Claudia Rusch
Kaukasusblog XI: Gori

Kaukasusblog XI: Gori
© Claudia Rusch

Nach der ganzen Schwärmerei ist es vielleicht angebracht, auch mal was Kritisches zu posten. Überprüfung der eigenen Wahrnehmung, Perspektivwechsel und so. Doch, doch, Georgien hat auch Schattenseiten. Bisher kann ich für mindestens drei meine Hand ins Feuer legen.

1. Verkehrslage
(Autofahrer, Staus, fehlende Ampeln, Öffentlicher Nahverkehr, Marschrutkas, Taxis – alles ahhhhhh)

2. Bürgersteige
(so sicher die Wege im kriminalistischen Sinne – so lebensgefährlich ihr Zustand für Fußgänger)

3. Gori
Gori ist keine bedeutende Stadt. Aber sie hat einen berühmten Sohn. 1878 wurde hier, gut 80 km nordwestlich von Tbilissi, in einer Schusterhütte Iosseb Bessarionis dse Dschugaschwili geboren. Die Weltgeschichte geprägt hat er unter seinem russifizierten nom de guerre Jossif Wissarionowitsch Stalin.

Und deshalb wurde 1957, vier Jahre nach Stalins Tod, zentral am oberen Ende des Stalin-Boulevards gelegen, ein Stalinmuseum eröffnet. Der Marmorpalast samt Inhalt und Umgebung sind nur aus einem einzigen Grund interessant – weil dort seit der Eröffnung vor 59 Jahren so gut wie nichts verändert wurde. Das heißt, in Gori sind nicht die Ausstellungsstücke oder die Auseinandersetzung mit Stalin (welche Auseinandersetzung?) das Spannende, sondern das Museum selbst ist das eigentliche Exponat.

Zu sehen sind im ersten Stock sämtliche Stationen aus Stalins Leben, unaufgeregt aneinandergereiht, in tiefer Verehrung. Fotos, Gemälde, Papiere, Geschenke, Devotionalien und Artefakte jeder Art. Sein Konferenztisch aus dem Kreml ist zu besichtigen, die Pfeifensammlung, ein Reiskorn mit seinem Namen. Stalin hier, Stalin da. Draußen vor dem Museum wurde sein Elternhaus schützend in nichts weniger als einen antiken Tempel eingebaut und der Eisenbahnwaggon, in welchem der Stählerne (der Zeit seines Lebens an sagenhafter Flugangst litt) sein Reich abfuhr, steht auch auf dem Gelände. Der Eintritt kostet 5 Lari extra. Stalins Totenmaske liegt in einer mit schwarzem Tuch improvisierten Gedenkhalle, Trauermusik erklingt, die Miniatur des Moskauer Mausoleums trägt noch selbstverständlich die Namenszüge beider großer Führer der Sowjetunion. Gori ist kein Museum, Gori ist eine Zeitreise.

Ob ich mir vielleicht etwas Stalin-Kontextualisierung gewünscht hätte, fragt ein freundlicher ORF-Journalist und ich lache laut ins Mikrofon. Gori und eine kritische Stalinbetrachtung schließen sich gegenseitig aus. Man kann Stalins Jahrhundertverbrechen hier in keinen Kontext setzen. Wer beginnt aufzeigen, was Väterchen Stalin dem Sowjetvolk tatsächlich angetan hat (für die, die es immer noch nicht wissen: die Forschung spricht von weit über 20 Millionen Toten), dem bleibt nichts als dieses Museum umgehend abzufackeln.

Aber das weiß man ja normalerweise schon, wenn man Gori besucht. Deswegen kommt man doch! Des großen sowjetischen Heldenkinos wegen, das hier völlig ungebrochen gezeigt wird.

Mich nervt vielmehr das ewige Mediengerede davon, dass die Georgier immer noch so stolz seien auf ihren Stalin. Welche Georgier genau eigentlich? Ich habe noch nie einen einzigen Georgier kennengelernt (ich kenn allerdings auch niemanden aus Gori), der auf Stalin stolz gewesen wäre. Im Gegenteil. Die meisten Familiengeschichten, die ich höre, ähneln der meiner eigenen Familie. Sie erzählen von Vertreibung, Verfolgung und Verhaftungen (meist der daraufhin für immer verschwundenen Väter). Repressalien und Leid, die allen bis heute in den Knochen sitzen und von einem romantischen Blick auf Josef Stalin nicht weiter entfernt sein könnten.

Lange unentschlossen war ich allerdings bei der Frage, wie ich den Museumshop finden soll. Ich schwankte zwischen Empörung, Panik und Belustigung. Dieser Kiosk mit seinen Stalin-T-Shirts, Stalintassen, Stalin-Trinkflaschen (zum Joggen oder auch als hippe Stadtvariante für den Weg ins Büro), Stalinjagdmessern, Stalinzigarettenetuis, Stalinfeuerzeugen, Stalinlöffeln, Stalinarmbanduhren, Stalinschnapsabfüllungen, Stalinschlüsselanhängern, Stalintischbüsten, Stalinbuttons (?!), Stalinkühlschrankmagneten (!!?), Stalinkugelschreibern (!?!?!) et cetera ist einfach sowas von jenseits aller Wirklichkeit, dass ich nicht wusste, was ich unglaublicher finden sollte: die Existenz dieser Souvenirs oder die Existenz ihrer Käufer. Am Ende beschloss ich, dass der „Souvenirsalon Stalin“ (er heißt tatsächlich so) dermaßen absurd ist, dass es schon wieder komisch ist. Und Lachen hat früher bekanntlich auch schon oft geholfen.

Schmore er in der Hölle. Mitsamt seinen Sammeltassen.