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Integration
Kreative Ideen gegen Klischees

Das „renk.“-Team mit Melisa Karakuş (vordere Reihe, zweite von rechts);
Das „renk.“-Team mit Melisa Karakuş (vordere Reihe, zweite von rechts); | Foto (Ausschnitt): © Ferhat Topal

Junge deutsch-türkische Kreative gehen neue Wege, um zwischen Deutschland und ihrem Herkunftsland zu vermitteln: mit digitalen Plattformen, als Verlegerinnen – und am Herd.

Eine „Vorzeigetürkin“ möchte Melisa Karakuş nicht sein. Sie sei schließlich „nichts Besonderes“ und Identität definiere sie jenseits von Ethnie – ohne dabei ihre Herkunft zu verleugnen. Die vielen Medienberichte über die Herausgeberin des Online-Magazins renk. haben aber dazu geführt, dass sie doch herausragt. „Renk“ bedeutet „Farbe“ auf Türkisch. Und um Farbe geht es im übertragenen Sinne auch in dem digitalen Medium, das die 1989 geborene Grafikdesignerin Karakuş für ihre Bachelorarbeit an der Fachhochschule Dortmund entwickelt hat. Weil Freunde und viele andere von dem Konzept des Online-Magazins so begeistert waren, blieb es nicht bei dem Entwurf. Im Sommer 2013 ging renk. online und berichtet seitdem auf Deutsch über Deutsch-Türken, die in Kunst und Kultur von sich reden machen und über Projekte und Veranstaltungen.

„Kreativität ist nicht gerade das, womit wir in Deutschland in Verbindung gebracht werden“, sagt die Tochter türkischer Migranten. Und so geht das Magazin, das sich als „Plattform für das bunte Leben der deutsch-türkischen Kreativen“ versteht, optisch und inhaltlich gegen Klischees an. Die Erläuterung im Editorial, renk. sei ein Medium zur Aufdeckung „deutsch-türkischer Ausnahmeverhältnisse“, möchte Melisa Karakuş ironisch verstanden wissen. Deutsch-Türken würden in den Mainstream-Medien meist mit Defiziten in Verbindung gebracht. Dem will die Grafikdesignerin etwas Positives entgegensetzen.

Aktuelle Literatur aus der Türkei

Selma Wels und Inci Bürhaniye gründeten den Binooki-Verlag; Selma Wels und Inci Bürhaniye gründeten den Binooki-Verlag; | © Stephan Pramme Ein Defizit war es auch, das bei Selma Wels und Inci Bürhaniye Kreativität freisetzte. Die beiden Schwestern, geboren 1967 und 1979, stellten immer wieder bedauernd fest, dass es nur wenig türkische Literatur in deutscher Sprache gibt. Vor fünf Jahren kamen sie nach dem Besuch der Buchmesse in Istanbul „bei Köfte und Pilav“ auf die Idee, einen Verlag zu gründen und so eine Verbindung zwischen ihren „beiden Heimaten“ zu schaffen. Mit ihrer persönlichen Erfahrung im Hinterkopf, dass Literatur eine Kulturbrücke sein kann und viel über eine Gesellschaft vermittelt, wagten sie 2011 den Sprung in eine ihnen fremde Branche und gründeten in Berlin den Binooki-Verlag. Inzwischen haben die Betriebswirtin Selma Wels und ihre ältere Schwester Inci, die eigentlich Anwältin ist, über 20 Bücher verlegt. Und sie haben schon viele Auszeichnungen erhalten – darunter der Kurt-Wolff-Förderpreis, weil sie sich „facettenreich und mit großer Lust an Entdeckungen der türkischen Literatur“ annehmen. Das Verlagsprogramm enthält Titel von zeitgenössischen türkischen Autoren, die in ihren Romanen, Krimis und Kurzgeschichten die Vielfalt der türkischen Gesellschaft spiegeln.

„Integration geht durch den Magen“

Orhan und Orkide Tançgil Orhan und Orkide Tançgil | © privat Ebenfalls gegen „Türken-Klischees“ wollen Orhan und Orkide Tançgil, Jahrgang 1973 und 1974, vorgehen: Vor etwa zehn Jahren stellte Orhan Tançgil in seiner Studentenbude fern vom Elternhaus fest, dass er gar keine Ahnung davon hat, wie etwa Köfte und Börek gemacht werden. Das brachte ihn auf die Idee, die Gerichte unter der Anleitung seiner Mutter zu kochen, alles filmisch zu dokumentieren und die Videos auf YouTube zu veröffentlichen. Inzwischen hat der ausgebildete Mediendesigner mit seiner Frau Orkide den Food-Blog KochDichTürkisch aufgebaut, der nicht nur Video-Anleitungen und Rezepte enthält, sondern auch Texte, die sich den Besonderheiten der türkischen Küchen-Kultur widmen. Im eigens dafür gegründeten Doytç-Verlag (sprich: Deutsch) gibt das Ehepaar Tançgil zudem Bücher über die türkische Küche heraus, betreibt ein Kochstudio in Düsseldorf und einen Online-Shop. KochDichTürkisch verstehen sie auch als ein politisches Statement. „Wir möchten unsere Erfahrungen, Emotionen und Hintergründe teilen und Menschen verschiedener Ethnien und Glaubensrichtungen zusammenbringen – über das türkische Essen und die türkische Küchenkultur“, erklärt Orhan Tançgil. Sein Frau Orkide bringt es knapper auf den Punkt: „Integration geht durch den Magen.“

Melisa Karakuş, die Schwestern Selma Wels und Inci Bürhaniye sowie Orhan und Orkide Tançgil verbindet, dass sie sich in dem Bild nicht wiederfinden, das über sie in der Mehrheitsgesellschaft existiert. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Image der Deutsch-Türken und ihres Herkunftslandes geradezurücken. Bei Binooki und KochDichTürkisch funktioniert das Engagement inzwischen auch als Geschäftsmodell, nicht aber bei renk. Die rund 20 Journalisten, Fotografinnen, Filmer und Grafikerinnen arbeiten alle ehrenamtlich. Leben kann Melisa Karakuş von ihrem Magazin zwar nicht, trotzdem investiert sie viel Zeit: Sie möchte dazu beitragen, dass Menschen wie sie – Töchter und Söhne von türkischen Arbeitsmigranten – in der Kreativszene nicht als Ausnahme wahrgenommen werden.

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