Computerspielsammlung
Avantgarde der Bewahrung

Sammlung Computerspiele der USK (Freiwillige Selbstkontrolle Unterhaltungssoftware)
Sammlung Computerspiele der USK (Freiwillige Selbstkontrolle Unterhaltungssoftware) | © USK

In Deutschland entsteht die weltweit größte Sammlung für Computerspiele. Mehr als 50.000 Titel einzelner Sammlungen sollen mit Mitteln des Bundes erst erfasst, dann zusammengetragen werden.
 

Dafür haben sich drei Projektpartner zusammengetan: Peter Tscherne (PT) ist Geschäftsführer der Stiftung Digitale Spielekultur, die das Projekt organisiert und koordiniert. Andreas Lange (AL) ist Direktor des Berliner Computerspielemuseums, das seine Spielesammlung in die Initiative einbringt. Sebastian Möring (SM) ist Medienwissenschaftler und Koordinator des Digital Games Research Center der Uni Potsdam, die ebenfalls eine Sammlung einbringt.
 
Meine Herren, wie ist die Idee für die Sammlung entstanden?
 
Andreas Lange (AL): Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), das Computerspielemuseum und die Universität Potsdam haben festgestellt, dass wir einzeln über beträchtliche Sammlungen von Originaltiteln verfügen. Da kann bei einer Zusammenlegung mit relativ wenig Aufwand eine sehr große und relevante Sammlung entstehen.
 
Peter Tscherne (PT): Unsere Stiftung hat unter anderem den Auftrag, Potenziale von digitalen Spielen für die Gesellschaft sichtbar zu machen. Dazu gehören auch Sammlungen unserer Partner, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
 
Warum gehören Computerspiele überhaupt in ein Museum?

Sebastian Möring (SM): Als Medien- und Kulturwissenschaftler sehe ich keinen Grund, warum Spiele nicht auf der gleichen Höhe wie Filme, Literatur, Musik behandelt werden sollten. Zumal es sich ja um Medien handelt, mit denen ein großer Teil der Jugend aufwächst. Ob wir das wollen oder nicht: Deren Weltblick wird von diesen Erfahrungen geformt. Also ist es wichtig, sich mit diesem Medium zu beschäftigen. Und ich glaube auch, dass Spiele einen großen Einfluss darauf haben, wie unsere Kultur in Zukunft funktionieren wird.
 
PT: 50 Prozent aller Deutschen spielen. Alleine das zeigt schon, wie wichtig dieses Medium ist.
 
AL: Wir haben gerade verstanden, wie groß die Veränderung für unsere Gesellschaft, für unsere Kultur durch die Verbreitung digitaler Technologien ist. Spiele sind historisch die erste Anwendung, die Nichtspezialisten erlaubt, mit Computern umzugehen. Auch in Zukunft wird jedes Kind erstmalig in Form eines Spiels mit dem Computer in Berührung kommen.

Pongautomat (Atari, 1972) im Computerspielemuseum Berlin Pongautomat (Atari, 1972) im Computerspielemuseum Berlin | Foto: Jörg Metzner, © Computerspielemuseum Computerspiele sind digital. Warum muss man die physisch sammeln?
 
PT: Es gibt ja auch Filmsammlungen, -archive und -museen. Die Filme könnte man ja ebenfalls digital zeigen und anschauen. Aber auch da ist es sinnvoll, dass die Werke im Original zur Verfügung stehen.
 
AL: Unsere Bestände sind physischer Natur. Das repräsentiert schlicht und einfach die ersten drei bis vier Jahrzehnte kommerzieller Computerspielekultur, die in die 1950er-Jahre zurückgeht. Da steht uns gar nichts anderes zur Verfügung. Wir kennen das aus anderen Kulturbereichen: Gerade diese Anfangszeit ist für zukünftige Generationen ganz wichtig, um zu verstehen, wie sich alles entwickelt hat. Und diese physikalischen Bestände von originalen Datenträgern sind ein Unterscheidungsmerkmal zu anderen großen Games-Sammlungen. Das Internet Archive etwa verfügt über Tausende historischer Spiele; allerdings ohne originale Kopien. Es gibt also keine lizenzrechtliche Grundlage. Dagegen ist mit jeder physikalischen Kopie in unserer Sammlung das Recht verbunden, dieses Spiel zu spielen.
 
