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Die Art des Kontakts entscheidet

Die Stadtteilschule Alter Teichweg in Hamburg stellt den Kontakt nicht nur während der Pandemie in den Mittelpunkt.
Die Stadtteilschule Alter Teichweg in Hamburg stellt den Kontakt nicht nur während der Pandemie in den Mittelpunkt. | Foto: Pressefoto Deutscher Schulpreis/Stefan Kochert

Um gut lernen zu können, ist der Kontakt zwischen Schüler*innen und Lehrkräften wichtig. Durch die pandemiebedingten Schulschließungen blieb das häufig auf der Strecke. Ein Plädoyer, worauf es in der Beziehungsarbeit mit Schüler*innen ankommt.

Von Ina Tilmann

„Ich weiß gar nicht mehr, wer ich eigentlich noch bin“, sagte eine Schülerin in einem Onlineseminar während eines Lockdowns. Sie beschreibt damit das Grundproblem der Corona‑Pandemie. Menschen brauchen Menschen. Fehlen diese, wie in der Zeit des Lockdowns, entsteht Leiden. Sichtbar wird das beispielsweise in der Gesundheitsstudie der DAK (hervorgegangen aus der Deutschen Angestellten-Krankenkasse) für Jugendliche im Jahr 2021. Sie verzeichnet einen hohen Anstieg an Essstörungen wie Bulimie und Übergewicht sowie Depressionen und Angststörungen.

Mit Angst, Wut oder Trauer funktionieren weder Lernen noch Lehren gut. Während der Pandemie, die viele Menschenleben gekostet hat, sind diese Gefühle jedoch allgegenwärtig. In diesem Text werfen wir deshalb einen Blick auf zwei wichtige psychologische Aspekte des Lernens: Für angenehmes und damit erfolgreiches Lernen sind die Qualität der Beziehung und die Art des Feedbacks mitentscheidend (vergleiche: Hattie-Studie).

1. Beziehung schaffen

„Bildung ist so viel mehr als nur Mathe, Deutsch und Englisch“, sagt der Schulleiter der Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg in Hamburg. Die Schule, die es sich unter dem Motto „Be part“ zur Aufgabe gemacht hat, Schule als Heimat zu definieren, ist 2021 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet worden. Oberstes Ziel während der Pandemie war es, einmal am Tag zu allen 1.600 Schüler*innen Kontakt zu haben. Etwa über Onlineunterricht oder Unterricht am Fenster gelang es, das Motto auch während der Schulschließungen durchzuhalten.

Das, was die Hamburger Schule gemacht hat, war jedoch keine Regel während der Pandemie. In der Umfrage „Schulbarometer Spezial“ gab mehr als jede dritte Lehrkraft an, dass sie während der Schulschließungen mit weniger als der Hälfte oder sogar mit noch weniger Schüler*innen regelmäßig Kontakt hatte. Das ist ein erschütterndes Ergebnis, und es muss nach den Gründen dafür gefragt werden.

In der Breite war das Schulsystem an vielen Stellen nicht in der Lage, mit der Situation geschlossener Schulen umzugehen und dennoch ein Bildungs- und Beziehungsangebot zu gewährleisten. Das Bundesland Bremen, in dem ich arbeite, reagierte zwar schnell, indem die Stadt allen Schüler*innen wie Lehrkräften ein iPad als Leihgabe zur Verfügung stellte: ein wichtiger Schritt auch in Richtung barrierefreie Bildungsangebote und Bildung für alle. Doch oft dominierte während der Pandemie insgesamt vor allem ein Weitermachen und Durchhalten die Gesamtdebatte. Lehrkräfte und Schüler*innen mussten funktionieren. Der Schulbetrieb sollte aufrechterhalten bleiben. Ein Festhalten am Status quo, den es so nicht mehr gab und das oft zu Überforderung bei allen Beteiligten führte.

Hinzu kam der Aspekt der Benotung beziehungsweise Bewertung. Diese Bewertungen hatten aber durch die Umstände oft nur noch eine wackelige Grundlage. Um zukünftig für ähnliche Situationen gewappnet zu sein, sollten Schulen auch alternative Feedback‑Systeme in Betracht ziehen, die im besten Fall die Beziehungen stärken und den Druck reduzieren – wie es beispielsweise die Anne‑Frank‑Schule Bargteheide in der Nähe von Hamburg vormacht.

2. Echtes Feedback etablieren

Wie erleben mich die anderen, und welche Stärken sehen sie in mir? An der Anne‑Frank‑Schule wird genau dieser Frage im „Stärken‑Seminar“ Raum gegeben. Zusätzlich werden die Kinder und Jugendlichen an der Evaluation ihrer eigenen Leistungen beteiligt. Lehrkräfte, Schüler*innen und Eltern führen sogenannte Portfoliogespräche. Im Portfolio stecken Ergebnisse des Unterrichts wie Klassenarbeiten, aber auch Kunstobjekte und Ähnliches.

Die unterstützende Haltung geht zurück auf die vom neuseeländischen Bildungsforscher John Hattie definierten Bedingungen für gutes Lernen. Der Wissenschaftler betont in seiner viel gelobten und zahlreich zitierten Hattie-Studie von 2016, dass es für gelingendes Lernen auf die Haltung der Lehrer*innen ankomme, auf die Beziehung und das Feedback sowie auf das Zutrauen in die Schüler*innen und auf deren – dadurch gestärkte – positive Selbsteinschätzung.

Fazit: Gelebtes Miteinander, respektvoller Umgang und positives Feedback kann entlasten und zu mehr Lernerfolg führen – das gilt auch für Onlineangebote. Beziehungen zu stärken ist deshalb mehr als eine hohle Phrase. Die Erfahrungen der Schulen und die Wissenschaft (siehe zum Beispiel auch Jeffrey Cornelius‑White) zeigen: Wo positive Beziehungen tatsächlich gelebt und durch Strukturen, Personal und Haltung unterstützt werden, machen sie den Unterschied. Nur die Pandemie bietet so auch die Chance zu erkennen, wo es wichtig wäre nachzubessern: als Gesellschaft zu lernen und zu wachsen und zu überlegen, wie wir zukünftig lehren, lernen und gemeinsam leben wollen.

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Jeffrey Cornelius-White: „Learner-centered teacher-student relationships are effective: A meta- analysis“, in: Review of Educational Research, 77(1) 2007, Seiten 113–143

 

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