wortmann gehört zu den populärsten deutschen Regisseuren, der nicht nur an den regelmäßigen Filmproduktionen tätig ist, sondern auch als Theaterregisseur und Filmproduzent arbeitet.


21.01.2023, 20:00 Uhr

OLAF JAGGER
Deutschland, 2022, 95'
 
  • Olaf Jagger Heike Fink

  • Olaf Jagger Heike Fink

  • Olaf Jagger Heike Fink

  • Olaf Jagger Heike Fink



Regie und Drehbuch: Heike Fink
Kamera: Hajo Schomerus
Besetzung: Olaf Schubert, Anne-Marie Schubert, Rolf Schubert, Anna Lucia Gustmann
Produktion: Ester.Reglin.Film GmbH

Teilnahme an Festivals: Hof International Film Festival 2022
Preise und Auszeichnungen: Hofer Kritiker Preis, 56. Internationale Hofer Filmtage 2022

Der bekannte deutsche Komiker und Kabarettist Olaf Schubert findet beim Aufräumen des Kellers von seinen Eltern eine alte Radioaufnahme mit dem Interview, das seine Mutter mit Mick Jagger, dem Sänger derThe Rolling Stones, durchgeführt hat. Das Gespräch fand angeblich während des ersten Konzerts der Gruppe in der BRD in Münster in 1965 statt. Diese bemerkenswerte Entdeckung wird noch durch die Tatsache aufgewertet, dass die Mutter von Olaf Schubert als staatliche Journalistin in der DDR arbeitete, was im Grunde genommen die Möglichkeit ihrer Teilnahme am Konzert einer westlichen Band ausschließ. Das Interview ist aber da und es besteht kein Zweifel daran, dass es echt ist. Die Entdeckung motiviert Olaf Schubert dazu, seine eigene Familiengeschichte zu erforschen. Er kämmt die Archive durch und befragt nicht nur die damaligen und heutigen Fans von Mick Jagger und The Rolling Stones, sondern auch andere Rockstars, ihre Freunde und Bekannten. Auf seiner Suche nutzt er seine Popularität und sein breites Kontaktnetzwerk. Seine Spurensuche nach der Bekanntschaft seiner Mutter mit der Rocklegende lässt die ZuschauerInnen nicht nur einen Blick in seine Familiengeschichte werfen und ein gewisses Geheimnis entdecken, sondern auch über den soziopolitischen Kontext erfahren, der im Hintergrund des Interviews seiner Mutter mit Mick Jagger stand.

Der Bericht vom Kabarettisten Olaf Schubert über seine Spurensuche ist nicht ganz ernst zu nehmen. In seine Erzählung flechtet er viele unterschiedliche Motive, übertriebene Emotionen und witzige Situationen ein. Obwohl das Werk die Form eines Dokumentarfilm hat, ist es schwierig einzuschätzen, welche von den Filmfiguren echt und welche nur nachgeahmt wurden.

Die Filmhandlung schwankt zwischen Realität und Fiktion, und gerade wenn es so aussieht, als würde alles in einer Katastrophe enden, kommt es zu einem überraschenden Finale.

Heike Fink, geboren 1968, studierte Literatur und Soziologie. Sie schreibt Drehbücher, Romane, sowie Reportagen und ist als Hochschullehrerin an unterschiedlichen deutschen Universitäten tätig. Sie hat die folgenden Dokumentarfilme gedreht: Eisheimat (2012), Die Kirchenrebellinen (2020) und Olaf Jagger (2022).
 

