KINO 2017
Der aktuelle deutschsprachige Film überschreitet Grenzen

KINO 2017
Foto: Goethe-Institut / João Basílio

Die 14. Ausgabe von KINO – Festival des deutschsprachigen Films bringt eine breite Vielfalt deutschsprachiger Produktionen und Koproduktionen nach Lissabon, Coimbra und Porto. Corinna Lawrenz, die das Festival seit 2016 organisiert, spricht mit uns über die Ausgabe 2017.


Was ist KINO? Was macht die Identität dieses Filmfestivals aus?

KINO ist ein Filmfestival, das vom Goethe-Institut Portugal in Zusammenarbeit mit den Botschaften Österreichs, der Schweiz und Luxemburgs organisiert wird und in drei Städten in Portugal neueste Produktionen aus den beteiligten Ländern zeigt. Der portugiesische Titel „cinema de expressão alemã“ drückt dabei für mich viel über die programmatische Vielfalt des Festivals aus, das sich nicht auf deutschsprachigen Film beschränkt oder etwa auf Filmemacher, die in den deutschsprachigen Ländern geboren sind, sondern vielmehr einen Einblick in die oftmals international geprägten Filmszenen geben will und gesellschaftliche Thematiken der Länder aufgreift. 

EIN ANDERER BLICK AUF DIE DINGE

Nach welchem Kriterium werden die Festivalbeiträge ausgewählt?

Es ist schwierig, ein einziges Auswahlkriterium auszumachen. Ein Schwerpunkt liegt sicherlich darin, die Festivalerfolge des vergangenen Jahrs nach Portugal zu bringen und damit die etablierten Namen des unabhängigen deutschsprachigen Films. Der Fokus liegt dabei auf den großen deutschen Festivals wie der Berlinale, DokLeipzig, den Kurzfilmtagen Oberhausen, aber auch kleineren Festivals wie beispielsweise Hof. Es ist uns jedoch auch wichtig, jungen, noch unbekannten Filmemachern eine Plattform  zu geben, deshalb haben wir im letzten Jahr den sektionsübergreifenden Programmfokus „Novas Perspetivas geschaffen. Dieser soll sowohl stilistische Ansätze von jungen Regisseuren und Regisseurinnen reflektieren, als auch ihren Blick auf die Dinge in den Mittelpunkt rücken. Und schlussendlich ist dieser „Blick auf die Dinge“ auch ein grundsätzliches Auswahlkriterium, insofern wir gesellschaftlich relevante Thematiken aufgreifen möchten und hier auch versuchen, die Brücke nach Portugal zu schlagen. Das heißt, wir sind immer auf der Suche nach Filmen, die thematisch in Portugal ähnliche Relevanz haben wie im deutschsprachigen Raum. 

Was sind die größten Herausforderungen bei der Organisation von KINO?

Das Finden der roten Linie zum einen, was auch bedeutet, den ein oder anderen Film fallen zu lassen, den man eigentlich als sehr gelungen und spannend empfindet. Zum anderen ist es sicherlich die Frage nach der Definition von „expressão alemã“, die immer wieder zu verhandeln ist. Gerade das ist aber auch eine schöne Herausforderung, weil sie zeigt, dass wir es nicht mit einem starren Raum oder festgeschriebenen kulturellen Merkmalen zu tun haben, sondern vielmehr mit Ländern, die ständig in Bewegung und Veränderung sind – und in den letzten Jahren umso mehr. 

Der deutschsprachige Film ist beim portugiesischen Publikum nur wenig bekannt: Nur selten schaffen es Filme unbekannterer Regisseure in portugiesische Kinos. Inwiefern hat KINO dazu beigetragen, dies zu ändern?

