Fotobücher
Etwas zum Anfassen

Rainer Viertlböck | Oktoberfest | Titelbild der Buchpublikation
Rainer Viertlböck | Oktoberfest | Titelbild der Buchpublikation | © Rainer Viertlböck (Ausschnitt) | courtesy Schirmer/Mosel

Auf der größten Fotomesse, Paris Photo, präsentieren jährlich 30 Verlage ihre neuesten Fotobücher und bewerben sich damit für den Book Award. Ulrich Pohlmann, Leiter der Sammlung Fotografie im Münchner Stadtmuseum erklärt den deutschen Fotobuchmarkt, seine Besonderheiten und die Zukunft im Zeitalter der Digitalisierung.
 

Herr Pohlmann, wie ist nach Ihrer Meinung die Situation auf dem deutschen Fotobuchmarkt in Deutschland?
 
Ich denke, die Situation ist recht gut, weil wir viele Verlage haben, die kontinuierlich Fotobücher herausbringen. Die bekanntesten sind ja Schirmer/ Mosel, Steidl, Hirmer, Prestel, Hatje Cantz, Kehrer, Kerber, das sind die Akteure, genauso wie Peperoni Books, Revolver und viele kleinere Verlage, die jetzt eigene Programme fahren. Das Interessante ist, dass auch die etablierten Kunstverlage die Fotografie mit ins Programm genommen haben.
 
Gab es Veränderungen im Verlagswesen aufgrund der Digitalisierung?
 
Die Digitalisierung hat sich vor allem auf den Produktionsprozess ausgewirkt. Weil heute alles schneller geht, können Bücher in viel kürzerer Zeit produziert werden. Während man früher drei Monate vorher als Redaktionsschluss festlegte, tun es heute schon acht Wochen. Das heißt, die ganze Szene und die Produktion ist viel schnelllebiger geworden. Die Konkurrenz durch digitale Angebote ist noch nicht so spürbar, wie in der Belletristik, weil das haptische Erleben im Vordergrund steht. Und dafür spricht auch, dass es so viele verschiedene Fotobuchfestivals gibt, auf denen sich auch Kleinstverlage engagieren. Dabei stellt sich für die Künstler immer wieder die Frage, ob man den Weg des Self-Publishing geht, also andere Vertriebswege sucht.
 
War es früher nicht ein wichtiger Schritt in der Karriere eines Fotografen, zuerst ein Fotobuch in einem prominenten Verlag zu veröffentlichen?
 
Ja, das ist es heute, glaube ich, auch noch. Das Fotobuch ist ein eigenes Ausdrucksmittel. Letztendlich dokumentiert es das Werk auch anders als eine Ausstellung, die doch eher ein flüchtiges Ereignis ist. Bücher als eigenes Narrativ sind ein wichtiger Teil der künstlerischen Arbeit heute.
 
Wie muss man sich ein Fotofestival vorstellen?
 
Ein Zugpferd sind natürlich die Book Awards, die prämierten Bücher. Zum Beispiel die größte Fotomesse in Paris, Paris Photo, hat auch einen Book Award, der mit einer amerikanischen Stiftung, der Aperture Foundation realisiert wird, da werden die interessantesten Fotobücher, die vorher eingereicht worden sind, von einer Jury beurteilt. Es gibt eine Shortlist und dann werden die Preise vergeben. Ansonsten präsentieren sich dort die verschiedenen Verlage. In Paris sind es im November immerhin 30, das ist beachtlich. Im deutschsprachigen Raum gibt es auch einige Fotobuchfestivals: das profilierteste deutsche findet in Kassel statt. Daneben gibt es in Berlin und Wien jeweils kleinere Festivals.
 

  • Karl Blossfeldt | Die Welt ist Schön | Verlag Ernst Wasmuth, 1919 Foto: Fotosammlung/ Stadtmuseum München
    Karl Blossfeldt | Die Welt ist Schön | Verlag Ernst Wasmuth, 1919
  • Albert Reger-Patzsch | Die Welt ist schön | Kurt Wolff Verlag, 1928 Foto: Fotosammlung/ Stadtmuseum München
    Albert Reger-Patzsch | Die Welt ist schön | Kurt Wolff Verlag, 1928
  • Werner Gräff | Es kommt der neue Fotograf! | Verlag Hermann Reckendorf, 1929 Foto: Fotosammlung/ Stadtmuseum München
    Werner Gräff | Es kommt der neue Fotograf! | Verlag Hermann Reckendorf, 1929
  • Hans Richter | Filmgegner von heute – Filmfreunde von morgen | Verlag Hermann Reckendorf, 1929 Foto: Fotosammlung/ Stadtmuseum München
    Hans Richter | Filmgegner von heute – Filmfreunde von morgen | Verlag Hermann Reckendorf, 1929
  • Mario Bucovic | Manhattan Magic | New York | M.B. Publishing Company, 1937 Foto: Fotosammlung/ Stadtmuseum München
    Mario Bucovic | Manhattan Magic | New York | M.B. Publishing Company, 1937
  • Andre Kertesz | Day of Paris | J. J. Augustin Publisher, 1945 Foto: Fotosammlung/ Stadtmuseum München
    Andre Kertesz | Day of Paris | J. J. Augustin Publisher, 1945
  • Ken Ohara | One | Tsukiji Shokan, 1970 Foto: Fotosammlung/ Stadtmuseum München
    Ken Ohara | One | Tsukiji Shokan, 1970
  • Juergen Teller | Go Sees | Scalo, 1999 Foto: Fotosammlung/ Stadtmuseum München
    Juergen Teller | Go Sees | Scalo, 1999

 


Wie wird die Szene in Deutschland wahrgenommen und beobachtet?
 