22.01.2023, 20:00 Uhr

LIEBER THOMAS
Deutschland, 2021, 157'
 
Andreas Kleinert
Regie: Andreas Kleinert
Drehbuch: Thomas Wendrich
Kamera: Johann Feindt
Besetzung: Albrecht Schuch, Jella Haase, Ioana Iacob, Jörg Schüttauf
Produktion: Zeitsprung Pictures w koprodukcji z NDR, BR, WDR, ARTE

Festivalvorführungen: Istanbul Film Festival, 2022; Tallinn Black Nights Film Festival, 2021
Preise und Auszeichnungen: Deutscher Filmpreis 2022: Bester Spielfilm (Michael Souvignier, Till Derenbach), Beste Regie (Andreas Kleinert), Bestes Drehbuch (Thomas Wendrich), Beste männliche Hauptrolle (Albrecht Schuch), Beste weibliche Nebenrolle (Jella Haase), Beste Kamera/Bildgestaltung (Johann Feindt), Bester Schnitt (Gisela Zick), Bestes Szenenbild (Myrna Drews) und Bestes Kostümbild (Anne-Gret Oehme), Grand Prix für den besten Film und der Preis für den besten Schauspieler (Albrecht Schuch), Tallin 2021

Thomas Brasch, ein deutscher Schriftsteller, Dichter, Filmregisseur, Autor von Theaterstücken und Drehbüchern ist in England 1945 in eine Familie jüdischer Flüchtlinge geboren. Nach dem Krieg wurde sein Vater zum DDR-Parteifunktionär und gleichzeitig zum Mitarbeiter des Kultusministeriums. Thomas Brasch hat relativ früh die Diskrepanz zwischen der DDR-Realität und den Prinzipien bemerkt, auf denen angeblich der sozialistische Staat der DDR gegründet wurde. Seinen ersten Protest hat er gegen den Einmarsch des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei in 1968 geäußert. Denunziert vom eigenen Vater wurde er zuerst ins Gefängnis gebracht und später gezwungen, in einer Fabrik als Fräser zu arbeiten. In dieser Zeit entstanden seine ersten literarischen Werke, die erst 1977 veröffentlicht wurden, als Brasch zwangsmäßig in die BRD umgesiedelt wurde. Seine früher verfassten Theaterstücke wurden von der Staatszensur verboten. In der BRD fing er dann an, als Regisseur zu arbeiten. Seine Filme wurden in unterschiedlichen internationalen Filmfestivals gezeigt, wie z.B. dem Cannes Filmfestival oder Locarno.

Der schwarzweiße Film von Andreas Kleinert ist bedeutungsvoller als eine Biographie eines bekannten Künstlers und Dissidenten. Er ist ein Versuch, das Schicksal von vielen, zwischen zwei politischen Systemen zerrissenen Menschen darzustellen. Andreas Kleiner erzählt eine sehr aktuelle Geschichte über die politischen Teilungen, die die Gesellschaft, Gemeinschaft und Familie zerreißen. Das Motto vom Film, in den Andreas Kleinert die Sequenzen von Braschs Filmen und Texten einflechtet, könnte die Aussage vom Hauptprotagonisten des Filmes sein: „Die Widersprüche sind die Hoffnung“.

Andreas Kleinert ist in Ost-Berlin 1962 geboren. Er studierte an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf, der heutigen Filmuniversität Babelsberg. Sein Debütwerk Leb' wohl, Joseph, das im Filmwettbewerb während des Filmfestivals Locarno 1990 gezeigt wurde, wurde für den studentischen Oscar nominiert. Der Film Wege in die Nacht, der die Geschichte eines arbeitslosen Fabrikbesitzers erzählt, der von sich selbst „Recht und Ordnung“ einführen will, ist ein wichtiger Bestandteil seiner Filmografie. Außer der Kinofilme hat Andreas Kleinert an vielen Fernsehproduktionen gearbeitet, für die er zahlreiche Preise bekommen hat.
 

