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Interview mit Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah

Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah
© Foto: Fatma Aydemir: Sibylle Fendt, Foto: Hengameh Yaghoobifarah Tarek Mawad

Ihr seid die Herausgeber:innen des Bandes Eure Heimat ist unser Albtraum. Wie kam es zu diesem Band? An wen war er gerichtet? Welche Wirkung sollte von ihm ausgehen?

Hengameh Yaghoobifarah: Im März 2018 sprachen wir bei einem Kaffee über unsere aktuelle Lektüre. Wir stellten fest, dass wir beide Anthologien über post-migrantische Gesellschaften lasen, mit persönlichen Essays, Gedichten und Bildern. Eins kam aus dem UK, das andere aus Schweden. Beide Bücher beeindruckten uns mit ihrem selbstbewussten, klugen und teils humorvollen Sound. Wir unterhielten uns darüber, dass „so etwas“ im deutschsprachigen Raum so selten vorkam, dabei war dieses „so etwas“ sehr vage. Beiträge von Menschen, die Antisemitismus und/oder Rassismus erfahren? Beiträge über Antisemitismus und/oder Rassismus? Zur selben Zeit hatte sich die neue Regierung gebildet und zum ersten Mal nach 1945 saß eine rechte Partei im Bundestag. Das Innenministerium hatte durch seine Umbenennung in „Ministerium für Inneres, Bau und Heimat“ ein völkischeres Make-Over erhalten. Das wurde nicht einmal groß diskutiert. Leute beschwerten sich eher darüber, dass das Ministerium nicht divers genug besetzt sei, als dass es überhaupt existierte. Dieser gesellschaftlichen Entwicklung wollten wir etwas Künstlerisches, Literarisches entgegensetzen. Weniger um über Missstände aufzuklären und viel mehr mit dem Wunsch nach Allianzenbildung, Empowerment und Widerstand in einer Kulturszene, die sich gerne mal völkischem Kitsch anbiedert. Wir wollten ein Signal senden: Das, was hier passiert, ist nicht hinnehmbar, es ist auch nie hinnehmbar gewesen, und das denken außer uns noch viele andere. Wir wollten ein Buch für uns. 

Wie deutet ihr die von euch konstatierte „Sehnsucht nach Heimat“ – das Nicht-tot-zu-kriegen des Heimatdiskurses in Politik und Gesellschaft, aber auch die ständige Wiederkehr dieses Begriffs in Bereichen wie dem Akademischen oder in Foren wie dem, für das wir hier schreiben? Was liegt der Heimatsehnsucht, fasst man sie als Symptom auf, zugrunde?

HY: Ich denke nicht, dass es so etwas wie ein „natürliches“ Begehren nach Heimat gibt. Das Konzept ist, wie Mithu Sanyal in ihrem Essay schreibt, ein relativ neues. Die Menschheit konnte sehr gut ohne Heimat leben, es gibt kein „Urbedürfnis“ danach. Die Behauptung, jeder Mensch würde tief in seinem Inneren eine Sehnsucht nach „Heimat“ verspüren, ist nationalistischer Kitsch. Ob es einen Wunsch nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft gibt, ist eine andere Frage. Das denken wir schon, aber diese Zugehörigkeiten müssen sich nicht anhand von essenzialistischen Kategorien wie Nationalität bilden. Diese sind nämlich nicht nur fragil, sondern auch gefährlich, im wahrsten Sinne tödlich, wie wir täglich etwa an den EU-Grenzen beobachten können.
Die Debatte um „Heimat“ verhält sich wie die um „Leitkultur“ oder „Integration“: Sie wird von Rechten oder Konservativen in reaktionären Diskursen angestoßen und auf einmal entsteht der Eindruck, es handle sich um ein dringliches Thema, das alle beschäftigt. Dabei gibt es viel interessantere Fragen, die wir uns als Gesellschaft stellen können. Etwa: Wie kommen wir hin zu einer nachhaltigeren Welt, die nicht ausbrennt – sei es durch das Klima oder die Menschen?

Ist „Heimat“ Teil eures persönlichen Vokabulars? Ist die Frage nach Heimat—jenseits der Kritik am Begriff und seiner Mobilisierung für politische Zwecke—ein „Thema“ für euch? Do you care about Heimat?

