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Regie für Kinder
Tiefe Täler, hohe Gipfel, große Weiten

„Ha zwei oohh“, Regie: Barbara Kölling, Helios Theater Hamm
„Ha zwei oohh“, Regie: Barbara Kölling, Helios Theater Hamm | Foto: Walter G. Breuer

Die deutsche Theaterlandschaft der Regie für Kinder ist in ihren Themen tiefgründig, Horizont erweiternd und innovativ – wie es dem Wesen der darstellenden Kunst entspricht.

In Deutschland gibt es ein vergleichsweise dichtes Netz von professionellen Theatern, die explizit für Kinder und Jugendliche arbeiten. Eine Vielzahl von Regisseuren entwickeln spezielle Handschriften für ein junges Publikum. So unterschiedlich die Künstler sind, so vielfältig ist die ästhetische Entwicklung des Theaters für Kinder. Der einzig erkennbare Konsens dieser Künstler besteht in der Haltung, Kinder als vollwertige Menschen mit ihren Sorgen, Ängsten und Freuden ernst zu nehmen und ihnen auf der Bühne nichts vorzuenthalten, was ihr Leben betrifft.

Theater für Menschen ab zwei Jahren

Das Theater für Zuschauer ab zwei Jahren ist eng mit dem Namen Barbara Kölling verbunden. Die künstlerische Leiterin des Helios Theaters in Hamm zählt zu den Vorreitern des Theaters für die Allerkleinsten in Deutschland. Ihre Arbeiten gehen von der theatralen Untersuchung von Material aus, wie schon die Titel zeigen Holzklopfen oder Ha zwei oohh. Kleine Spannungsbögen, die aus der Konfrontation von Material und Darsteller resultieren, baut Barbara Kölling zu tiefen Erkundungen von elementaren lebensbestimmenden Umständen aus. In ihrer jüngsten Arbeit am Theater Junge Generation erkundet sie das menschliche Bewegungsmaterial Hand und Fuß.

Auch Ania Michaelis arbeitet beispielgebend für die allerjüngsten Zuschauer. Abstrakte Kräfte wie Licht und Schatten, Sprache und Rhythmus sind in ihren Arbeiten relevant, mit Kokon erprobt sie den Tanz für die Allerkleinsten. Ihre Arbeiten für Kindergartenkinder sind beispielgebend für die Einbeziehung des Objekttheaters in das Schauspiel. Ihre Bühnenfiguren beseelen Dinge wie Gießkannen, Schuhe oder Äpfel, um den komplexen Alltag des jungen Publikums greifbar und damit fassbar zu machen.

Sinnlich, konkret und herzhaft

Die Regiearbeiten der künstlerischen Leiterin des Jungen Ensemble Stuttgart, Brigitte Dethier, sind meist mit ihrem Team entwickelte Uraufführungen. Mit viel Humor und Schwung geht sie Grundprobleme der Menschheit an wie den Kampf der Geschlechter in Mama Salz und Papa Pfeffer, der Kulturen in der Fortsetzung Merhaba Mama Salz und Papa Pfeffer oder der Generationen wie in Pizza senza Mamma. Vorurteile und Klischees reizt Brigitte Dethier durch Zuspitzung, Rhythmisierung und Slapsticknummern zur Wahrheitsfindung aus. Der geringe sprachliche und hohe bildliche Anteil in diesen Inszenierungen macht den Kindern den Einstieg in die Theaterwelt leicht.

Für die große Zahl der Buchbearbeitungen auf deutschen Bühnen ist der Regisseur Rüdiger Pape ein gutes Beispiel. Seinen Inszenierungen in Bonn, Köln oder Dresden liegen oft Prosatexte oder Bilderbücher zugrunde. Mit hohem Gespür für Situationen spitzt er die Vorlagen dramatisch zu, um bodenständig, detailgenau und humorvoll Gefühle auszuloten. Ob Frau Meier, die Amsel – nach einem Bilderbuch von Wolf Erlbruch – ihre alltäglichen Sorgen durch eine wirkliche Aufgabe überwinden kann oder in Nur ein Tag sich die Frage nach der Endlichkeit für eine Eintagsfliege besonders dramatisch stellt, Rüdiger Papes Helden sind mit den elementaren Themen der Menschheit beschäftigt und meistern ebenso gewissenhaft ihre täglichen Aufgaben.

Heutige Bilder für alte Mythen

Marcelo Diaz ist seit rund 20 Jahren bekannt für Bildertheater und poetische oder/und philosophische Komödie im deutschen Kindertheater. Bei ihm stehen vor allem die großen transkulturellen Themen im Mittelpunkt: Mann und Frau, die Ordnung der Welt und das Individuum. Marcelo Diaz inszeniert gerne Texte von zeitgenössischen Autoren, vor allem neue Bearbeitungen von mythischen Stoffen wie An der Arche um acht, Das Lied von Rama oder Gullivers Reisen, um sie auf ihre aktuelle, gesellschaftliche Relevanz hin zu befragen. Realistische Stücke wie Wir immer für alle zusammen bekommen in seiner Regie eine überzeitliche Ruhe und Kraft, die das Publikum auffordert, sich selbst mit Abstand zu betrachten. Er macht Widersprüche sichtbar, lässt seine Figuren die Grenzen der Bühnenwelt erkunden und führt damit sein junges Publikum in die Theaterkunst ein. Der Auftritt eines Technikers als Aushilfsgott, welcher ebenso als Panne verstanden werden kann, ist beispielhaft. Seine Arbeiten sind Sehschulen der Theatermagie und lassen ihre streitbaren Positionen immer in der Schwebe.

Philippe Besson, Oberspielleiter am Theater Junge Generation in Dresden, steht für dynamisches, rasantes Kindertheater. Im Großen – Dornröschen im Schauspielhaus Zürich – oder im Kleinen – mit drei Darstellern ein Kinderbuch wie Wir alle für immer zusammen – immer haben Philippe Bessons Inszenierungen eine hohe Dynamik, eine schräge, aussagekräftige Ästhetik und noch schrägere Figuren auf der Bühne. Die Probleme der Handlungsträger werden bei Besson physisch erfahrbar.

Episches Theater öfter mit als ohne Musik

Das epische Theater für Kinder ist eng mit dem Namen Andrea Gronemeyer verbunden. Wie keine andere hat die Leiterin des Schnawwl in Mannheim das Erzähltheater weiterentwickelt. Ob klassisch als Solo oder im Spieler-Erzählerverbund: Kunst- und Volksmärchen neu erzählt sind ihre Spezialität. Auf sehr genauer Textarbeit und guter Sprache basieren ihre Regiearbeiten. Die hohe Kunst des Erzähltheaters mit angedeuteten Bildern gibt ihr die Möglichkeit für Kinder schwierige Probleme anzusprechen, ohne sie zu illustrieren. Die inneren Bilder der Zuschauer entsprechen dem individuellen Entwicklungsstand, die Themen und die Gefühle gibt die Inszenierung vor. Die Erweiterung des Theaterangebots für Kinder mit modernem Musiktheater ist der zweite Arbeitsschwerpunkt der Regisseurin. Zahlreiche Uraufführungen des jungen Repertoires für Kinder-Musiktheater gehen auf ihre Initiative zurück. Das Kind der Seehundfrau, Schneewitte oder Schaf sind Inszenierungen, die Mittel der Oper mit epischem Theater verbinden.

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