23.01.2023, 20:00 Uhr

MONTE VERITÁ. DER RAUSCH DER FREIHEIT
Deutschland, Österreich, Schweiz, 2021, 116'
 
Stefan Jäger
Regie:Stefan Jäger
Drehbuch: Kornelija Naraks
Kamera: Daniela Knapp
Besetzung: Maresi Riegner, Max Hubacher, Julia Jentsch, Hannah Herzsprung, Joel Basman
Produktion: tellfilm

Festivalvorführungen: Locarno 2021, Berlinale 2022, Trento 2022, Journées de Soleure 2022, Jerusalem Film Festival 2022

Hanna ist eine junge Ehefrau und die Mutter von zwei Töchtern. Ihr Mann ist ein erfolgreicher Porträtfotograf. Leider kann sich Hanna mit der Rolle nicht abfinden, die ihr das bürgerliche Wien um die Jahrhundertwende zugewiesen hat. Ihre zurückkehrenden psychischen Krisen werden vom Psychiater gemildert, der von ihrem Mann regelmäßig geholt wird. Während der Therapie erzählt ihr der Arzt von einer außergewöhnlichen Einrichtung, die in der Schweiz entstanden ist. Als die Protagonistin eine Nacht gegen ihre eheliche Pflicht Widerstand leistet, wird genau Monte Verità zu ihrem Fluchtort.

Der betitelte „Berg der Wahrheit“ wurde von den KünstlerInnen und anderen freigeistlichen Persönlichkeiten gegründet, die zum Anfang des 20. Jahrhunderts im Münchner Viertel „Schwabing“ in einer Künstlerkommune gewohnt haben. Als Ziel haben sie sich gesetzt, einen ganz neuen Lebensstil zu entwickeln, der der bürgerlichen Lebensweise eine Alternative bieten würde. Vegetarismus, Respekt für die Natur, kreative Arbeit und die Möglichkeit der Durchführung unterschiedlicher, künstlerischer Experimente, sowie ein freier, konventionsloser Lebensstil waren die Hauptprinzipien der Gemeinschaft, die sich auf Monte Verità eingesiedelt hat. Zu Ihren MitgliederInnen zählten, unter anderem, der Schriftsteller Herman Hesse, die Tänzerin Isadora Duncan und der Soziologe Max Weber.

Die in der patriarchalischen Welt erzogene Hanna findet sich nicht von Anfang an in der Freiheitsoase zurecht. Ihre Einstellung ändert sich erst dann, als sie ihren Interessen folgt und sich damit beschäftigt, was ihr in Wien immer verboten wurde: mit dem Fotografieren. Der Regisseur Stefan Jäger knöpft in seinem Film an die sozial vergessene Idee an, die die Quelle von vielen gegenwärtigen Alternativbewegungen und ihren PionierInnen war.

Stefan Jäger ist Regisseur, Drehbuchautor und Hochschullehrer. Er studierte Regie und Drehbuchschreiben an der Filmakademie Baden-Württemberg und heutzutage leitet er das Praxisfeld Drehbuch an der Zürcher Hochschule der Künste. Seine Filmografie beinhaltet fast zwanzig Positionen. Er besitzt die Produktionsfirma tellfilm GmbH Zürich und ist ein Mitglied der Europäischen und Schweitzer Filmakademie.
 

24.01.2022, 20:00 Uhr

AXIOM
Deutschland, 2022, 112' 
 
Jöns Jönsson
Regie und Drehbuch: Jöns Jönsson
Kamera: Johannes Louis
Besetzung: Moritz von Treuenfels, Ricarda Seifried, Thomas Schubert
Produktion: Bon Voyage Films

Filmvorführungen: Berlinale 2022, Edinburgh 2022

Als Axiome werden Sätze verstanden, die als wahr angenommen werden und die nicht bewiesen werden müssen. Julius, die Hauptfigur des Filmes, muss auch nicht beweisen, dass die Geschichten und Identitäten, die er ausdenkt, echt sind. Beispielsweise organisiert er für seine ArbeitskollegInnen eine Reise auf dem nicht existierenden Segelboot, das angeblich seiner aristokratischen Mutter gehört. Ein anderes Mal erzählt er den Eltern seiner Freundin eine bewegende Geschichte über seinen unglaublichen sozialen Aufstieg und die erfolgreiche Karriere im Architektenberuf. Seine meisterhaft konstruierten Lügen ähneln den wackelnden, jedoch sehr beindruckenden Türmen, die der Architekt kurz vor dem Umsturz rasant verlassen muss. In diesem Kontext sind seine akuten, angeblichen Gesundheitsprobleme, häufigen Jobwechsel oder sein plötzliches Ausziehen aus der Wohnung nicht überraschend. Wir wissen nicht, warum sich Julius die Sachen ausdenkt. Vielleicht ist er der Meinung, dass der Alltag zu langweilig sei und dass seine interessanten Geschichten das Leben schöner machen. Eine andere Erklärung wäre, dass ihm seine spannenden Erzählungen helfen, im Zentrum der Aufmerksamkeit anderer Menschen zu stehen. Es kann auch wohl sein, dass er unter der Konfabulation, d. h. der falschen Wahrnehmung oder Fehlfunktion des Gedächtnisses, leidet.

