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Frank Seeliger im Gespräch
„Das Potenzial von RFID ist noch nicht erschöpft“

RFID in Bibliotheken
RFID in Bibliotheken | © Bibliotheca RFID Library Systems GmbH

Immer mehr Bibliotheken setzen auf Funkchips, um ihren Bestand zu verwalten und den Service für die Leser zu verbessern. Wie viel Potenzial steckt tatsächlich in der Technologie? Und birgt sie auch Risiken? Darüber spricht im Interview Frank Seeliger, der Leiter der Hochschulbibliothek der Technischen Hochschule Wildau.

Herr Seeliger, als Wissenschaftler beschäftigen Sie sich schon seit Jahren mit der Einführung von RFID in Bibliotheken. Wie viel Potenzial steckt in der Technologie?  

Ohne Frage ein extrem großes. Bei RFID handelt es sich ja um eine Technologie zur Identifikation von Objekten. Das gibt uns viele Möglichkeiten, den Service einer Bibliothek zu überdenken und neu zu konzipieren. Viele Menschen verbinden mit einer Bibliothek sehr viel Zeit, die man investieren muss, um etwas zu finden. Oder eben Zeit, die man nicht hat, weil es als berufstätiger Mensch schwierig ist, zu den Öffnungszeiten vor Ort zu sein. Das hat sich durch RFID geändert.

Inwiefern?

Durch die Möglichkeit, jedes Buch mit einem kleinen eingeklebten Funketikett zu versehen, können Bibliotheksnutzer Medien selbst verbuchen – eine Tätigkeit, die früher von Fachpersonal durchgeführt wurde. Mit anderen Worte: Routineprozesse werden automatisiert. Dadurch kann man den Nutzern längere Öffnungszeiten anbieten. Damit ist das Potenzial von RFID aber noch lange nicht erschöpft.

Welche weiteren Vorteile hat die Technologie für Bibliotheken und ihre Nutzer?

Frank Seeliger, Leiter der Hochschulbibliothek der Technischen Hochschule Wildau Frank Seeliger, Leiter der Hochschulbibliothek der Technischen Hochschule Wildau | © Frank Seeliger Es gibt einerseits den Trend zu spektakulären Großbibliotheken, so genannten Landmarks. Diese haben zwar zweifellos eine tolle Vorbildfunktion, gehen aber leider oft zu Lasten des Netzwerks von kleineren Bibliotheken. Sie decken aber den lokalen Bedarf an Informationen ab und ermöglichenden Menschen kurze Wege. Mit RFID kann man dieses Netzwerk unterstützen, indem man den finanziellen Druck von kleineren Bibliotheken nimmt. Zudem ist es möglich, an öffentlichen Orten außerhalb einer Bibliothek präsent zu sein: beispielsweise mit Ausleih- und Rückgabeorten in der U-Bahn oder in Einkaufszentren.

RFID ist für Bibliotheken ein Mittel zur Qualitätssicherung und Bestandskontrolle. Ist das richtig?

Es stimmt, dass man RFID zur Inventur einsetzen kann. Wenn die Technik voll in das Bibliotheksmanagementsystem eingebunden ist, können Sie in relativ kurzer Zeit sehr viele Medien erfassen. Allerdings sind solche Set-ups im Augenblick noch recht anspruchsvoll. Von 1.000 Bibliotheken, die im deutschsprachigen Raum schon mit der Technologie arbeiten, ist mir im Augenblick außer unserer Bibliothek nur ein einziges weiteres Haus bekannt, das in der Lage ist, dies umzusetzen.

Wobei es die Befürchtung gibt, dass die Chips von Dritten ausgelesen werden können. Seit Jahren schon prangern Datenschützer RFID als Gefährdung der Privatsphäre an. Wird das auch in Ihrer Branche diskutiert?

Ja, und diese Diskussion gibt es natürlich auch bezogen auf den Einsatz in Bibliotheken. Hier wirken natürlich Ängste, die man ernst nehmen muss. Schließlich basiert RFID auf elektromagnetischer Strahlung, die ja unsichtbar ist für den Nutzer. Das kann schon beunruhigend sein. Und es ist natürlich auch richtig: Die Daten eines RFID-Chips können von Dritten problemlos ausgelesen werden, etwa durch ein NFC-fähiges Smartphone. Die Frage ist nur, was man aus diesen Daten wirklich ablesen kann. Nach unserem Datenstandard, dem sogenannten Dänischen Datenmodell, nur etwa das Sigel der Bibliothek, Ausleihstatus, Anzahl bei Beilagen, aber auf keinen Fall den Buchtitel oder die persönlichen Daten des Nutzers.

Die Bedenken gehen aber noch weiter. Es wird befürchtet, dass die Ungewissheit über die zukünftigen Möglichkeiten von RFID sich auf das Leseverhalten von Bürgern auswirken könnte. Ist es möglich, dass man sich mit dem Entleihen bestimmter Bücher zurückhält, weil man nicht weiß, inwiefern diese Information von Dritten eingesehen werden könnte?

Ich verstehe den Punkt, aber ich finde die Kritik ungerechtfertigt. Wir haben ja sehr hohe Datenstandards hier in Deutschland. Anders als in vielen anderen Ländern, können Sie die Ausleihgeschichte eines Kunden nicht erkennen. Die Daten werden in der jeweiligen Bibliotheksmanagement-Software regelmäßig gelöscht. Meiner Meinung nach wird der Technologie hier etwas zugeschrieben, was sie aktuell gar nicht leisten kann und darf.

Was kann und sollte die Technologie denn Ihrer Meinung nach leisten?

RFID bietet fantastische Möglichkeiten, den Zugriff auf Medien weiter zu optimieren. Wer kennt nicht das Problem nicht auffindbarer Bücher? Nutzer nehmen Exemplare aus den Regalen, lesen Sie vor Ort und lassen sie einfach liegen. Haben Sie schon mal nach einem solchen Buch gesucht? Eine Katastrophe. Mit RFID ist es möglich, Rückstelltische mit einer Lesevorrichtung zu versehen. Das heißt, Sie finden solche Bücher in Sekunden über die Suchfunktion der Bibliotheks-Software.

Werden sich solche Anwendungen durchsetzen?

Die technologischen Voraussetzungen sind jedenfalls gegeben. Leider stagniert die Entwicklung. Das ist ja auch kein Wunder, wenn man bedenkt, wie begrenzt die Möglichkeiten in unserem Segment, einem kleinen Markt, sind – etwa im Vergleich zur Automobilindustrie. Wenn man sich allerdings anschaut, wie viel Geld dann doch für innovative Bibliotheks-Architektur in die Hand genommen wird, muss man sich natürlich fragen, ob es nicht genauso sinnvoll wäre, mit derselben Leidenschaft auch die Weiterentwicklung einer innovativen Technologie wie RFID voranzutreiben.
 

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