Ich denke, dass KINO da tatsächlich eine Lücke schließt. Viele Filme stoßen ja bei Festivals durchaus auf großes Interesse und gute Kritiken und schaffen es dann dennoch nicht in den kommerziellen Kinostart. Genau hier setzt KINO an. Auf der anderen Seite kooperiert KINO auch mit Filmverleihen hier in Portugal. In diesem Jahr entsteht zum Beispiel die Abschlusssession "Vor der Morgenrote" aus solch einer Kooperation mit dem Verleih Alambique. Unsere gemeinsame Hoffnung ist, dass ein großartiger und wichtiger Film wie Vor der Morgenröte, der noch dazu ein portugiesisches Team im Hintergrund hat, dadurch zusätzliche Aufmerksamkeit beim Publikum erlangt.  Last but not least bringen wir in der Mostra para Escolas Schülern deutschsprachigen Film nahe und führen sie somit früh an ein Kino heran, das nicht dem üblichen kommerziellen Angebot entspricht.

grenzen überschreiten

Lassen Sie uns nun über KINO 2017 sprechen. Was sind die Höhepunkte der diesjährigen Ausgabe?

Das Interessante an dem Prozess der Programmauswahl ist ja, dass sich Tendenzen entwickeln, die von den Filmemachern gewissermaßen vorgegeben werden – die wiederum ja nicht losgelöst von gesellschaftlichen Kontexten arbeiten. So ergeben sich rote Linien. 

Eine dieser roten Linien ist in diesem Jahr das Überschreiten von Grenzen: Vom Eröffnungsfilm Grüße aus Fukushima über den Eröffnungsfilm der Sektion KINOdoc Homo Sapiens bis hin zum Abschlussfilm Vor der Morgenröte gehen viele Filme weit über die Ländergrenzen des deutschsprachigen Raums hinaus. So haben wir auch viele Koproduktionen und mit Fado, übrigens auch ein erster Langspielfilm, sogar eine deutsch-portugiesische Koproduktion im Programm. Das Thema Migration, das wir uns 2016 zum Schwerpunkt gesetzt hatten, rückt dabei erneut auch in den Fokus mit den Dokumentarfilmen Havarie und Friedland und dem Spielfilm Babai. Aber auch innere Grenzen werden überschritten: So betrachten viele Filme in diesem Jahr (wie beispielsweise Aloys, Die Dunkle Seite des Mondes oder der Kurzfilm Julian intensiv das Innenleben ihrer, teils sehr exzentrischen, Figuren. Zu guter Letzt freuen wir uns, in diesem Jahr einen sehr großen Anteil an Filmen weiblicher Regisseure im Programm zu haben – Doris Dörrie, Maria Schrader und Nicolette Krebitz, aber auch junge Regisseurinnen wie Theresa von Eltz und Anne Zohra Berrached. 

Wir freuen uns vor allem, dass wir zum Eröffnungsfilm mit Doris Dörrie, zum Abschlussfilm mit Maria Schrader und zur Portugalpremiere von Fado mit Jonas Rothlaender und großen Teilen des Filmteams wieder viele Gäste vor Ort haben.

In den letzten Jahren ist das Festival stetig gewachsen und inzwischen auch in Porto (seit 2013) und Coimbra (seit 2014) präsent. Was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?

Langfristig möchten wir KINO an weiteren Orten etablieren. Es ist ganz klar unser Ziel, nicht nur die großen Städte in Portugal zu erreichen, sodass wir neben dem Ausbau der Nutzung unseres Filmarchivs auch das Netzwerk von KINO ausweiten möchten. Das wird aber peu à peu geschehen, um uns an jedem Ort nach spezifischen Interessen und Gegebenheiten richten zu können.

Was kann das Publikum von KINO 2017 aus den Sessions mit nach Hause nehmen?

Wir hoffen, dass sich rege Diskussionen ergeben, da alle Filme sehr aktuelle und gleichzeitig universelle Themen behandeln. Zudem erhoffen wir uns reges Publikumsinteresse auch für die sehr spannenden Filme der Sektion KINOdoc und der beiden Kurzfilmsessions. Wie bei jedem Filmfestival sind auch bei uns Eröffnung und Abschluss die großen Highlights für die Zuschauer, deshalb können wir gar nicht oft genug betonen, wie interessant wir selbst das Programm als Ganzes finden. Wir wünschen uns vor allem, dass sich das Publikum aktiv an den Diskussionen beteiligt und dass es uns auch in den nächsten Jahren die Treue hält.