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Interview mit Ilija Trojanow
"Macht und Widerstand"

Ilija Trojanow
Foto (Ausschnitt): © Thomas Dorn

Ilija Trojanow, geboren 1965 in Sofia, ist nicht nur einer der größten Schriftsteller, sondern wohl auch einer der größten Geschichtensammler der Gegenwart. Seine Arbeit hat ihn durch die ganze Welt geführt, mit Stationen in Nairobi, München, Bombay und Kapstadt. Derzeit lebt er in Wien. Seine Romane „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“, „Der Weltensammler“ und „EisTau“ sind internationale Bestseller und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2015 ist sein persönliches Opus Magnum beim S. Fischer Verlag erschienen: „Macht und Widerstand“. Zur Istanbuler Buchmesse erscheint der Roman im Can Verlag auf Türkisch.

Herr Trojanow, Sie haben sich in Ihren Büchern mit so unterschiedlichen Themen wie dem britischen Abenteurer Sir Richard Burton beschäftigt, dem Klimawandel, der staatlichen Überwachung oder den Olympischen-Sommer-Disziplinen im Selbstversuch. Was macht ein Thema für Sie interessant und wie stoßen Sie auf die Geschichten? 
 
Inspiration durch Observation. Eine Neugier auf die Vielfalt der Welt. Da ich bei meinen Büchern stets intensiv recherchiere, muss das Thema mich packen und mich wirklich interessieren.
 
Unterscheidet sich Ihre Herangehensweise an eine Geschichte abhängig von Thema, Ort oder persönlichem Bezug?
 
Der Ort ist egal, das Rechercheverfahren ist abhängig von der Komplexität des Themas. Ein historischer Stoff stellt andere Herausforderungen als ein gegenwärtiger, ein politisches Buch verlangt nach anderen Schwerpunkten als ein introspektives. Ich versuche zunächst, so viel wie möglich zu lernen und zu verinnerlichen, beim Schreiben aber ein wenig beiseite zu schieben, damit ich auf dem Fundament solider und stabiler Kenntnis frei fabulieren und verzieren kann.
 
Sie sind als Kind zusammen mit Ihren Eltern von Bulgarien nach Deutschland geflohen, haben in Kenia den Großteil Ihrer Kindheit verbracht und bereits in einer Vielzahl von Ländern gelebt. Wie viele Kulturen verinnerlichen Sie eigentlich in sich? 
 
Wahrscheinlich viele, wobei ich nicht weiß, ob es die nationale Kultur, auf die Sie anspielen, überhaupt gibt. Mich interessiert vor allem das Gefühl der Fremdheit. Ich halte es mit dem mittelalterlichen Denker Hugo von St. Viktor: "Wer sein Heimatland liebt, ist ein zarter Anfänger; wem jeder Fleck so viel bedeutet wie der heimische, ist stark; vollkommen ist aber jener, dem die ganze Welt ein fremdes Land ist.“
 
Bulgarien hat in Ihren literarischen und filmischen Werken, wie auch jetzt in „Macht und Widerstand“, stets eine besondere Rolle eingenommen. Wie beschreiben Sie die Beziehung zu Ihrem Geburtsland? 
 
Ich spreche die Sprache, ich kenne viele Menschen dort, beides erleichtert die Recherche. Außerdem sind viele wichtige Geschichten dort noch nicht erzählt worden. Ein kleines Land am Rande der europäischen Aufmerksamkeit kann ein Schauplatz existentieller allgemeingültiger Narrative sein.
 
Sie beschäftigen sich in Ihrem Roman „Macht und Widerstand“ mit dem Apparatschik Metodi und dem Widerstandskämpfer Konstantin – zwei exemplarische Gegenspieler, auf die wir damals wie heute überall auf der Welt treffen können. Was macht den Metodi zum Metodi und den Konstantin zum Konstantin? 
 
Biegsamkeit und Haltung, Opportunismus und Überzeugung, Perfidie und Anstand, Feigheit und Mut, Egoismus und Altruismus, Dogmatik und Freiheit, Kitsch und Poesie. Die Leserinnen und Leser beziehen diese Gegensätze auf ihre eigenen Erfahrungen, historisch wie gegenwärtig. So wird es wohl auch in der Türkei sein, wenn das Buch dort erscheint.
 
Im Roman finden sich nicht nur die wechselnden Perspektiven der beiden Protagonisten, Sie integrieren zudem bulgarische Stasi-Akten in ihren Roman. Wie kam es dazu? Und wie gestaltete sich die Einbettung der Dokumentarliteratur? 
 
Einerseits erzählt der Zeitgeist: Da die Handlung von 1944 bis 2007 spielt gibt es verschiedene historische Phasen mit unterschiedlicher Sprache, Ideologie, Mentalität und Weltwahrnehmung. Das wollte ich in diesen Zeitstromnarrativen einfangen. Die Dokumente aus dem Archiv der bulgarischen Staatssicherheit sind mir von Zeitzeugen, ehemaligen politischen Häftlingen, anvertraut worden. Ich habe sie in die fiktive Handlung eingearbeitet, weil in ihnen all das enthalten ist, was das Leben unerträglich macht: Verfälschungen, Vertuschungen, Verwirrungen und viele vermeintlich kleine, aber umso tragischere Geschichten des Verrats. Sie sind zwar authentisch, aber man kann ihnen nicht trauen, sie sind voller Ungereimtheiten und Lügen.
 
Lager, Arrestzellen, Folter. „Macht und Widerstand“ veranschaulicht, wie hoch der Preis ausfallen kann, wenn man für seine moralischen Werte einsteht. Und doch endet ihr Roman mit den Worten „Es hat sich gelohnt.“ 
 
Konstantin ist der Ansicht, dass es schöner und beglückender ist, für seine Überzeugungen zu leiden, als in der Sklaverei zu leben. Viele politische Häftlinge haben mir bestätigt, dass sie sich im Gefängnis frei gefühlt haben. Schon Jesus wusste: Was bringt es einem, die Welt zu erobern, wenn die Seele dabei Schaden nimmt.
 
Sie schreiben im Roman den Satz: „Wir sollten es eine Weile ohne Werte probieren.“. Können Sie uns das näher erläutern?
 
Einer der Figuren stellt die Behauptung auf: „Ohne Moral kein Massenmord". Das ist ein komplexes Thema, das in dem Roman immer wieder reflektiert wird: Inwieweit ist ein moralisches Dogma Voraussetzung für den exterminatorischen Impuls gegenüber Andersdenkenden. Die Geschichte der organisierten Religionen ist bekanntlich eine Kriminalitätsgeschichte. Und die vielen Genozide imperialer Mächte rechtfertigten sich stets mit moralischen Positionen und Prinzipien.
 
Sie sprechen bei „Macht und Widerstand“ von Ihrem Opus Magnum, Ihrem Meisterwerk. Was zeichnet den Roman als solches aus? 
 
Von „Meisterwerk“ haben, wenn überhaupt, andere gesprochen. Opus Magnum gilt in dem Sinne, dass ich zwanzig Jahre daran gearbeitet habe. Es ist einfach viel Lebenszeit drin enthalten. Insofern freut es mich sehr, dass der Roman nun auch auf Türkisch erscheint.
 

Ilija Trojanow zu Gast in Ankara!

Ilija Trojanow ist am 18.11. im Goethe-Institut Ankara zu Gast und liest aus seinem Buch „Macht und Widerstand“. Die Veranstaltung wird in Kooperation mit der Deutschen Botschaft Ankara, dem DAAD und der Hacettepe Universität organisiert.

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