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Filmschaffen im Kollektiv
„Menschlichkeit vor Kunst“

„Menschlichkeit vor Kunst“: „Youth Topia“ sollte die Vision einer Gruppe sein.
„Menschlichkeit vor Kunst“: „Youth Topia“ sollte die Vision einer Gruppe sein. | Foto (Detail) : © Jonas Schneider

In Dennis Stormers und Marisa Meiers Film „Youth Topia“ ist Gemeinschaft das Wichtigste. Auch in der Produktion setzten sie nicht auf klassische Hierarchien, sondern auf die Kraft des Kollektivs.
 

Von Ana Maria Michel

Ein Algorithmus teilt in Dennis Stormers und Marisa Meiers Debütfilm Youth Topia allen den perfekten Job zu. Einmal im Bürojob angekommen, finden die Jugend und die Zeit der Partys ein Ende. Doch eine Gruppe sogenannter Langzeitjugendlicher wehrt sich. Sie hat etwas, was der vom Wunsch nach Selbstverwirklichung getriebenen Welt der Erwachsenen fehlt: Gemeinschaft. Ein Thema, das auch am Set von großer Bedeutung war. Ein Interview mit den beiden Regisseur*innen über neue Wege des Filmschaffens.

Die beiden Regisseure Dennis Stormer und Marisa Meier. Die beiden Regisseure Dennis Stormer und Marisa Meier. | Foto: © Freya Stoermer / Alice Vera Britschgi Marisa Meier und Dennis Stormer, Sie haben „Youth Topia“ im Kollektiv gedreht, ohne traditionelle Hierarchien und mit eigenen Produktionsgrundsätzen. Wie kam es dazu?

Dennis Stormer: Vor Youth Topia empfanden wir uns eher als Einzelgänger. Dann aber wurde uns bewusst, dass wir im Leben nach Gemeinschaft suchen, dass das etwas ist, was uns fehlt. Das Thema des Films hat sich dann auf unser Schaffen übertragen.

Marisa Meier: Wir wollten den Film nicht nur inhaltlich selbst gestalten, sondern auch die produktionellen Rahmenbedingungen. Wir finden es nicht gut, wie gewisse Dinge in der Branche laufen. Deshalb haben wir einen Leitfaden aufgestellt, eine Art kleines Manifest.

Was stört Sie an konventionellen Produktionen?

Stormer: Die Strukturen sind klar vorgegeben. In vielen Fällen sitzt dort ein älterer weißer Mann, der einem ohne Leidenschaft erklärt, dass es so zu sein hat, weil es immer schon so war. Wir sehen, wie sich Menschen überarbeiten. Der erste Punkt unseres Leitfadens lautet deshalb: „Menschlichkeit vor Kunst“.

Meier: Unser Film, für den wir beide gemeinsam das Drehbuch geschrieben haben, sollte nicht die Vision eines Genies sein, wie es in der Filmwelt gerne dargestellt wird. Er sollte die Vision einer Gruppe sein.

Jede*r redet überall mit, alles wird gemeinsam entschieden: So stellt man sich die Arbeit im Kollektiv vor. Wie war es bei „Youth Topia“?

Stormer: Es war nicht so, wie man sich chaotische Kollektive vorstellt.

Meier: Das Team war klein, es gab für jeden Bereich nur eine oder zwei Personen. Jeder hatte die Entscheidungskraft über seinen Bereich. Normalerweise redet die Regie etwa auch bei den Kostümen mit. Das war bei uns auch so, aber es war uns wichtig, Kompromisse zu suchen, den Leuten Vertrauen entgegenzubringen, sie Verantwortung übernehmen zu lassen.
Der Anfang ist gemacht, aber bei ihrem nächsten Projekt wollen die beiden Regisseure noch mehr auf Diversität achten. Filmstill aus „Youth Topia“. Der Anfang ist gemacht, aber bei ihrem nächsten Projekt wollen die beiden Regisseure noch mehr auf Diversität achten. Filmstill aus „Youth Topia“. | Foto (Detail): Jonas Schneider Gleiches Geld für alle ist auch einer Ihrer Grundsätze. Wie haben Sie das umgesetzt?

Stormer: Wer es nicht akzeptierte, konnte nicht mitmachen. Jede Person hat 200 Franken pro Tag bekommen; es sollte nicht mehr als zehn Stunden täglich gearbeitet werden. Marisa, Jonas Schneider, der für die Bildgestaltung verantwortlich war, und ich, die wir das Projekt kreativ getragen haben, haben jedoch weniger verdient. Beim nächsten Mal wäre es gut, wirklich alle gleichzustellen, das macht viel aus.

Bei den deutschen Fernsehsendern kam Ihr Konzept nicht so gut an, als Sie nach einer Finanzierung suchten.

Meier: Ich finde es erstaunlich, wie wenig Platz es in der kreativen Branche fürs Anders-Machen gibt. Aber dann haben wir den Fast Track Award der Zürcher Filmstiftung gewonnen, mit dem innovative Projekte gefördert werden. So hatten wir schon mal 80 Prozent des Budgets.

Die Welt der Jugendlichen sieht in Ihrem Film nach großem Spaß aus. War es am Set schwer, sich zu konzentrieren?

Stormer: Es gab Momente, die schwer waren, aber alle hatten einen krassen Anspruch an ihre Arbeit. Schwieriger war es, als wir dann die Erwachsenenwelt drehen wollten, die Umstellung war ein Schock. Wir haben unser ursprüngliches Bild-Konzept direkt über den Haufen geworfen. Ich finde, es ist etwas sehr Kollektives, sich und seine Pläne in solchen Momenten nicht für wichtiger zu halten als das Projekt.

Gibt es in Ihrer Generation noch andere, die ähnlich wie Sie arbeiten möchten?

Meier: Es gibt bei Leuten, die heute Produktion studieren, das Bedürfnis, mehr im kreativen Bereich mitzureden. Wie ich es wahrnehme, arbeitet die jüngere Generation gerne in Kollektiven. Sie macht sich auch mehr Gedanken um Ressourcen.

Würden Sie beim nächsten Film nochmal so arbeiten wie bei „Youth Topia“?

Stormer: Ich denke, unser Konzept muss immer wieder überarbeitet werden und es muss thematisch passen. Wir sehen es auch nicht als Dogma, dem jetzt alle folgen müssten.Meier: Ich denke, wir würden beim nächsten Mal noch konsequenter werden und zum Beispiel noch mehr auf Diversität achten. Ich würde die Menschen weiterhin gerne gleich bezahlen, aber ich würde ihnen gerne mehr Geld geben können.

 

Marisa Meier wurde 1992 in Zürich geboren, Dennis Stormer 1990 in Kiel. Sie studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg Produktion, er Regie. 2019 gründeten sie die Produktionsfirma „Intuition Club“. Ihr Debütfilm Youth Topiafeierte 2021 auf dem Zurich Film Festival Premiere, wo er den Publikumspreis gewann. Es folgten weitere Auszeichnungen und ein Kinostart in der Schweiz. Bald soll Youth Topia auch in Deutschland zu sehen sein.

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