Ausstellung Condition humaine / 18+

Hans-Peter Feldmann Liebe Love, 2006 © Hans-Peter Feldmann. By courtesy of Moscow Museum of Modern Art

Mi, 02.11.2016 –
So, 08.01.2017

Moskauer Museum für Moderne Kunst

Condition humaine Teil II
Scheint dir nicht, dass die Zeit der Liebe gekommen ist?
Der Mensch und die anderen, Liebe, Freundschaft, Verdacht, Abneigung.

Auftakt des zweiten Teils des mehrjährigen, vom Goethe-Institut unterstützten Kunstprojekts Condition humaine“ unter dem Titel „Der Mensch und die anderen, Liebe, Freundschaft, Verdacht, Abneigung“ ist die Ausstellung „Scheint dir nicht, dass die Zeit der Liebe gekommen ist?“. Präsentiert werden Videoarbeiten, Installationen, Fotografien und Bücher von 23 Künstlern aus der ganzen Welt, darunter Yoko Ono, Boris Mikhailov, Jonas Mekas, Sophie Calle, Andy Warhol und Hans-Peter Feldmann. Einige der Exponate wurden eigens für die Ausstellung geschaffen. Die Ausstellung  ist in vier semantische Abschnitte gegliedert und erkundet die innere Dialektik des wohl wichtigsten menschlichen Gefühls – der Liebe.

Der erste Abschnitt mit dem Titel „Liebe ist kälter als Tod” beschäftigt sich mit dem komplexen zwiespältigen Wesen dieses Gefühls und widerlegt die romantische Sicht auf die Liebe als ekstatische, sich selbst genügende Erfahrung. Liebe lässt nicht zwei Subjekte zu einer Einheit werden, im Gegenteil ist sie nur möglich, weil es zwei getrennte Subjekte gibt. Das Subjekt, das sich dem Gefühl der Liebe hingibt, erlangt nicht so sehr ein anderes Subjekt, sondern findet eher zu sich selbst zurück. „Darin besteht die Liebe: dass sich zwei Einsame beschützen und berühren und miteinander reden“, schrieb Rainer Maria Rilke. Was wir im Zustand der Liebe gewinnen, können wir nie ganz fassen, es entgleitet uns beständig. Das Mehr wird zu einem Mangel. Nur dies ermöglicht die „ewige“, „unsterbliche Liebe“.

Wie Francois La Rochefoucauld schrieb, würden Menschen sich nicht verlieben, hätten sie nicht vom Konzept der Liebe gehört. Der zweite Abschnitt der Ausstellung, „Fragmente einer Sprache der Liebe“, konzentriert sich auf den sozialen Aspekt dieses Gefühls. Liebe ist stets auch Präsentation, Spiel und Darbietung, sie hat teil an der Tradition der Liebe und ist, zumindest teilweise, Liebe zum Empfinden der Liebe selbst. 

Der dritte Teil der Ausstellung, „Die Zeremonie der Liebe“ erkundet, wie Liebe vom Ritual angezogen wird, das als anthropologische Grundlage für soziale Bindungen gilt. Wie Jean Genet feststellte, wird Liebe durch eine Begegnung ausgelöst. Nach einer solchen Begegnung wollen sich Liebende immer und immer wieder treffen.

Die Überschrift des vierten Ausstellungskapitels, „Das Persönliche ist politisch“, spielt auf den Slogan amerikanischer politischer Aktivisten der 1970er-Jahre an. Sprachpsychologen behaupten, bei einem Sprachenwechsel verändere sich die Realität; bei einem Wechsel unserer täglichen Verhaltensweisen verändern wir die Struktur der sozialen Umwelt. So wird Liebe zu einer Metapher und einer realen Kraft, die unsere Gesellschaft erneuert. Als Ereignis, das die tägliche Routine sprengt, sei die Liebe immer ein Moment der Wahrheit, betont Alain Badiou. Sie behaupte stets die Möglichkeit einer neuen Daseinsart.
 
Die Ausstellung wird begleitet von Filmvorführungen, Vorträgen und Diskussionen. Das Hauptprogramm findet im Dezember 2016 statt.
 
Künstlerinnen und Künstler
Bisan Abu Eisheh, Rania Bellou, Felix Gonzalez-Torres, Ion Grigorescu, Nuria Guell, Akram Zaatari, Sophie Calle, Eli Cortinas, Fouad Elkoury, Jonas Mekas, Lee Mingwei, Boris Mikhailov, Tracey Moffatt, Nikolay Oleynikov, Yoko Ono, Koka Ramishvili, Mariateresa Sartori, Anita Sieff, Andy Warhol, Hans Peter Feldman, Gabriella Ciancimino, Katerina Seda
 
Künstlerischer Leiter des Projekts: Viktor Misiano
Kuratorin der Session: Elena Jaytschnikowa 
 
Zum Projekt „Condition humaine“
Von drei führenden Moskauer Einrichtungen, dem Staatlichen Zentrum für moderne Kunst (NCCA), dem Moskauer Museum für moderne Kunst (MMOMA) und dem Jüdischen Museum und Toleranz-Center konzipiert, besteht dieses interdisziplinäre Projekt aus sieben einander ablösenden thematischen Sektionen, die Ausstellungen, Symposien, Vorträge und Workshops umfassen.

Der Titel des Projekts verweist auf Hanna Arendts Buch „The Human Condition“, in dem sie versucht, eine der wichtigsten Fragen des vorigen Jahrhunderts zu beantworten: Wie kann man angesichts unserer tragischen Geschichte menschlich bleiben? Die Grundidee des Projekts, das drei Museen vereint, geht von der Annahme aus, dass der Mensch und seine Rolle im 21. Jahrhundert heute erneut in den kulturellen Mittepunkt rücken. Viele Künstler und Denker greifen zurück auf Themen wie Erinnerung und Traumata, Wurzeln und Obdachlosigkeit, Biografie und Schicksal, Hoffnung und Liebe, Glaube und Treue. Die gegenwärtige Realität lässt sich nicht auf eindeutige Definitionen und erschöpfende Interpretationen reduzieren. Der Mensch und seine Erfahrung bilden deshalb Ausgangs- und Endpunkt einer aktuellen Sicht auf die Welt.

„Condition humaine“ verknüpft Forschungs-, Ausstellungs- und Diskussionsformate und spricht weltanschauliche Themen an, präsentiert einen Querschnitt aktueller Diskussionen im geisteswissenschaftlichen Bereich und bezieht das Publikum in den Dialog prominenter internationaler Intellektueller ein. Ziel des Projekts ist nicht, Ergebnisse anzubieten, sondern die Beweglichkeit und Komplexität des zeitgenössischen Denkens und der Wahrnehmung der Welt zu reflektieren. Es will eine gemeinsame Plattform für die intellektuelle und künstlerische Auseinandersetzung mit drängenden Fragen der Gegenwart und den Herausforderungen unserer bewegten Epoche sein.

Abschließen wird das Projekt mit einer großen Ausstellung und einem Sammelband mit Beiträgen der Diskussionsteilnehmer.

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