Man kann schon sagen, dass auch die deutsche Fotografie im Ausland sehr genau wahrgenommen wird, ohne immer nur auf „die Bechers“ (Hilla und Bernd Becher) und die „Struffskies“ (Thomas Struth, Thomas Ruff und Andreas Gursky) abzuheben, die natürlich international eine enorme Strahlkraft entwickelt und vielleicht auch manchmal zu sehr das deutsche Image der Fotografie geprägt haben. Daneben gibt es ja doch sehr viel mehr. Aber Fotobücher aus Deutschland werden sehr stark rezipiert. Sie müssen allerdings für den angelsächsischen Raum auch eine englische Übersetzung haben.
 
Was hat sich in den letzten Jahren verändert?
 
Das Angebot an Fotobüchern ist ungebremst riesig, aber es ist heute schwieriger geworden, größere Auflagen an das Publikum zu bringen. Es erscheinen ganz viele Bücher in Kleinauflagen von 500 oder 1.500 Stück. Das hängt damit zusammen – wie in der Belletristik – dass häufig die Bücherschränke der Klientel, die Bücher oder Kunstbücher kaufen, voll sind und die junge Generation manchmal andere Wahrnehmungsformen hat. Dennoch gibt es auch bei jungen Fotografen ganz engagierte Sammler.
 
Spricht man mit dem Fotobuch ein spezialisiertes Publikum an, das auf die Ästhetik und auf das Haptische reagiert?
 
Drucktechnisch muss das natürlich stimmen, die Typografie, die Bindung, das Format, aber eben auch die Erzählform; das Layout, wie ist der Text eingefügt, wie verlaufen Bildstrecken. Das sind eben schon Elemente, die man digital auf die Art und Weise nicht so nachvollziehen kann. Man kann zwar auch digital blättern, doch Sie können zum Beispiel nicht mit drei Fingern im Buch vergleichen. Das ganze sinnliche Erleben ist etwas anderes. Sie versenken sich ganz anders in eine Buchseite, als Sie das am Bildschirm tun, irgendwann tun Ihnen da die Augen weh und sie werden müde.
 
Gibt es bestimmte Themen, die in Deutschland bearbeitet werden?
 
Wir könnten generell unterscheiden zwischen konzeptuell künstlerisch angelegten Büchern, Fototheorie und den Bänden, die historische Themen aufgreifen. Man kann sagen, dass die zeitgenössische Fotografie die absolute Präferenz genießt. Wenn man sich historische Bildbände ansieht, dann dominiert das 20. Jahrhundert. Fotobände zum 19. Jahrhundert werden in Deutschland weniger angenommen, anders als in Frankreich und auch in den angelsächsischen Ländern. Das hängt stark damit zusammen, dass die universitäre Lehre in Deutschland hinterherhinkt. Es gibt zu wenig kunsthistorische und bildwissenschaftliche Professuren, in denen die Fotografie im Fokus steht. In Deutschland ist dieses Bewusstsein für die Tradition dieser fotografischen Bildkultur, die in anderen Ländern wie England und Frankreich vorhanden ist, nicht so entwickelt.
 
Sind die Verlegerpersönlichkeiten beim Fotobuch entscheidend?
 
Unbedingt, die Verleger sind ja sozusagen das Gehirn des Verlages. Wenn man merkt, dass ein Verleger nur kaufmännisch denkt, dann ist er für den Fotobuchmarkt die falsche Person. Es muss schon jemand sein, der eine Vision und eine Vorstellung hat. Die Zukunft des Fotobuches hängt sicher nicht nur an den Fotografen und Museen, sondern auch an den Verlegerpersönlichkeiten. Gerhard Steidl und Lothar Schirmer sind in Deutschland vielleicht die bekanntesten Persönlichkeiten, die wiederum sehr unterschiedlich sind. Letztendlich stehen die beiden für ihre Konzeption. Es gab auch in der Vergangenheit Verlage, wie den Nishen-Verlag, die Edition Braus, die heute keine Rolle mehr spielen. Ich würde nicht pessimistisch vorhersagen, dass das Digitale den Fotobuchmarkt aufrollt. Ich glaube auch, dass es nach wie vor Verlegerpersönlichkeiten braucht in dem Bereich, ähnlich wie in der Literatur. Man verkauft eben keine Warenhausprojekte, man verkauft Inhalte.
 

 

 

Ulrich Pohlmann Foto: Fotosammlung/ Stadtmuseum München Der Kunsthistoriker Ulrich Pohlmann leitet seit 1991 das Fotomuseum (heute Sammlung Fotografie) im Münchner Stadtmuseum. Er hat zahlreiche thematische und monografische Publikationen und Ausstellungen an Museen in Europa und Nordamerika zur zeitgenössischen Fotografie und zur Historie des Mediums konzipiert und organisiert. Als Gastdozent war er an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, an der Züricher Hochschule der Künste und an der LMU in München tätig. Er lebt und arbeitet in München.