Lena Hipp: Familienrollen in der Pandemie
Zurück auf Los?

Medical staff
Medical staff | © Unsplash

Von Lena Hipp

Familienalltag im April 2020. Eine junge Frau, 36 Jahre, Mutter eines schulpflichtigen Kindes und eines sechs Monate alten Babys verlässt morgens das Haus, um zur Arbeit zu gehen. Schließlich gehört sie zu den „Systemrelevanten“. Gerade erst letzte Woche hat sie ihre Stunden auf eine Vollzeitstelle aufgestockt. Vor der Geburt ihres zweiten Kindes hatte sie nur Teilzeit gearbeitet. Aber jetzt, da ihrem Mann, der selbständig ist, durch Corona die Aufträge weggebrochen sind, ist die Familie auf ein volles Gehalt angewiesen. Auch das Elterngeld eine große Hilfe: Angesichts der schlechten Auftragslage hat ihr Mann eine Verlängerung seiner Elternzeit beantragt.

Macht Corona also möglich, was zuvor unmöglich schien? Feststeht: Die Ausgangsbeschränkungen haben den Familien- und Arbeitsalltag durcheinander gewirbelt. Zumindest in manchen Familien: Er verbringt mehr Zeit mit den Kindern, so wie er sich das wünschte. Sie bekommt wieder die berufliche Anerkennung, die ihr seit ihrem Wiedereinstieg ins Berufsleben so oft gefehlt hat. Frauenberufe sind plötzlich hochgefragt. Selbständige, Beschäftigte in der Produktion – zum Großteil Männer – bangen hingegen um ihre Jobs und übernehmen in höherem Maße als sonst die Betreuung von Kindern und die unbezahlte, oftmals wenig beachtete Arbeit, die im Haushalt anfällt.

Welche Folgen hätte es, wenn sich der Rollenwechsel, der im Frühjahr 2020 in vielen Familien zum ersten Mal ausprobiert wird, verstetigen würde?

In Deutschland, wie in vielen anderen Ländern auch, sind sowohl bezahlte als auch unbezahlte Arbeit sehr ungleich aufgeteilt. Männer verbringen im Durchschnitt rund drei Stunden pro Werktag mehr mit Erwerbsarbeit als Frauen, dafür aber lediglich die Hälfte der Zeit mit Hausarbeit und Kinderbetreuung, die Frauen darauf verwenden. Ähnliche Missverhältnisse gibt es bei betreuungsbedingten Erwerbsunterbrechungen und das trotz der steigenden Zahl der Väter, die seit der Einführung des Elterngeldes vor mehr als zehn Jahren in Elternzeit gehen. Rund ein Drittel der Väter nimmt heute Elternzeit. In der Regel allerdings nur für die Dauer der zwei Monate, die ansonsten verloren gehen würde.

Grundlegende Veränderungen dieser geschlechtlichen Arbeitsteilung – wie wir sie in den ersten Wochen nach Schul- und Kitaschließungen in vielen deutschen Haushalten beobachten – könnten zu einer massiven Reduzierung von Geschlechterungleichheiten führen.

Zur Veranschaulichung: Der unbereinigte „Gender Pay Gap“, also die durchschnittliche Einkommensdifferenz zwischen erwerbstätigen Frauen und Männern in Deutschland liegt bei etwas mehr als 20 Prozent. Ursächlich für diese Verdienstunterschiede sind neben der unterschiedlichen Berufswahl von Männern und Frauen und Lohndiskriminierung gegenüber Frauen v.a. Unterschiede in der Arbeitserfahrung und eine nicht-qualifikationsadäquate Beschäftigung nach einem Wiedereinstieg ins Berufsleben vieler Frauen. Noch eindrücklicher sind die Konsequenzen der ungleichen Verteilung von Familien- und Erwerbsarbeit am Ende des Erwerbslebens: Der „Gender Pension Gap“ liegt in den ostdeutschen Bundesländern liegt bei rund 30 Prozent, in den westdeutschen sogar bei über 60 Prozent. Das „bisschen Haushalt“ macht sich also nicht nur nicht von allein – was spätestens im Dauerhomeoffice auch den Letzten klar wurde –, sondern akkumuliert sich und führt zu großen finanziellen Nachteilen.

