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Raimund Hoghe
Kategorien sprengen, Grenzen überwinden

Der Choreograph und Tänzer Raimund Hoghe.
Der Choreograph und Tänzer Raimund Hoghe. | Foto (Detail): © Rosa Frank

Anderssein – das interessierte Raimund Hoghe zeitlebens, als Journalist ebenso wie später als Choreograph und Tänzer. Über einen Künstler, der sich weder von seinem Körper noch in der Wahl seiner Kunstform eingrenzen ließ.
 

Von Romy König

Raimund Hoghes berufliches Leben begann als Journalist. Für die Wochenzeitung ZEIT verfasste er Porträts und Reportagen, die sich Berühmtheiten, aber auch Außenseiter*innen der Gesellschaft widmeten: Toilettenfrauen, Prostituierten, Aidskranken. Anschließend arbeitete Hoghe, der nie Theater oder Tanz studiert hatte, fast ein Jahrzehnt lang als Dramaturg für das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch.

Später entwarf er eigene Theater- und Tanzstücke für Schauspielende und Tanzkünstler*innen, produzierte bald auch Fernsehfilme, darunter für ARTE, das ZDF und den WDR. Doch auch für sich selbst entwickelte er Performances, so sein Solowerk Meinwärts, das er 1994 auf die Bühne brachte, und das mit Chambre séparée (1997) und Another Dream (2000) schließlich eine Trilogie bilden sollte.

„Den Körper in den Kampf werfen“

Schon in Meinwärts, in dem der Satz fällt, „er sei zu klein für sein Alter, sagen die Leute“, wird Hoghes Interesse daran deutlich, Körper zu zeigen, die nicht der Norm entsprechen. Seinen Körper. Hoghe, der mit einer Rückgratverkrümmung auf die Welt gekommen war, hängte sich in seinem Solostück mit nacktem Oberkörper an ein Trapez – offenbarte sich, seinen Rücken, sein Anderssein. „Die Konfrontation mit einem Körper“, der „herkömmlichen Vorstellungen von Schönheit“ nicht entspreche, sei eine der Inspirationsquellen für seine Stücke, sagte er später.

In der Schule soll sich Hoghe einmal als Statist für Schillers Die Räuber beworben haben. Er wollte Teil der Räuberbande werden, wurde stattdessen jedoch als „buckliger Schneider“ besetzt. So etwas prägt, und es macht kampfeslustig. Der italienische Regisseurs Pier Paolo Pasolini sprach einmal davon, „den Körper in den Kampf zu werfen“. Dieses fast schon brachiale Bild nutzte auch Hoghe für sich als „Anstoß, auf die Bühne zu gehen“.

Spuren hinterlassen

Hoghe war zeit seines Lebens so schöpferisch wie erfolgreich: Mit seinen Stücken gastierte er in Europa, Amerika, Asien und Australien; seine Bücher, etwa jene über das Tanztheater Pina Bausch, wurden weltweit verlegt. Neben zahlreichen anderen renommierten Auszeichnungen wurde ihm 2020 der Deutsche Tanzpreis verliehen. Damit werde nicht zuletzt ein Künstler geehrt, sagte die Tanzwissenschaftlerin Katja Schneider in ihrer Laudatio, der „die Präsenz des Abweichenden feiert“.

Tatsächlich wendet sich Hoghe in seinen Arbeiten nicht nur gegen geografische Grenzen, sondern auch gegen klassische Normen, gegen „Kategorien wie alt, jung, behindert, nicht-behindert“, wie er selbst einmal sagte. Und so waren es auch seine eigenen Erfahrungen und sein empfindsamer Blick auf die Welt, die Hoghe solche Menschen und ihre Schicksale in den Fokus nehmen ließ, die von der Gesellschaft nur allzu häufig marginalisiert werden. In seiner Performance Sans Titre beklagte er 2009 etwa die fast gänzliche Abwesenheit von Afro-Nachkommen in europäischen Theatern und lud ganz bewusst den kongolesischen Tänzer und Choreographen Faustin Linyekula ein. Das Konzept und Schlagwort der „Diversität“ war noch kaum im allgemeinen Sprachgebrauch der Menschen angekommen, da widmete er ihr bereits den Großteil seiner Arbeit.

Als Raimund Hoghe im Mai 2021 starb, blieb seine letzte Arbeit Traces unvollendet. „Traces“ – Spuren – hat er dennoch hinterlassen, in der Kunstwelt ebenso wie in der Diversitätsdebatte.

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