Literatur
Besucherrekord, Lesefest und Bücher, Bücher, Bücher ...

Impression der Leipziger Buchmesse 2017
Impression der Leipziger Buchmesse 2017, Foto: Tom Schulze

Auf der Leipziger Buchmesse dreht sich alles um Lesen und Literatur. Hier hat nicht die Branche das Sagen, sondern die Leseratten, die Literaturinteressierten und einfach alle, die gern in neuen Büchern stöbern.

Von den zwei großen deutschen Buchmessen muss sich Leipzig in der Regel mit dem zweiten Platz zufriedengeben. Die Frankfurter Buchmesse ist einfach größer, sowohl was die Besucherzahl insgesamt, die Anzahl der internationalen Besucher als auch die Zahl der abgeschlossenen Verträge und Lizenzvereinbarungen betrifft. Kurz und gut: in Frankfurt geht es um Bücher und Business, Frankfurt ist die Messe, an der die internationale Buchbranche einfach nicht vorbeikommt.
 
In Leipzig ist das anders. Die Zahl der ausländischen Besucher ist niedrig, über die Zahl der abgeschlossenen Verträge lässt sich nur schwer etwas sagen – fest steht aber, dass Geschäfte dieser Art nicht im Mittelpunkt stehen. Und dieser Umstand macht Leipzig zu Deutschlands Buchmesse Nummer eins – für die Leser. Auf der Leipziger Buchmesse dreht sich nämlich alles um Lesen und Literatur. Hier hat nicht die Branche das Sagen, sondern die Leseratten, die Literaturinteressierten und einfach alle, die gern in neuen Büchern stöbern. Das Veranstaltungsprogramm ist öffentlich und vor allem von Lesungen und Podiumsgesprächen geprägt. Die Messe fand dieses Jahr fand vom 23. bis zum 26. März auf dem Messegelände am Stadtrand von Leipzig statt: vier große Hallen beherbergten ingesamt 2493 Aussteller. Die Manga-, Comics- und Cosplay-Messe Manga Comic-Con, die gleichzeitig in einer angrenzenden Halle ausgerichtet wurde, war ein bunter Farbtupfer: sie senkte das Durchschnittsalter auf der Messe erheblich und sorgte dank der vielen Besucher, die sich als ihre Lieblingsfiguren aus Büchern und Comics ausstaffiert hatten, für Abwechslung: Harry Potter, Wesen aus Tolkiens Sagenwelt und viele, viele andere Fantasyfiguren waren ein häufiger Anblick.
 
Ingesamt besuchten 208 000 Personen das Messegelände. Dass die Leipziger Buchmesse dieses Jahr dennoch 285 000 Besucher und damit einen neuen Besucherrekord für sich reklamieren konnte, liegt an den 77 000 Besuchern, die sich abseits des Messegeländes für eine der vielen Veranstaltungen interessierten, die über ganz Leipzig verstreut unter dem Motto Leipzig liest stattfanden. Dieses Lesefest umfasste 3400 Programmpunkte an üblichen (Buchhandlungen und Museen) und weniger üblichen Orten, wie etwa einem Optiker, einem Hundefriseur und einer Keramikgalerie. Selbst hatte ich am Freitagabend Gelegenheit, besagte Keramikgalerie von außen zu bewundern. Denn als ich einige Minuten vor Veranstaltungsbeginn eintraf, musste ich leider konstatieren, dass die Türen der Galerie schon wegen Überfüllung geschlossen waren. Das Publikum war zahlreich erschienen, um den Sohn der Stadt Clemens Meyer aus seinem neuen Buch Die stillen Trabanten (S. Fischer Verlag) lesen zu hören. Enttäuscht gelangte ich zu der Erkenntnis, dass man bei Lesungen in kleineren Lokalen besser einen ordentlichen Zeitpuffer einplant.
 
Clemens Meyer habe ich dann aber doch noch auf der Messe bei einer Lesung erlebt. Er war definitiv einer der fleißigsten Autoren, mit Auftritten, die eine Kombination aus Lesung, Autorengespräch und Diskussion waren. Dabei ging es um sein neues Buch – doch die Medien machten auch viel Aufhebens davon, dass der neue Parteivorsitzende Martin Schulz die Messe besucht hatte, um mit sechs Schriftstellern, von denen Meyer einer war, ein Gespräch über Literatur und Politik zu führen. Die geschickte Strategie eines Kanzlerkandidaten, um Wählerstimmen im Kultursegment zu gewinnen? Vielleicht nicht – wie vielfach in den Medien erwähnt hat Schulz mit seiner abgeschlossenen Buchhändlerlehre eben ein besonders großes Interesse an Literatur.
 
