Ausstellung Leninskij 95 a / Das Goethe-Institut ist geschlossen

Leninskij 95a © Goethe-Institut

Do, 27.02.2020 –
Do, 30.04.2020

Um die Gesundheit unserer Besucherinnen und Besucher zu schützen, ist das Goethe-Institut vorübergehend geschlossen. Bitte besuchen Sie die Ausstellung, wenn wir das Gebäude wieder geöffnet haben, vielen Dank für Ihr Verständnis!

Wie lässt sich die Geschichte eines Gebäudes erzählen? Wie eine Gegenwart erfassen, die von materiellen und immateriellen Hinterlassenschaften durchdrungen ist, die sie wie ein atmosphärischer Schatten begleiten? Und wer erzählt diese Geschichte? 

Das heute vom Goethe-Institut genutzte Gebäude am Lenin-Prospekt 95a wurde Mitte der 1980er-Jahre als DDR-Botschaft errichtet. Zur Grundsteinlegung kam der damalige Staatschef der DDR Erich Honecker. Das Gebäude war ein Beweis der sowjetisch-ostdeutschen Freundschaft und in der Größe der Anlage eine Machtgeste: ein modernistischer Monolith auf freiem Feld mit repräsentativer Zufahrt vom Lenin-Prospekt, einer der wichtigsten Ausfallstraßen Moskaus. Heute ist diese Zufahrt blockiert durch ein Hochhaus, und auf dem einst freien Feld drängen sich Wohnblöcke: Der Bau der dritten Ringlinie, die hier in nächster Zukunft eröffnet wird, hat einen neuen Bauboom bewirkt.

Das Gebäude selbst ist seit 1992 Sitz des Goethe-Instituts Moskau, des Kulturinstituts der vereinigten Bundesrepublik Deutschland. Wegen der Materialschwäche des Betons ist es dauerhaft verhüllt – wie ein Kunstobjekt Christos. Im Inneren überlagern sich verschiedene, einander widersprechende ästhetische und ideologische Raumprogramme. Setzte die Innenausstattung der DDR-Botschaft auf bürgerliche Repräsentation mit Wandtapeten, Marmorverkleidungen, Parkett und Kronleuchtern, wird dies konterkariert durch die fröhlichen, Offenheit signalisierenden Farben des Goethe-Instituts sowie die pragmatischen Anforderungen eines modernen Kultur- und Bildungsinstituts.

Das Goethe-Institut ist der letzte verbliebene Nutzer des Gebäudes am Lenin-Prospekt. Nachbarn im gleichen Komplex waren lange Zeit das deutsche Konsulat und etliche deutsche Firmen. Doch seit 2015 leert sich das Gebäude zunehmend; ganze Raumfolgen sind verwaist, werden zu Leerstellen, wie auch die Erinnerung an das Land, dessen Botschaft dieses Gebäude einmal war, immer mehr blinde Flecken aufweist.
In seinen materiellen Sedimenten verbergen sich jedoch zahlreiche Geschichten. Sie sind der Ausgangspunkt des KunstprojektsLeninskij 95a: In den vergangenen Jahren wurden in loser Folge Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland und Russland eingeladen, sich dem Gebäude künstlerisch zu nähern und neue Arbeiten zu entwickeln. Indem sie die Aufmerksamkeit auf scheinbar Nebensächliches lenken, auf Orte, die zunehmend aus der Wahrnehmung verschwinden, werden verborgene Schichten, wird die Überlagerung verschiedener Zeitebenen und Narrative fassbar – das Gebäude wird zum Palimpsest der deutsch-deutschen und deutsch-sowjetischen bzw. russischen Geschichte.

Das Künstlerduo Andree Korpys und Markus Löffler (Bremen/Berlin) produzierte einen Trailer über das Gebäude, in dem auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Goethe-Instituts zu Wort kommen. Jeanne Faust (Hamburg) experimentierte mit Collagen von Detailaufnahmen des Gebäudes, die sie zu einem Künstlerbuch verarbeitete. Das Moskauer Tanzensemble FarForYo entwickelte eine Choreografie für die tänzerische Erkundung des Gebäudes, die auf Video aufgezeichnet wurde und fotografisch dokumentiert ist. Die deutsch-russisch-französische Künstlerin Eleonore de Montesquiou konzipierte eine imaginäre Tour durch das Gebäude mithilfe von Tonaufnahmen aus verschiedenen (teils nicht öffentlichen) Räumen, begleitet von einem Booklet mit Zeichnungen von de Montesquiou und einem Text des Architekturhistorikers Sergey Nikitin. Elske Rosenfeld (Berlin) widmet ihre Arbeit der Kartoffelsorte „Adretta“, die in der Sowjetunion ebenso wie in der DDR verbreitet war und aus Sicht der Künstlerin eine Botschafterin zwischen Sowjetunion und DDR, Sozialismus und Post-Sozialismus, Kultur und Natur ist.

Die teils dokumentarischen, teils poetischen künstlerischen Reflexionen ermöglichen neue Sichtweisen auf das Gebäude am Leninskij Prospekt 95a. Sie erzählen ganz unterschiedliche Geschichten und laden so zu einer Auseinandersetzung mit dem Umgang der Hinterlassenschaften der deutschen Geschichte ein.
 
Astrid Wege
 
Ausstellungsprojekt des Goethe-Instituts

 

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