Karin Nygårds: Digitalisierung des Alltags
Mit der Welt in unseren Händen

Die Digitalisierung des Alltags
Die Digitalisierung des schwedischen Alltags | Foto: Marvin Meyer, unsplash .com

Von Karin Nygårds

Für uns Schweden ist die Digitalisierung des Alltags eine Tatsache. Morgens wachen wir auf und strecken uns nach unserem Handy und abends, vor dem Einschlafen, schicken wir gähnend noch eine letzte Nachricht an Freund*innen auf Social Media. Mit Hilfe unserer Handys schalten wir die vielen Lampen in unseren Häusern ein und aus (wichtig in der dunklen Jahreshälfte). Und über das Handy können wir unsere Eingangstüren ver- und entriegeln.

Wir bestellen den Wocheneinkauf über die Websites oder Apps der Lebensmittelgeschäfte nach Hause und vermeiden so Gedränge zwischen den Regalen. Tatsächlich bestellen viele von uns inzwischen die meisten Dinge nach Hause. Die Lieferung von Medikamenten an die Tür ist besonders praktisch, wenn man nicht die Kraft hat, zur Apotheke zu gehen, und auch, um die Ausbreitung von Infektionen zu verhindern. Überhaupt müssen wir das das Haus im Krankheitsfall nicht mehr verlassen. Wir können per Video-Anruf mit unseren Hausärzten sprechen oder eine der kommerziellen Online-Arzt-Apps nutzen.

Hunderttausende erhalten heute ihre Nachrichten von Behörden und einen Großteil ihrer Rechnungen in digitalen Postfächern. Die Steuererklärung zu machen, bedeutete früher, viele Stunden in Papierarbeit begraben zu sein. Heute ist es mit ein paar Klicks auf dem Handy erledigt.

Wenn unsere Kinder Geld für Snacks brauchen, erledigen wir das in Sekundenschnelle mit Swish, einer App zum Geldtransfer zwischen Bankkonten. Wir können auch die Steuer mit Swish bezahlen. Zum Pendeln braucht man selten physische Karten oder Tickets – sie sind jetzt digital im Handy verfügbar. Das gleiche gilt, wenn wir fliegen oder mit dem Zug reisen.

Für all diese Dienste wird in der Regel eine digitale ID benötigt. Der mit Abstand gebräuchlichste schwedische Dienst heißt BankID. 98 Prozent der Schweden im Alter zwischen 18 und 67 Jahren haben eine oder mehrere BankIDs. Es gibt auch andere Lösungen wie FREJA eID, diese sind jedoch nicht so sehr in die Dienste öffentlicher Einrichtungen integriert.

Die Abhängigkeit von solchen IDs ist eine Schwäche des Systems, denn für die Beantragung einer BankID benötigt man eine schwedische Sozialversicherungsnummer und ein Bankkonto. Digitale Zugänge bleiben so einem Teil der Bevölkerung verwehrt.

Auf ihr Handy sind Schweden im Alltag nicht zwingend angewiesen, die meisten digitalen Dienste lassen sich genauso gut auf einem Computer nutzen. Allerdings ist Schweden ein Land mit sehr hoher Mobilfunkdichte. Bezogen auf die Anzahl der Mobilfunkabonnements besitzen 146 Prozent der Bevölkerung ein Mobiltelefon. Deutschland liegt laut DataReportal (datareportal.com) mit 132 Prozent nicht weit dahinter.

Gegenwärtig gibt es in Schweden noch keinen flächendeckenden Breitband- und Mobilfunkempfang. Ziel war ein vollständiger Mobilfunkempfang bis 2023 und ein vollständiger Breitbandausbau bis 2025. Ob das noch erreicht werden kann, ist unklar.

Während der Pandemie haben Zahlungen mit Mobiltelefonen deutlich zugenommen. Swish war der große Gewinner, vor allem bei den Älteren. Heute hat Swish etwa 7 Millionen Nutzer und ist die zweitbeliebteste schwedische Zahlungsmethode. Die Prepaid-Karte behält den ersten Platz. Das kontaktlose Bezahlen mit Hilfe eines NFC-Chips sowie die Integration ins Handy machen die Karte im Geschäft zur flexibelsten Lösung.

Nur 10 Prozent der Schweden zahlen mit Bargeld und die Zahl ist in den letzten Jahren stetig zurückgegangen. Viele Geschäfte und Restaurants haben Schilder, die darauf hinweisen, dass Bargeld nicht akzeptiert wird – zur Überraschung vieler Touristen, die bereits schwedische Kronen gewechselt haben.

Digitales Bezahlen verursacht weniger Kosten. Es sind nicht dieselben Sicherheitsmaßnahmen zum Aufbewahren und Transportieren von Bargeld nötig. Auch die Zahl der Raubüberfälle auf Geschäfte und Banken hat sich durch das digitale Bezahlen reduziert, da kein Bargeld mitgenommen werden kann.

Trotz aller Vorteile ist es wichtig, die Möglichkeit der Barzahlung sicherzustellen. Digitale Zahlungen hinterlassen immer Spuren. Aus Datenschutzgründen verzichten einige daher auf Debitkarten und Swish. Diese Wahlfreiheit ist in einer Demokratie wichtig. Außerdem können nicht alle Menschen Swish verwenden und einige haben keine Bankkarte. Auch diese Menschen müssen in der Lage sein, Lebensmittel zu kaufen, Gesundheitszentren zu besuchen und so weiter. Daher gibt es in Schweden ein Gesetz, das den Anspruch auf Bargeldzahlungen regelt. Darin steckt außerdem ein Notfallgedanke, falls im Falle eines Krieges oder einer anderen Krise Alternativen zum digitalen Bezahlen nötig sein könnten.

Im Jahr 2017 wurde die Zentralbank Schwedens (Sveriges Riksbank) beauftragt, die Möglichkeiten zur Entwicklung einer staatlichen e-Krone auszuloten. Ein Vorteil der e-Krone bestünde darin, sie nicht mit einem Bankkonto verknüpfen zu müssen. Das würde mehr Menschen digitales Bezahlen ermöglichen. Derzeit laufen ein Pilotprojekt und eingehende Untersuchungen zur e-Krone. Eine Entscheidung, ob es sie in Zukunft geben wird oder nicht, steht aber noch nicht fest.

Die Haltung der Schweden zur Digitalisierung unterliegt einem Auf und Ab, das auch auf internationaler Ebene zu beobachten ist. Vor der Pandemie herrschte mancherorts Skepsis. In der Krise war es jedoch von Vorteil, dass in Schweden bereits viele digitale Systeme etabliert waren.
Natürlich hat die Digitalisierung auch Nachteile, und Technik kann manchmal widerspenstig sein und Anlass zu Frustration geben. Aber im Großen und Ganzen ist vieles im Leben einfacher geworden: Wir halten jetzt die ganze Welt in unseren Händen.



Karin Nygårds
Foto: Severus Tenenbaum
Karin Nygårds ist preisgekrönte Lehrerin und Digitalisierungsexpertin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit dem Aufbau digitaler Kompetenzen in der Schule.









 

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