Der Roman Cox oder Der Lauf der Zeit von Christoph Ransmayr führt den Leser auf eine weite Reise bis ins China des 18. Jahrhunderts, an den Hof des Kaisers Qiánlóng, Gottkaiser und Herr über Himmel und Erde, dessen Macht keine Grenzen kennt und der es sich zum Ziel gesetzt hat, unzählige Uhren zu besitzen, nicht nur um den Zeitverlauf zu messen, sondern auch, um dessen vielfältige subjektive Wahrnehmung zu erfassen: vom Zeitgefühl im Kindesalter bis zur qualvoll stillstehenden Zeit des zum Tode verurteilten Menschen.
Also lädt Kaiser Qiánlóng Alister Cox, den berühmtesten Uhrmacher der westlichen Welt, an den Hof in Peking ein, wo dieser für ihn die Uhren seiner kaiserlichen Träume bauen soll. Die Einladung wird Cox an dem Tag überbracht, an dem seine fünfjährige Tochter Abigail verstirbt. An diesem Tag entschließt Cox sich dazu, nie wieder eine Uhr zu bauen; dennoch nimmt er die Einladung des Kaisers an und macht sich mit dreien seiner Mitarbeiter auf die Reise ins Reich der Mitte, wo er für den Herrscher mehrere Uhren baut.
Doch der letzte Wunsch Qiánlóngs ist eine ultimative Herausforderung: eine Uhr, die die Ewigkeit messen soll, eine unendlich laufende Uhr. Cox entwickelt ein Uhrwerk, das vollkommen unabhängig funktioniert und das immerfort die Zeit anzeigt, jahrhundertelang, ein Perpetuum mobile. Doch der Bau dieser Uhr hat einen Preis: Als ihr Schöpfer wird Cox „Herr über die Zeit“ und ist damit Qiánlóng gleichgestellt, was der Kaiser niemals tolerieren kann. In einem Land, dessen Kultur zwischen der ausgefeilten Schönheit der Rituale und den schrecklichen Methoden der Folter schwankt, kann eine solche Anmaßung Cox das Leben kosten.
Ransmayrs Werk ist eine feine Beschreibung des unbekannten und exotischen, faszinierenden und bedrohenden Chinas. In meisterlicher Sprache schafft der Autor eine prachtvolle und majestätische, an ein Fresko erinnernde Landschaft. Doch vor allem besticht der Roman durch seinen Erzählfluss: präzise wie ein Uhrwerk fließt er unaufhaltsam dahin und folgt dem fortwährenden Lauf der Uhrzeiger, der Jahreszeiten und der das Leben der Menschen bestimmenden Rituale.
Die jahrhundertealten Beziehungen zwischen Portugal und China und die enge kulturelle Verknüpfung beider Kulturen machen dieses Buch für den portugiesischen Leser besonders interessant. Das von Ransmayr beschriebene China des 18. Jahrhunderts weicht kaum von dem ab, das den Portugiesen zwei Jahrhunderte zuvor begegnete. In den Erlebnissen des Uhrmachers Cox und seiner Gefährten erkennt der Leser die Muster, die das Verhältnis zwischen China und dem Westen bis heute prägen: eine Mischung zwischen Neugier und verdecktem Misstrauen..