Warum lernst du deutsch?
Kein Baby auf dem Rücken und kein Wasser auf dem Kopf

Warum lernst du deutsch?
Foto (Ausschnitt): Steffi Saubert

Im südlichen Südosten des Senegals, knapp 700 Kilometer von der pulsierenden Hauptstadt Dakar entfernt, liegt die kleine Stadt Kédougou. Sie zählt ca. 15.000 Einwohner, die den unterschiedlichsten Ethnien angehören. Was bewegt die Schüler in der dörflichen, hügeligen, grünen und heißen Grenzregion zu Mali und Guinea, deutsch zu lernen?

Am 06. April 2016 waren Schüler*innen aus Kédougou im Goethe Institut in Dakar zu Besuch bei der vom Institut angebotenen Veranstaltung des "Leserattenclubs" unter der Leitung von Sabrina Stubbe. Während meines Praktikums stehe ich Sabrina helfend zur Seite. Infolge eines Gesprächs mit Lehrern und Goethe-Kollegen nach dem Leserattenclub entsteht die Idee, Anna, die Praktikantin der Sprachabteilung des Goethe-Instituts, einzuladen, um den Schüler*innen in Kédougou Deutschunterricht zu geben. Als Praktikantin in der Kulturabteilung des Goethe Instituts komme ich schließlich mit nach Kédougou zur Begleitung des Projekts, zur Dokumentation, als Fotografin und zu zweit ist es eh immer schöner als allein. Ich kann den Fokus des Sprachelernens ein bisschen verschieben auf kulturelle Unterschiede, Verhaltensmuster und vor allem der Frage nachgehen, warum die Kinder Deutsch lernen, obwohl sie so weit weg von allem zu sein scheinen in einem Land, von dem viele Deutsche noch nicht einmal wissen, wo es sich auf der Weltkarte befindet. Also auf geht's, 14 Stunden Busfahrt von der beständig mit einer Meeresbrise umhüllten quirligen auf der kapverdischen Halbinsel gelegenen Hauptstadt Dakar in die heiße, tropisch anmutende Stadt Kédougou.

Zwei Stunden pro Tag sind wir im kleinen Collège Commune II. Es sieht ein bisschen aus wie ein Betonklotz, es mangelt an Ventilatoren und die Außentemperatur hält sich hämisch bei knapp 43 Grad. Naja, soviel zu den Rahmenbedingungen und dem mhja doch eigentlich ständigen Bedürfnis, spontan ohnmächtig werden zu wollen in Anbetracht der Saunatemperaturen im Klassenzimmer. Das Programm für die Stunden wurde eigentlich ziemlich durchgeplant, doch am Mittwoch, im "Deutschclub" darf ich eine kleine Fragerunde machen. Gleich die erste Frage meines kleinen kulturell-sprachlichen Fragekatalogs brennt mir unter den Nägeln. "Warum lernst du Deutsch?" möchte ich wissen. Die Antworten sind teils überraschend: vom Lieblingsfach Deutsch, über den Wunsch, Deutschlehrer oder Germanist zu werden, ein simples "Ich mag Deutsch" zu der verblüffenden Antwort "Weil ich eine Deutsche sein will".

In Gesprächen mit den Schüler*innen nach dem Unterricht ergeben sich recht hohe Ambitionen, so möchte eine Schülerin der 3ème eine Firma in Deutschland gründen. Hui, das sind schon mal höhere Ansprüche, als ich sie habe. Aber wer weiß, vielleicht klappt es ja, Inch'allah. Was mich natürlich auch interessiert, ist, wie sich die jungen Schüler*innen aus Kédougou das Leben in Deutschland vorstellen. Die Frage lautet also: "Was ist eurer Vorstellung nach der Unterschied zwischen Deutschland und dem Senegal?" Völlig naiv und unvoreingenommen antworten die Schüler meist damit, dass es in Deutschland kalt sei und im Senegal heiß. Weiterhin sei Deutschland reich und der Senegal arm. Eine weitere Schülerin schreibt, dass es in Deutschland sicherer sei. Zum Schmunzeln und immerhin dreimal erwähnt bringt uns die Antwort: "Im Senegal tragen die Frauen ihre Babys auf dem Rücken und in Deutschland nicht. Außerdem tragen sie hier das Wasser auf dem Kopf." Als einen weiteren Unterschied bemerken einige Schüler die große Größe der Familien im Senegal und die doch erheblich kleinere Anzahl der Familienmitglieder in Deutschland. Zudem grüße man sich in Deutschland nur kurz, wenn überhaupt, und im Senegal unterhalte man sich stets eine ganze Stunde mit Leuten auf der Straße. Jep, kann ich bestätigen.

Und schließlich – natürlich! – die Sprache. So offensichtlich, dass man es im Sprachunterricht eigentlich nicht zu erwähnen braucht. Aber natürlich ist unsere Kultur mit "nur" einer Sprache nicht zu vergleichen mit der Ethnien-Vielfalt hier im Sénégal, die eine Diversität an Sprachen mit sich bringt. Das fällt mir besonders in Kédougou auf, da die Leute in Dakar meist Wolof sprechen. So gehören die Schüler größtenteils den Peulh an, aber auch Madinké, Susu, Dialonké und auch wenige Wolof sind in der Klasse. Alle lernen zumindest in der Schule Französisch, manche sehen es als Fremdsprache, manche nicht, auch das wundert mich. Denn ihre Muttersprache ist nicht Französisch.

Es lässt sich beobachten, dass die jungen Senegales*innen ein positives Bild von Deutschland haben und vielleicht auch gerade von der Andersartigkeit zu ihrem Heimatland fasziniert sind, denn die Kultur kennen lernen wollen fast alle. Nur wissen sie vielleicht noch nicht ganz, was das bedeutet, als Fremder in einem anderen Land zu sein, einer komplett anderen Kultur zu begegnen und zudem kommen einem doch auch immer wieder Klischees und Stereotypen dazwischen. Von denen niemand sagt, dass sie nicht auch manchmal stimmen.

Schaut man sich in den Straßen von Kédougou um, sieht man viele Lehmhütten, noch kaputtere Autos als in Dakar, Straßenverkäufer und die Armut ist teilweise fast spürbar, besonders wenn einem Straßenkinder hinter her rufen: "Eh Toubab, gib mir ein Geschenk!" Deutschland scheint in den Augen der Schüler*innen Kédougous ein sicheres, reiches Land zu sein, in dem man Firmen besitzt und kleinere Familien hat, in dem es keine Armut gibt so wie hier, in dem man viel erreichen kann. Vielleicht ist es auch einfach der Reiz eines fernen Landes, in dem die Frauen ihre Babys eben nicht auf dem Rücken tragen und auch das Wasser nicht auf dem Kopf.