KINOdoc
Von Bildern und Ideenwelten

KINOdoc
KINOdoc 2018 | Foto: Teresa Laranjeiro © Goethe-Institut

KINO 2018 ist von Gegenwart geprägt, von einem kritischen – mal nachdenklichen, mal humorvollen – Blick auf das Heute, der beide Sektionen der diesjährigen Ausgabe gleichermaßen prägt, insbesondere die Dokumentarfilmreihe KINOdoc. 

KINOdoc als Bühne des vielfältigen dokumentarischen Filmschaffens der deutschsprachigen Länder spannt dabei den Bogen vom vermeintlichen Einzug des Globalen in die rückständige Provinz (Parchim International) über Künstlerportraits in ihrem gesamtgesellschaftlichen Kontext (Beuys, Denk ich an Deutschland in der Nacht) bis zu einer Betrachtung Berliner Subkulturen über mehrere Jahrzehnte (B-Movie – Lust and Sound in West-Berlin, Mein wunderbares West-Berlin).
 
Mit Beuys von Andres Veiel eröffnet in diesem Jahr erstmals ein Dokumentarfilm die Mostra KINO in Porto und Coimbra. Der Wettbewerbsfilm der Berlinale 2017 feierte kürzlich seine Portugalpremiere in Lissabon im Rahmen von Doclisboa, wo Regisseur Andres Veiel der Fokus der Sektion Heartbeat gewidmet war. Es liegt sowohl in Veiels dokumentarischer Sensibilität als auch in der Persönlichkeit des Künstlers begründet, dass Beuys wohl einer der charismatischsten deutschen Filme im Programm des größten deutschen Filmfestivals war, und die Entscheidung, mit ihm die kleineren KINO-Programme zu eröffnen, drängte sich förmlich auf. Dass damit die – in sich ja eher fiktionale – Trennung zwischen den beiden traditionellen Sektionen des Festivals (Hauptreihe und Dokumentarfilmreihe) aufgebrochen wird, ist positiver Nebeneffekt.

ZWISCHEN ARCHIVMATERIAL UND ZEITZEUGEN

Vier Jahre Recherchearbeit, 400 Stunden Film- und 300 Stunden Audiomaterial sowie unzählige Fotos bilden die Grundlage eines kompositionsgleichen audiovisuellen Portraits. Zu Wort kommen Zeitzeugen, doch vor allem spricht der Künstler selbst aus dem Film. Beuys ist somit weder kritisches Hinterfragen noch Heldenverehrung, als vielmehr Impuls für das Nachdenken über die gesellschaftlich-politische Gestaltungskraft der Kunst, das zumindest potentielle Künstlertum jedes Menschen – ausgehend von der utopischen Ideenwelt eines der wichtigsten, umstrittensten und widersprüchlichsten Künstler des letzten Jahrhunderts.
 
Auch B-Movie – Lust and Sound in West-Berlin und Mein wunderbares West-Berlin sind Begleiter eines gesellschaftlichen Wandels in all seinen Widersprüchlichkeiten, der Entwicklung Berliner Subkulturen von der Nachkriegs- bis in die Wendezeit und nicht zuletzt von politischen Kämpfen gegen die legal und gesellschaftlich repressiven Strukturen der jungen Republik. Auch sie basieren, wenn auch mit völlig unterschiedlichen Ansätzen, auf der Verwendung von Archivmaterial, das mit Zeitzeugenaussagen zu dichten Zeitstudien verwoben wird.
 

ZWISCHEN TANZFLÄCHEN UND APFELBÄUMEN

Neben Andres Veiel prägt mit Romuald Karmakar ein weiterer großer Name des deutschen Films die Sektion KINOdoc und ist ebenfalls Ausdruck einer künstlerischen Ideenwelt. Karmakars Film, bei weitem nicht das erste Abtauchen des Regisseurs in die Nachtwelt der Hauptstadt, geht zwischen Musikstudio, Tanzfläche und Streuobstwiese den Strukturen des Teppichmusters der elektronischen Musikszene in Berlin nach. Zwischen meditativen, sich selbst genügenden Clubsequenzen scheint in Gesprächen mit fünf Pionieren der Szene immer wieder die Idee einer Utopie von Gemeinschaft durch, die doch einem gegenwärtigen Gefühl der Verwundbarkeit ausgesetzt ist. Zwischen den Sounds des Urbanen klingt leise die elementare Bedeutung von Erdverbundenheit und Vogelgezwitscher.

Der umgekehrte Versuch, Provinzstille und Stillstand in betonierte Nicht-Orte des globalen Handels zu verwandeln, steht im Mittelpunkt von Parchim International. Auch diese Langzeitstudie handelt von Visionen, denen des chinesischen Investors Jonathan Pang nämlich, die sich jedoch wie ein Fähnchen im Wind des kapitalistischen Wandels drehen und schlussendlich immer wieder mit der Realität des schnöden Status Quo zusammenprallen.
 
Die Filme der jungen Regisseure Jakob Schmidt (Zwischen den Stühlen) und Elí Roland Sachs (Bruder Jakob) begleiten ganz persönliche Lebenswege, ersterer die wohl paradoxeste und nervenaufreibendste Phase im Leben angehender Lehrer, letzterer den Glaubensweg des zum Islam konvertierten Bruders. Statt zum reinen Dokumentationszweck wird in Sachs’ intimem Erstlingswerk das Filmen selbst zum Mittel des Dialogs zwischen Brüdern, in deren Beziehung das gegenseitige Unverständnis zum Normalfall geworden war.
 

WIE VIEL GESTERN STECKT IM HEUTE?

Die Brücke zwischen gestern und heute schlägt nicht zuletzt einer der wohl bekanntesten Dokumentarfilmer des diesjährigen Programms, Lutz Dammbeck, in seinem fast dreistündigen Essayfilm Overgames - einer Recherchereise zu den Ursprüngen von Gameshows in der amerikanischen Psychiatrie und den Umerziehungsprogrammen der Alliierten im Nachkriegsdeutschland. Als Reflexion auch unserer heutigen Medienwelt ist Dammbecks Film einer der herausfordernden Höhepunkte eines KINOdoc 2018 und seinen vielfältigen Fragen an die Gegenwart.