Claudia Rusch
Kaukasusblog XIV: Lascha statt Sascha

Ich hab’s schon mal erwähnt (siehe: Kaukasusblog VI): ich arbeite an einem neuen Roman. Ich werde jetzt keine Details verraten (das Netz steckt voller Spione, huuu): aber es geht oberflächlich um eine Dreiecksbeziehung, unterschwellig um Liebe und eigentlich um Freiheit. „Grenzen“, sagt Ana: „Du und Tamta, ihr schreibt beide über Grenzen. Das passt gut.“
Interessanter Einwand. Ich würde sagen, das wiederkehrende Thema aller meiner Bücher ist die Freiheit. Aber Freiheit und die Überwindung von oder auch das Scheitern an Grenzen sind natürlich eng miteinander verbunden. Räumlich und thematisch. Vielleicht liegt der Unterschied am Ende ja nur in der Blickrichtung…

An Grenzen jedenfalls (und zwar jeder Art) reiben sich auch meine drei Hauptfiguren. Am schmerzvollsten hat es dabei (wieder: in jeder Hinsicht) einen von mir ursprünglich als Exil-Russe angelegten Charakter erwischt. Dass er Russe sein sollte, hat mit Faktoren zu tun, die ich hier nur aufzähle, aber nicht erkläre (das tut dann nächstes Jahr der Roman selbst…). Eine nicht unwesentliche (und auch titelgebende) Rolle spielt dabei ein Lied von Bulat Okudschawa aus dem sowjetischen Ober-Kultfilm Weiße Sonne der Wüste. Eine andere Rolle spielt der Dichter Wladimir Majakowski.

Aber irgendwann gefiel mir das mit dem Russen nicht mehr. Wieder aus Gründen, die ich hier nicht ausbreite. Ich haderte zunehmend mit der Herkunft dieser Figur. Und dann kam Georgien.

Und dann kam die Idee, meinen Russen einfach Georgier sein zu lassen. Immerhin war auch Bulat Schalwowitsch Okudschawa Georgier. Das würde schon mal dafür sorgen, dass ich meine Planung nicht komplett umstürzen müsste.

Und dann fuhr ich nach Kutaissi, in Westgeorgien.

Und dann unternahmen Dana Schluchtmann vom DAAD und ich, beide mit gewisser Renitenz ausgestattet, nach meiner Lesung heimlich schnell eine, eigentlich nicht geplante, Mini-Stadtführung (Danke noch mal, Dana!).

Dabei kommt man im Zentrum von Kutaissi an der Schule Nummer Eins nicht vorbei. Und wer steht vor der Schule Nummer Eins auf einem zwei Meter hohen Sockel? Als Schüler mit einem Buch in der Hand? WLADIMIR WLADIMIROWITSCH!!!

Zu meiner nicht enden wollenden Begeisterung (freudiger wie verwirrter) stellte sich heraus, dass Majakowski (der Prototyp eines Moskauer Dichters der Zwanziger Jahre) im georgischen Baghdati geboren wurde, in Kutaissi zur Schule ging und fließend Georgisch sprach. Er selbst hat Georgisch sogar als seine Muttersprache bezeichnet (obwohl er ethnisch kein Georgier war, sondern eine klassisch-wilde Zarenmischung aus Russe, Kosak und Ukrainier).

Mit Majakowskis enger Georgienbindung war es wie mit den meisten Dingen im Leben: Wenn man zielgerichtet danach sucht, wird man sofort fündig - wenn man aber nicht darauf achtet, überliest man es einfach...

Jedenfalls: da musste nichts mehr entschieden werden. Es steht jetzt fest: Russe raus, Georgier rein. Aus Sascha wird Lascha.

Ein bisschen pathetisch aufgeblasen, könnte man formulieren: Lascha ist das literarische Vermächtnis meiner Autorenresidenz im Kaukasus 2016. (Wenn das nix is, liebes Goethe-Institut...)

Lascha ist hierzulande ein sehr verbreiteter Männername, der auf Abchasisch Sonne bedeuten soll. Da hab ich meinen funkelnagelneuen Lascha auch gleich mal von dort kommen lassen. Watwa ham, hamwa.

(Die genauen historischen Hintergründe werde ich im Roman später erklären. Jetzt nur so viel: Sochumi, einer der mondänsten Badeorte am Schwarzen Meer, liegt in der abtrünnigen autonomen Republik Abchasien, die - wie das ebenso blutig umkämpfte Südossetien - eigentlich zu Georgien gehört. Die Russen mischen an beiden Fronten kräftig militärisch mit, die meisten Georgier wurden inzwischen vertrieben. Es gab Massaker und viele Tote. Auch so eine traurige Kaukasusgeschichte…)

Darf ich vorstellen: Laschas erste Umrisse:

„Seine schöne alte Sprache voller kehliger Laute und weicher Vokale hörte ich ihn selten sprechen. In Berlin hatte er wenig Gelegenheit dazu. Er suchte sie auch nicht. Sein Freundeskreis bestand vor allem aus Russen. Jedenfalls, was die Deutschen dafür hielten. Postsowjetische Russischsprecher würde es eher treffen. Vielleicht lag es daran, dass Lascha aus Sochumi kam. Sein Hang zur Sprache des Feindes war nicht nur ein steter bizarrer Versuch der Selbstauslöschung oder der verbalen Umkehrung seiner Geschichte, es war fernab aller Gegebenheiten auch die Sprache seiner Kindheit, die Sprache, in der er singen, lesen und schreiben gelernt hatte und die einzige Sprache, die seine Mutter korrekt beherrschte. Seine Frau sprach sie, seine gesamte Schwiegerfamilie, seine Kinder. Russisch war mehr Zuhause als er je in Deutschland gefunden hatte. Aber im Herzen blieb Lascha Georgier.“