Die ZuschauerInnen werden in die ausgedachten Geschichten und die alternative, von Julius kreierte Realität eingewickelt. Auch im Internet wurde die alternative Realität zu unserem Alltag. Sie überrascht kaum jemanden mehr. In der virtuellen Welt ist die Fantasie sogar begehrt und sie wird mit den Likes oder mit der wachsenden Anzahl der Followers belohnt. Das Leben mit einer fiktiven Identität kann zur Last im echten Leben werden. Vielleicht sollte es auch zur Last in der virtuellen Welt werden.

Jöns Jönsson ist in Stockholm, Schweden geboren. Er wohnte in Italien, danach studierte er Kulturwissenschaft in Lund. In 2006 fing er mit seinem Filmstudium an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf, der heutigen Filmuniversität Babelsberg an. Er ist der Autor und Regisseur von vielen Theaterstücken und Kurzfilmen. In 2013 debütierte er mit dem Film Lamento.
 

25.01.2023, 20:00 Uhr

SCHWEIGEND STEHT DER WALD
Deutschland, 2022, 95'
 
Saralisa Volm
Regie: Saralisa Volm
Drehbuch: Wolfram Fleischhauer
Kamera: Roland Stuprich
Besetzung: Henriette Confurius, Noah Saavedra, August Zirner, Robert Stadlober
Produktion: POISON in Koproduktion mit if… Productions

Festivalvorführungen: Berlinale 2022, Lichter Filmfest Frankfurt International 2022, Internationales Filmfest Emden Norderney 2022, Guanajuato International Film Festival 2022, Semana de Cine Alemán Mexico 2022, HEIMAT EUROPA Filmfestspiele


Ania macht ihr Studienpraktikum in einem Wald, der sich in der Nähe der deutsch-tschechischen Grenze befindet. Eines Tages findet sie etwas Beunruhigendes in den Grundproben, die sie untersucht. Als Kind hat sie in der Ortschaft unweit des Waldes die Sommerferien verbracht. Auch in dieser Gegend ist ihr Vater vor einigen Jahren in ungeklärten Umständen verschwunden. Der Fall von ihrem Vater wurde nie geklärt und die Akten wurden geschlossen. Ania wohnt während ihrer Praktikumszeit im Haus, das ihr seit der Kindheit bekannt ist. Sie hofft auf die Spuren zu kommen, die ihr helfen werden, das Familiengeheimnis zu lösen. Leider kann sie die Mauer des Schweigens der lokalen Gemeinschaft nicht brechen. Ihre Forschungsarbeiten, die auf einer Waldlichtung Schicht um Schicht des Bodens freilegen, fangen an, die Unruhe der BewohnerInnen hervorzurufen.

Es ist kein Zufall, dass die Hauptfigur im Film von Saralisa Volm den Familiennamen „Grimm“ trägt. Das Werk ist reich an zahlreichen Anknüpfungen an die bekannten Autoren der deutschen Märchen. Nicht nur der unheimliche Wald als Handlungsort, sondern auch die beängstigenden Filmfiguren und das in Gefahr versetzte, junge Mädchen erinnern an die bekannten Werke. Die erzählte Geschichte ist aber kein Märchen. Sie stellt sich vielmehr als Versuch dar, sich mit den Mechanismen der kollektiven Verdrängung vergangener Ereignissen und der damit verbundenen, von der lokalen Gemeinschaft getragenen Konsequenzen, auseinanderzusetzen.


