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Buchkinder e. V.
Unerhörte Geschichten

Buchkinder
Buchkinder | Foto (Ausschnitt): © Buchkinder Leipzig e.V.

Die Initiative Buchkinder Leipzig e. V. ist eine Insel für unerhörte Geschichten. Das Konzept wurde inzwischen deutschlandweit adaptiert. Nun steht für Anfang 2013 die Eröffnung eines Buchkindergartens bevor.

„Ein Baum steht Einsam auf Einer Großen Wiese. Er stet und Frirt da so da komt di Sone Und wermt in. Da komt auch noch ein Vogel und setzt sich auf einen Ast. Er azelt dem Baum vom Süden. Der Baum wierd neugirich. Dem Baum ist so warm. Er hat so fil Kraft das er sofort loslaufen will doch seine Worzeln halten in fest. Der Baum reißt mit seinen Esten semtliche Worzeln heraus und läuft los. Immer nach Süden.“

Lernen oder Falschschreiben?

So beginnt eine „Ausreißergeschichte“ der zum Entstehungszeitpunkt siebenjährigen Helena Weiß, die bei den Leipziger Buchkindern e. V. ihre eigenen Bücher schreibt. Der Baum begegnet auf seiner Reise dann allerlei spannenden Abenteuern. Zum Schluss aber findet er sein persönliches Arkadien, indem er eine als „Wachhund“ arbeitende Giraffe ablöst: „Der Baum machte der Giraffe einen vorschlag du kannst wekrenen und ich vertretedich.“ Auf einer Illustration sieht man ihn dann in voller, grüner Zufriedenheit Wache schieben.

Als Schulaufsatz würde diese schöne Geschichte wohl meist voller Unterstreichungen und Korrekturzeichen zurückkommen. Aber sie steht eben nicht in einem Aufsatzheft, sondern – nach Buchkinderart – in einem richtigen, leinengebundenen, von bunt leuchtenden Linoldrucken begleiteten Buch und wurde in einer Auflage von 30 Exemplaren gedruckt. Im Onlineshop des Buchkinderverlags kann das Buch – neben vielen anderen – sogar erworben werden. Lernen deutsche Kinder nun Falschschreiben? Hat man hierzulande nach den vielen Rechtschreibreformen die Flinte ins Korn geworfen und eine anarchische, orale Schreibweise eingeführt?

Lesenlernen für Erwachsene

Keine Sorge. Die Buchkinder Leipzig sind seit 2001 ein gemeinnütziger Verein, der Kindern ganz ohne Leistungsdruck die Freude am Umgang mit Sprache vermittelt. Korrigiert wird nicht. Das würde den Fluss der entstehenden Geschichte bremsen und bei manchem Kind sicherlich das Erzählen blockieren, meint die Geschäftsführerin Birgit Schulze Wehninck.

Dies deckt sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der letzten Jahre, wonach Diktate im Grundschullehrplan nicht mehr für sinnvoll befunden werden. Bei der Buchkinder-Initiative geht es um ein spielerisches und künstlerisches Verhältnis zur Sprache und um das Selbstvertrauen, das durch den Zugang zu eigenen Ausdrucksmitteln gestärkt werden kann. Bild und Schrift haben dabei den gleichen Stellenwert.

Man kann sich das Schreibenüben bei den Buchkindern wie beim Geigelernen vorstellen. Würde man gleich zu Anfang ausschließlich auf reine Töne bestehen, brächte das Kind überhaupt nichts aus seinem Instrument hervor. Die Lust am Sprachklang ist ähnlich wichtig, kommt im deutschen Bildungssystem bislang aber deutlich zu kurz. Die Buchstabenexperimente der kleinen Leipziger Autoren sind in diesem Zusammenhang vor allem auch ein bereicherndes Lesenlernen für Erwachsene. 

Zunächst war die Buchkinder-Aktivität, die im Wohnzimmer des Gründers Ralph Uwe Lange begann, als Freizeitprogramm geplant, inzwischen wird der auf mehreren innerstädtischen Standorten fußende Verein auch von Schulen angefragt und das Büchermachen ins Unterrichtsprogramm mit aufgenommen. Die Erzählfreude der Kinder ist dabei so ansteckend, dass sich das Projekt während seines verhältnismäßig kurzen Bestehens schon flächendeckend ausgebreitet hat.

Zwischen Berlin und Nairobi

In 17 deutschen Städten – darunter Weimar, München, Berlin, Mainz und Chemnitz – haben sich Ableger gebildet, seit 2002 sind die Kinder auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt auf Einladung der Veranstalter vertreten. Sogar in Neapel wurde eine Initiative gestartet und auch in Nairobi, in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Kenia, haben Schulze Wehninck und Team mit afrikanischen Kindern Bücher produziert.

Zurück nach Leipzig: Über 200 Kinder konnten dort im letzten Jahr ihre Geschichten zu Büchern machen. Für den Nachmittagskurs kommt jedes Kind einmal die Woche in die gemütlichen Werkstatträume des Vereins. Anfang 2013 kann nun durch die jahrelange Initiative von Geschäftsführerin Birgit Schulze Wehninck und Mitstreitern sogar ein Buchkindergarten eröffnet werden. Die Bauarbeiten für die ansprechende Architektur im Leipziger Stadtteil Lindenau sind in vollem Gange. Ein Literaturinstitut im Kleinen wird dort entstehen, allerdings ganz der Sprachlust und nicht der Starproduktion verpflichtet.

Fleischertofu und die Zukunft des Buchs

Bei der momentanen Lage der kleinen und mittleren Literaturverlage ist die Buchkinderarbeit womöglich auch in der deutschen Lesegesellschaft mehr als ein symbolischer Meilenstein. Der fantasievolle Stand auf der Leipziger Buchmesse 2012 mit all den bunten Geschichten von philosophischen Kühen und zaubernden Silberfischen, vom bösen Fleischertofu und strichmännchenverliebten Mäusen setzt ein farbenfrohes Zeichen gegen einseitige E-Book-Prognosen. Die Zukunft des analogen Buchs scheint bei den freudestrahlenden jungen Autoren in sicheren Händen und in ihrem Potenzial nicht weniger interessant als das elektronische Pendant.

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