Im Gespräch: Christian Skovbjerg Jensen
„Die wahren Verlierer während dieser Zeit sind die Künstlerinnen und Künstler“

Christian Skovbjerg Jensen
Foto: Christian Skovbjerg Jensen, Inter Arts Center

In unserem Interview spricht der Leiter des Inter Arts Center in Malmö, Christian Skovbjerg Jensen, über die Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeit des IAC. Das IAC wurde speziell für künstlerische Forschung und Interdisziplinarität konzipiert und steht Künstler*innen aus den Bereichen Bildende Kunst, Musik und Theater offen, die experimentell und multidisziplinär arbeiten.

Wie haben Sie während der Pandemie Ihr Publikum erreicht?
 

Das IAC ist keine gewöhnliche künstlerische Institution. Wir werden aus Forschungsgeldern unterstützt und fungieren vornehmlich als Raum für künstlerisches Forschen und Experimentieren. Auch wenn wir normalerweise ein umfassendes öffentliches Programm bieten, ist dies nicht unser wichtigster Schwerpunkt oder unsere Funktion. Wie viele andere auch haben wir durch das Streamen von Veranstaltungen, durch digitale Vorträge und Seminare in einem begrenzten Maß den Kontakt mit unserem Publikum gehalten. Und zwischen den Pandemiewellen gab es einige wenige eingeschränkte Aufführungen und Feedback-Treffen. Jetzt planen wir eine Reihe von Veranstaltungen in verschiedenen Hybrid-Formaten, wobei wir digitale Plattformen mit physischen Installationen und Vorstellungen für ein begrenztes Publikum mischen.
 
Wie hat diese neue Art, das Publikum zu erreichen, die Arbeit inhaltlich beeinflusst?
 

Weil wir nicht verpflichtet sind, eine bestimmte Publikumszahl zu erreichen, haben wir uns darauf konzentriert, sichere Unterstützungsmöglichkeiten für Künstler*innen und Forscher*innen zu entwickeln. Schließlich haben wir die Zeit genutzt, um unsere Räumlichkeiten und unsere Ausstattung zu überprüfen. Wir haben Verbesserungen vorgenommen und uns neu aufgestellt. Aber wir haben natürlich auch viel im Hinblick auf Livestreaming-Formate und unterschiedliche Webinar-Formate und all die hybriden Formate gelernt, die es dazwischen noch gibt. Das war nicht völlig neu für uns, aber das größte Geschenk, das uns die Pandemie-Pause gemacht hat, war die Möglichkeit, über das, was wichtig ist, die Art, wie wir arbeiten, nachzudenken, und unsere Organisation danach in mehrfacher Hinsicht zu verändern.
 
Ist es zu neuen Kooperationen gekommen, die nur aufgrund der besonderen Situation, die die Pandemie mit sich brachte, möglich oder notwendig waren?
 
Nein, im Gegenteil. Viele Kooperationen und Netzwerke wurden auf Eis gelegt, abgesagt oder waren durch die Grenzen der digitalen Austauschformate beeinträchtigt. Aber natürlich haben wir mit unseren digitalen Veranstaltungen und Netzwerken auch neue Leute und Institutionen erreicht.
 
Was haben Sie über sich und Ihr Publikum Neues gelernt? Was war überraschend (auch im positiven Sinn)?
 
Mit unseren Vorlesungen via Zoom haben wir ein neues Publikum erreicht, und es ist uns gelungen, das Gefühl eines lebendigen Netzwerks in Sachen immersiver Praktiken zu schaffen, das war positiv und etwas Neues. Aber wir haben auch verstanden, wie wertvoll unsere realen, wirklichen Treffen und Diskussionen bei  öffentlichen Veranstaltungen sind. Die informellen Kontakte und der informelle Austausch sind wichtig. 
 
Hat sich Ihre Auffassung von „digitalen Veranstaltungen“ verändert?

Digitale Formate sind nicht neu für uns, doch ja – es hat sich etwas verändert.
Ich selbst habe mehr digitale Veranstaltungen als jemals zuvor gesehen oder daran teilgenommen, und wir haben am IAC viele produziert. Wir sind nun erfahrener auf diesem Gebiet und hatten einige fantastische Erlebnisse und Diskussionen online, aber ich habe auch erkannt, wie viel Arbeit und wieviel Können nötig ist, um tolle Veranstaltungen auf digitalen Plattformen zu schaffen. Nicht nur im Hinblick auf die Ausstattung und die Techniker, sondern auch konzeptionell, dass man ein Verständnis entwickelt, was funktioniert.

Was, glauben Sie, war in dieser Zeit ein Verlust bzw. ein Gewinn für Ihre Institution?
 
Die wahren Verlierer während dieser Zeit sind die Künstlerinnen und Künstler, die Kunststudierenden und das Publikum. Natürlich sind die Institutionen Teil dieses Ökosystem und haben auch viel verloren, doch sie sind weniger verwundbar als die einzelnen Künstler, und deshalb haben wir auch eine große Verantwortung, sie auf neue Weise zu fördern. Eine Krise mit all ihren Fragen und Herausforderungen ist hart, aber sie bietet auch die Chance, die Dinge anders zu sehen, neue Ideen und Kontakte zu entwickeln und neue Formate, wie man mit Kunst arbeiten kann, auszuprobieren. Deshalb sollten wir diese Chance nicht vergeuden, indem wir uns damit belasten, dass wir uns zu schnell und blind an digitale Formate angepasst haben. Denn es gibt sehr viel grundlegendere Fragen, die in einer Zeit wie dieser für die Kunst und darüber hinaus auf dem Spiel stehen.
 
Wie werden Sie die Erkenntnisse anwenden, die Sie während der Pandemie im IAC oder in Ihrem Netzwerk gewonnen haben?
 
Es ist möglicherweise noch zu früh, das zu beantworten, denn die Pandemie ist noch nicht vorüber. Es könnte sein, dass es diesen klaren Zeitpunkt nicht gibt, wo die Pandemie hinter uns liegt und alles entweder so wie vorher ist oder etwas Neues beginnt, die post-pandemische Epoche. Selbst wenn es viele Erkenntnisse gibt, aus denen wir Nutzen ziehen können, freuen wir uns am meisten darauf, den engen Kontakt zu den Künstlern, den Forschern und dem Publikum wieder aufzunehmen und zu pflegen –  künstlerische Prozesse wieder aufzugreifen, und mit den Künstlern zu experimentieren und Sachen auszuprobieren. Und wieder Anschluss zu finden an das implizite Wissen und die haptische Qualität künstlerischer Produktion und künstlerischer Erfahrung.

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