Dann kann die Öffentlichkeit alle Spiele der Sammlung nutzen?
 
AL: Unser Ziel ist, den Zugang so gut und so niedrigschwellig wie möglich zu organisieren. Allerdings wissen wir, dass der Weg gerade im rechtlichen Bereich noch einiges an Abklärung erfordert.
 
Aber viele Spiele erscheinen heute ja nicht mehr auf Datenträgern. Wie werden die archiviert?
 
AL: Da muss man nochmal unterteilen: Reine Downloadspiele kann man einfach herunterladen. Der Bruch kommt, wenn das gesamte Spiel auf einem Server liegt, und der Spieler loggt sich nur noch ein. Solche Spiele zu bewahren, ist in der Tat eine ganz neue Herausforderung. Da hat man als Sammler, als Bewahrer nichts mehr in der Hand. Ich persönlich kann mir da nur Lösungen vorstellen, die zusammen mit der Games-Industrie entwickelt werden.

SM: Das ist ohnehin eine Schwierigkeit des Mediums. Bei einem Multiplayer-Onlinespiel wie EVE Online können Sie den Code oder das Programm verfügbar machen. Aber das, was viele Tausend Teilnehmer in EVE Online in den letzten zehn Jahren erspielt haben, ist schwer zu sammeln. Das ist eine Eigenart des Mediums.
 
AL: Das sind Fragen, die ebenso auf Facebook und andere digital gestützte Lebensbereiche zukommen. Insofern sind wir als Gamesbewahrer auch eine Art Avantgarde, die sich als erstes mit solchen Fragen konfrontieren muss.

Goethe-Institut
Sebastian Möring, Peter Tscherne und Andreas Lange im Gespräch.


Die Sammlung trägt das Wort „International“ im Namen. Ist sie das auch, oder hat sie einen Schwerpunkt auf Deutschland gelegt?
 
AL: In Deutschland werden Spiele zur Alterskennzeichnung bei der USK eingereicht. Durch dieses Archiv ist ein deutscher Fokus in der Sammlung. Allerdings sind viele der bei der USK eingereichten Spiele im Ausland hergestellt, das sind japanische, amerikanische Spiele, vielleicht in einer deutschen Lokalisierung. Es ist sehr schwer vorauszusehen, was zukünftige Generationen an Fragestellungen an das Medium, an die Geschichte herantragen. Insofern wollen wir eine breite Basis legen.
 
PT: Absolut. Wir sitzen mit der USK auf einer Etage. Ich bin öfter im Archiv: In den letzten Jahren lag der Anteil internationaler Spiele mindestens bei 60 bis 80 Prozent. Schon von daher gibt es keine Beschränkung auf deutsche Spiele.
 
Wie teuer wird das Projekt denn?
 
PT: Wir haben vom Bundestag eine Zusage von etwa 140.000 Euro für den Aufbau der Datenbank bekommen, der ungefähr ein Jahr dauern wird. Und er hat sich verpflichtet, ab 2018 mit noch einmal 250.000 Euro die Zusammenführung der Sammlungen vorzubereiten. Wenn es darum geht, die Sammlung auch physisch zusammenzulegen, sprechen wir von deutlich höheren Kosten. Das wäre dann vermutlich ab 2019 der Fall.
 
Ist so viel Geld aus öffentlicher Hand auch ein Signal für gesellschaftliche Anerkennung?
 
AL: Sicherlich. Meines Wissens gibt es international keinen vergleichbaren Beschluss.
 
PT: Die Bereitstellung des Geldes ist ein klares Signal. Gleichzeitig liest man, dass in Polen 20 Millionen Euro Branchenförderung fließen, ohne großes Tohuwabohu. Das ist in Deutschland nicht der Fall. Hier geht es, verglichen mit England, Frankreich, Polen und Kanada, um Kleckerbeträge.
 
SM: Gesellschaftliche Anerkennung erkennt man auch daran, wie viel und wie unterschiedlich mit Computerspielen umgegangen wird. Auf Youtube sind Let‘s Plays ein großes Phänomen, da zeichnen sich Leute beim Spielen auf und kommentieren das Gameplay. Sie unterhalten sich über das Computerspiel und treten über das Thema miteinander in Kontakt – das ist eine Form, die sich von der Anerkennung durch die Politik unterscheidet.