Saralisa Volm ist 1985 geboren. Sie studierte Kunstgeschichte und Philosophie und hat ihre eigene Produktsionsfirma POISON in 2014 gegründet. Ein Jahr später hat sie ihren ersten längeren Spielfilm Fikkefuchs unter der Regie von Jan Henrik Stahlberg als Produzentin gedreht. Saralisa Volm arbeitete auch als Kuratorin, Schauspielerin und Regisseurin. Sie ist die Buchautorin und Journalistin, die ihre Artikel in den folgenden Zeitungen veröffentlicht: „Süddeutsche Zeitung“, „Die Welt“ und „Die Zeit“. In 2021 debütierte sie als Regisseurin mit dem Film Schweigend steht der Wald, der auf dem gleichnamigen Roman von Wolfram Fleischhauer basiert.
 

26.01.2023, 20:00 Uhr

BETTINA
Deutschland, 2022, 110'
 
Lutz Pehnert
Regie, Drehbuch: Lutz Pehnert
Produktion: Solo:film

Filmvorführungen: Berlinale 2022
Preise und Auszeichnungen: FIPRESCI-Preis (Panorama)

Bettina Wegner ist Dichterin, Sängerin und Autorin. Sie ist 1947 in Berlin geboren und in einer linksorientierten Familie aufgewachsen, die nach dem 2. Weltkrieg Ostberlin als ihren Lebensort gewählt hat. Vom Beruf her ist sie Schauspielerin und Bibliothekarin. Schon als junges Mädchen hat sie auf verschiedenen Musikbühnen Konzerte gegeben, die sowohl von DDR-Jugendvereinen organisiert wurden, als auch in unabhängigen Einrichtungen stattgefunden haben. Bettina Wegner fing früh an, sich politisch zu engagieren, indem sie sich an Aktionen und Initiativen beteiligte, die von der damaligen kommunistischen Behörde als widerständig gesehen wurden. Für die Verteilung der Flugblätter gegen den Einmarsch des Warschauer Pakts in Prag 1968 wurde sie zum ersten Mal verhaftet, und zur Resozialisierung durch physische Arbeit in einer Fabrik verurteilt. Mit der Zeit kamen weitere politische Aktionen, wegen derer sie gezwungen wurde, in die BRD auszureisen.

Lutz Pehnerts ausgezeichneter Dokumentarfilm, der sich aus Interviews, Konzertarchivmaterial und Stasi-Unterlagen zusammensetzt, erzählt von der hervorragenden Sängerin, dessen Texte bis heute aktuell sind und stellt das Porträt einer unabhängigen Frau dar, die nach ihren eigenen Prinzipien lebt und ihren jugendlichen Idealen treu bleibt. Die Biographie von Bettina Wegner ist mit zwei Ländern verbunden, die durch die Mauer geteilt wurden und von zwei unterschiedlichen, sozialen und politischen Systemen geprägt waren. Ihre Biographie bietet den FilmemacherInnen den Impuls an, die neueste Geschichte Deutschlands aus der Perspektive der Person zu betrachten, die diese Zerrissenheit nicht akzeptiert und sich keinen allgemein geltenden Rahmen zuordnen lässt.

Lutz Pehnert ist 1961 in Berlin geboren. Er war bei der Tageszeitung „Junge Welt” tätig und schrieb für mehrere Zeitschriften. Seit 1995 arbeitet er als freiberuflicher Schriftsteller und Fernsehregisseur. Er beschäftigt sich mit den Künstlerporträts und Dokumentarfilmen zu den Themen Geschichte und Reisen. Seine Filmografie beinhaltet, unter anderem Ostrock - Zwischen Liebe und Zorn (2015), Partisan (2018) bis hin über Frank Castorf, den Regisseur und jahrelangen Direktor des Berliner Theaters Volksbühne, sowie Wer wir sind - Die DNA des Ostens (2021).
 
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