Ein Rollenwechsel wäre also unter dem Blickwinkel der Geschlechtergerechtigkeit wünschenswert – und zwar nicht nur, weil die Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit bislang sehr ungleich ist, sondern weil diese Verteilung auch nicht den Wünschen von Männern und Frauen entspricht. Fragt man Eltern kleiner Kinder, wie denn eine ideale Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit aussehen würde, so geben rund drei Viertel der Väter an, dass sie gerne weniger arbeiten und mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten. Allerdings wollen Mütter – auch die, die Teilzeit arbeiten – nicht unbedingt mehr arbeiten. Dies ist mit einem Partner in einem Vollzeitjob, womöglich noch mit Überstunden, auch nur schwer möglich.

Ist es wahrscheinlich, dass sich die Rollenwechsel verstetigen, die wir in Zeiten von Kurzarbeit, Ausgangssperren sowie der Schließungen von Schulen und Kindertagesstätten beobachten? Die Änderungen im Alltag, die wir durch Corona erlebt haben, hätten prinzipiell das Potenzial. Allerdings weisen schon jetzt eine Reihe von Entwicklungen in eine andere Richtung: Die schrittweise Öffnung von Kitas und Schulen reduziert den Rund-um-die-Uhr-Betreuungsbedarf in vielen Familien nicht.

In Deutschland arbeiten derzeit sowohl Väter als auch Mütter im Homeoffice weniger als kinderlose Personen es tun. Durch die Gleichzeitigkeit von Homeoffice und Homeschooling ist sowohl die Arbeits- als auch Lebenszufriedenheit von Müttern in den ersten Wochen der Schul- und Kitaschließungen stärker gesunken als die von Vätern. Die Abwägung, wer zu seinem Job zurückkehrt, sobald die Möglichkeit besteht, wird in den meisten Familien einem ökonomischen Kalkül folgen. Das ist verständlich, wird aber die oben skizzierten Ungleichheiten weiter verstärken. Außer vielleicht in den Familien, in denen sie „systemrelevant“ und er besonders „krisengefährdet“ ist. Vielleicht können das die neuen Rollenmodelle werden. Vielleicht können sie einen Rollenwechsel herbeiführen – zwar nicht in dieser Krise, aber vielleicht auf lange Sicht.
 
Quellen zum Zahlenwerk
Bernhardt, Janine, Lena Hipp, and Jutta Allmendinger (2016). Warum nicht fifty-fifty? Betriebliche Rahmenbedingungen der Aufteilung von Erwerbs-und Fürsorgearbeit in Paarfamilien. No. SP I 2016-501. WZB Discussion Paper.
https://econpapers.repec.org/paper/zbwwzbwac/spi2016501.htm
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2014): Durchschnittliche Zeitverwendung von Erwerbstätigen in Doppelverdienst-Haushalten für Erwerbsarbeit, Hausarbeit und Kinderbetreuung an einem Werktag in Stunden – nach Geschlecht, Familienstand und Erwerbsumfang in den Jahren 2004, 2009 und 2014 https://www.diw.de/documents/dokumentenarchiv/17/%20diw_01.c.528159.de/20160302_pm_frauentag
_tabellen.pdf

Institut für Demoskopie Allensbach (2015): Weichenstellungen für die Aufgabenteilung in Familie und Beruf. Untersuchungsbericht zu einer repräsentativen Befragung von Elternpaaren im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. https://www.demografie-portal.de/SharedDocs/Downloads/DE/Studien/Aufgabenteilung_Familie_Beruf.pdf?__blob=publicationFile&v=1
Mareike Bünning, Lena Hipp, Stefan Munnes (2020): Erwerbsarbeit in Zeiten von Corona; erste Auswertungen der Oninebefragung „Corona-Alltag“, Daten und Auswertungen abrufbar unter: ergebnisse.corona-alltag.de
Lena Hipp, Mareike Bünning, Stefan Munnes (2020): Was das Homeoffice anrichtet, in: Zeitonline. https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-04/heimarbeit-homeoffice-corona-alltag-arbeitsbedingungen

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