Digitale Kompetenz schaffen

Durch die Corona-Pandemie ist deutlich geworden, wie notwendig die gezielte Vermittlung digitaler Kompetenz in allen Lebensbereichen ist. Vor allem Schulen stehen jetzt vor den Fragen: Welche Facetten digitaler Kompetenz sollen vermittelt werden? Und wie verändert sich das Verständnis von gutem Unterricht?
Von Raphael Fehrmann
Plüschtiere mit App-gesteuerter Spieluhr, um Virtual Reality erweiterte „intelligente“ Lern‑Globusse, Sprachsteuerung über „Alexa“: Smarte Spielzeuge halten zunehmend Einzug in Kinderzimmern. All diese Geräte machen Informationen verfügbar und schaffen Komfort. Sie ermöglichen beinahe unbegrenzten, orts- und zeitunabhängigen Konsum von Musik, Medien und Wissen. Im Verborgenen bleibt jedoch häufig, dass die „smarten Helfer“ mithilfe von Algorithmen nicht nur Daten über uns sammeln, sondern diese analysieren und beispielsweise für die gezielte Anzeige von Werbung nutzen.
Gleichzeitig bieten sich durch die Möglichkeiten des Digitalen neue Räume zur Teilhabe: Nahezu unbegrenzte Informationsmengen werden durch Suchmaschinen zugänglich; „Likes“ und „Shares“ über Social Media verändern die gesellschaftliche Art des Handelns und Kommunizierens; visuelle wie auditive Medien können gemeinsam diskutiert, bearbeitet und angepasst werden – eine Kultur der Digitalität entsteht.[1]
Damit jedoch ein bewusster, reflektierter und (selbst-)kritischer Konsum sowie eine gleichberechtigte Teilhabe an Medien möglich wird, benötigen Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene digitale Kompetenz – die schulische Realisierung digitaler Bildung ist notwendig.
Was ist digitale Kompetenz? Drei Perspektiven
Einen Überblick über die drei zentralen Dimensionen digitaler Kompetenz illustriert das Dagstuhl‑Dreieck [2]:
Zur gezielten Verwendung von Suchmaschinen für die Durchführung einer Internetrecherche benötigen die Schüler*innen Wissen darüber, welche Suchmaschinen existieren, wie diese mithilfe eines Browsers genutzt werden können und welche Suchbegriffe geeignet sind sowie darüber, dass neben den Treffern auch Werbeanzeigen in den Ergebnislisten erscheinen (anwendungsbezogene Perspektive / Wie nutze ich das?).
Auf gesellschaftlich-kultureller Perspektive (Wie wirkt das?) bedürfen die Schüler*innen der Kompetenz zu hinterfragen, warum Suchmaschinen ihre Dienste kostenlos anbieten, wie die eingegebenen Daten für das spätere Ausspielen personalisierter Werbung genutzt werden können und wie zu erkennen ist, ob gelieferte Treffer durch die Betreiber der Suchmaschine priorisiert beziehungsweise vorgefiltert wurden.
Damit diese Fragen beurteilbar werden, müssen die Schüler*innen über Kompetenzen in Bezug auf die technologische Perspektive (Wie funktioniert das?) verfügen: Wie werden Seiten und Informationen einer Suchmaschine zugänglich gemacht? Warum sind die Trefferlisten nicht vollständig? Auf Basis welcher Prinzipien werden Treffer aufgelistet, und wie ist es möglich, Millionen von Ergebnissen binnen Bruchteilen einer Sekunde zu liefern?
Digitale Kompetenz im Unterricht (er-)leben
Studien zeigen, dass digitale Medien im Unterricht bislang zumeist zweckorientiert eingesetzt werden: Vor allem werden von Lehrkräften Erklärvideos zu Vermittlungszwecken im Unterricht präsentiert – sie bilden dem „Deutschen Schulbarometer“ zufolge inzwischen 66 Prozent der Anwendungsfälle digitaler Medien im Unterricht. Digitale Lernsoftware oder Onlinesysteme zur Wissensabfrage dienen dem Ermitteln von Lernständen sowie der individuellen Förderung. Digitale Kompetenz erschöpft sich jedoch nicht darin, technische Geräte bedienen zu können. Hierzu zählen anwendungsbezogene Kompetenzen, wie beispielsweise das Starten von Tablets oder das Bedienen von Browsern. Es geht auch darum, die Hintergründe digitaler Angebote zu verstehen und sie zielorientiert für den eigenen Lehr-/Lernprozess einzusetzen (gesellschaftlich‑kulturelle Perspektive und technologische Perspektive).Guter Unterricht sollte daher digitale Kompetenz vollumfänglich fördern, um diese anschließend für die Ausgestaltung innovativer, zukunftsweisender Lehr‑Lern-Formate zu nutzen. Ideen dazu liefert zum Beispiel die „Maker Education֧“: Schüler*innen drehen eigene Videos [3], nehmen Podcasts auf, gestalten 3‑D-Drucke, tüfteln mit Hardware oder programmieren Lernroboter.[4]
Für den Schulalltag bedeutet dies, dass es einer Erweiterung bestehender Unterrichtspraxis hin zu einem veränderten, die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzenden Lehren und Lernen bedarf. Hierfür gilt es, den Einfluss der Digitalisierung in allen Facetten der Schul- und Unterrichtsgestaltung bewusst wahrzunehmen, zu nutzen und zu leben.
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[1] Stalder, Felix: Kultur der Digitalität, Suhrkamp, Berlin 2016
[2] Gesellschaft für Informatik (2016): Dagstuhl‑Erklärung – Bildung in der digitalen vernetzten Welt
[3] Wieczorek, Lisa & Fehrmann, Raphael: „Film ab! Erklärvideos mit Schülerinnen und Schülern im Unterricht produzieren“, in: Schulmagazin 5–10, 7–8/2022, Seiten 40–47
[4] May, Dominik; Grosser, Sarah & Fehrmann, Raphael: „Coding und Robotik als Elemente einer zukunftsorientierten digitalen Bildung – Wie der Einsatz von Lernrobotern im Unterricht dazu beitragen kann, ein Verständnis für die Funktionsweise und ein Bewusstsein für die Wirkung von Algorithmen anzuregen“, in: Julia Hugo, Raphael Fehrmann, Shirin Ud-Din & Jonas Scharfenberg (Herausgeber*innen): Digitalisierungen in Schule und Bildung als gesamtgesellschaftliche Herausforderung – Perspektiven zwischen Wissenschaft, Praxis und Recht (Seiten 167–180), Waxmann, Münster 2022