Auch der Schriftsteller Feridun Zaimoglu war im Gewühl der Buchmesse nur schwer zu übersehen. Er stellte seinen Luther-Roman Evangelio (Kiepenheuer & Witsch) allerorten auf Fernsehsofas und an Messeständen vor. Weitere Autoren, die fleißig aus ihren neuen Büchern vorlasen waren Eva Menasse (Tiere für Fortgeschrittene, Kiepenheuer & Witsch), Terezia Mora (Die Liebe unter Aliens, Luchterhand), Olga Grjasnowa (Gott ist nicht schüchtern, Aufbau), Jonas Lüscher (Kraft, C.H. Beck) und viele andere mehr.
 
Unter der Vielzahl von Themen, die auf der Messe Gesprächsstoff waren, ragten einige besonders heraus. Keinem Besucher der Buchmesse konnte entgehen, dass wir dieses Jahr das Reformationsjahr feiern und somit genau 500 Jahre vergangen sind, seit Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte. Überall stieß man auf Bücher über Luthers Bedeutung für die deutsche Sprache, die Kirchenreformation, das Christentum und noch eine Menge anderer Dinge. Luther war definitiv der Schriftsteller mit der größten Präsenz auf der Buchmesse – man begegnete ihm auf Buchumschlägen, Plakaten und Kalendern.
 
Ein anderes Thema, das sich durch alle Programmpunkte hindurch zog, war eines der wichtigsten Themen unserer Zeit: Migration. Eine ganze Reihe von aktuellen Romanen und Sachbüchern beschäftigt sich mit dieser Frage – und das spiegelte sich auch in den Diskussionen auf der Buchmesse wider.
 
Das diesjährige Schwerpunktland Litauen machte sich natürlich ebenfalls bemerkbar – mit einem eigenen Stand von minimalistischer Schönheit und einer Vielzahl von Programmpunkten.
 
Auch die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei prägten die Diskussionen und Gespräche auf der Messe.
Die diesjährige Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung unterstrich ebenfalls die Wichtigkeit eines Einstehens für Demokratie und Menschenrechte. Auch die europäische Wertegemeinschaft und die Beziehungen der europäischen Länder zu ihren Nachbarn waren Thema – und wurden in Person des diesjährigen Preisträgers ausgezeichnet, dem französischen Schriftsteller Mathias Enard, der mit seinem Buch Kompass ein poetisches Plädoyer für die guten Beziehungen zwischen Orient und Okzident vorgelegt hat, mit einer Sprache, die stark an die Erzähltradition der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht erinnert.
 
Wie üblich war das Interesse groß, als der Preis der Leipziger Buchmesse in der Glashalle zwischen den vier Messehallen vergeben wurde. Das dreizehnte Jahr in Folge wurden drei Preisträger in den Kategorien Übersetzung, Sachbuch und Belletristik ausgezeichnet. Die Jury kürte die Sieger in den drei Kategorien wie gehabt aus einer Shortlist von je fünf Büchern.
 
In der Kategorie Belletristik gewann Natascha Wodin mit ihrem biographischen Roman Sie kam aus Mariupol (Rowohlt). Wodin schildert darin, wie ihre Mutter
in der Ukraine in Gefangenschaft geriet und in der Nazi-Rüstungsindustrie Zwangsarbeit verrichten musste. In ihrer Dankesrede hob Wodin die Ironie hervor, die darin liegt, dass ihre Mutter im Jahr 1944 just nach Leipzig verschleppt wurde. "Sie hätte sich bestimmt sehr gewundert, ihr Gesicht ausgerechnet auf einer Buchmesse in Leipzig zu sehen", sagte Wodin mit Bezug auf das Foto ihrer Mutter, das den Umschlag des Romans ziert. Die beiden anderen Preisträgerinnen waren Barbara Stollberg-Rilinger in der Kategorie Sachbuch/Essayistik für ihre Biographie Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit (C.H. Beck) und Eva Lüdi Kong für ihre Übersetzung Die Reise in den Westen (Reclam) – die klassische chinesische Erzählung von der Pilgerfahrt des Affenkönigs Sun Wukong und des buddhistischen Priesters Xuanzang nach Indien, die nun zum ersten Mal in einer vollständigen deutschen Übersetzung vorliegt. 
 
Als Buchmesse-Chef Oliver Zille angesichts dieser drei Preisträgerinnen stolz verkündete, dass erstmals alle Preisträger des Jahres Frauen seien, kannte der Jubel des Publikums schier keine Grenzen.
 
Ganz Leipzig lebt während der Messetage auf, keine Frage. Leipzig liest prägt eindeutig das Stadtbild – und die Straßenbahnen in Richtung Messegelände waren jeden Tag voll. Morgens sahen wir alle noch ausgeruht aus, mit neugierig wandernden Blicken – nachmittags schien es eher, als wären wir nicht die Einzigen mit müden Beinen und prall gefüllten Büchertaschen. Genau wie es sich für eine Buchmesse gehört. Leipzig: bis nächstes Jahr!