HY: We don’t care about Heimat! Wozu auch? Wir finden nichts schützenswert an einem Begriff, der so vage und gleichzeitig geladen ist, ohne auch nur das geringste subversive Potenzial zu bergen. Bevor unser Essayband erschienen ist, begegneten wir ihm am häufigsten in der Kommentarspalte unter unseren Kolumnen, in der Regel in Sätzen wie „Wenn es dir hier in Deutschland nicht passt, geh doch zurück in deine Heimat!“

Um es mit dem Cover eures Buches zu fragen: Ist Heimat immer Albtraum oder nur deren Heimat unser Albtraum? Anders gesagt: Lässt sich „Heimat“ nur dekonstruiert denken oder gibt es auch einen positiven Entwurf von Heimat?

HY: Die Begriffe „Eure“ und „unser“ sind auf dem Cover im selben Farbton wie der Hintergrund gedruckt, deshalb nur auf den zweiten Blick sichtbar. Es geht uns nämlich nicht um die Trennung zwischen „Wir“ und „Ihr“, sondern darum, das ganze Konzept von Heimat zu hinterfragen. Wir denken nicht, dass Heimat positiv besetzt sein kann, der Begriff hat immer ein nationalistisches oder patriotisches Potenzial, kann immer Ausschlüsse produzieren, denn er zieht immer eine Grenze nach Außen. Wenn etwas zu Heimat gehört, gibt es viele andere Dinge, die eben nicht dazugehören. Selbst liberale Versuche, den Begriff positiv anzueignen, tragen diese Konnotation in sich. Da hilft es auch nicht, den Heimat-Imagefilm mit ein paar rassifizierten Menschen zu schmücken. Der kitschige Appell bleibt.

Was ist Heimat? Ein Ort? Etwas Affektives? Eine Neurose? Politischer Kampfbegriff? Utopie? Eine Form zwischenmenschlicher Verbindung?

Fatma Aydemir: Für mich ist „Heimat“ ganz klar ein politischer Kampfbegriff. Er hat auch etwas von einem dystopischen Ort: patriarchal, nationalistisch, antimodern. Ich verstehe natürlich, dass andere Menschen etwas anderes damit verbinden. Es geht uns mit unserem Buch ja auch nicht darum, das Wort zu verbieten. Damit wäre nichts gewonnen. Aber ich finde es wichtig, Menschen darauf hinzuweisen, welche politischen Dimensionen mit diesem Begriff einhergehen und wie problematisch es ist, ihn zu institutionalisieren. Gerade in Deutschland.

In welchem Maße ist „Heimat“—nicht zuletzt auch analog zu Begriffen wie dem „Vaterland“ oder der „Muttersprache“—an Fragen von Gender gekoppelt?

FA: Ich sehe diesen Begriff tatsächlich sehr eng an ein regressives Bild von Gender gekoppelt. Allein wenn wir uns ansehen, welche Organisationen sich als heimatverbundene Orte definieren: der „Thüringer Heimatschutzverein“, in dem sich die Mitglieder des NSU-Kerntrios getroffen haben; oder die NPD, die sich als „Heimatpartei“ versteht. Rechtsextreme haben ein besonderes Faible für „Heimat“, weil sie damit ein vermeintliches Ideal verbinden, in dem die Dinge noch geordnet sind: Es gibt nur weiße Männer und weiße Frauen. Und letztere sind vor allem dafür da, sich um Reproduktionsarbeit zu kümmern und ansonsten die Klappe zu halten. Andere Lebensrealitäten kommen in dieser Vorstellung nicht vor. „Vaterland“ gehört definitiv in dieselbe Kategorie.

Ist der Heimatbegriff als solcher zu retten? Wenn nicht, gibt es einen Begriff, der ihn ersetzen, ins Diverse/Inklusive/Nicht-Identitäre wenden könnte?

FA: Ich habe kein Interesse daran, den Heimatbegriff zu retten. Und ich bin unsicher, ob es wirklich zeitgemäß ist, ein unbelastetes Synonym dafür zu finden. Letztlich zielte auch jeder Versuch von linker Seite – die gab es nämlich auch – „Heimat“ zu rehabilitieren darauf ab, ein Zugehörigkeitsgefühl innerhalb eines bestimmten Territoriums zu stärken. Und ich denke, es ist höchste Zeit wegzukommen von nationalistischen Projekten. Gerade in Zeiten der Pandemie wird doch deutlich, wie absurd und überholt das Konstrukt von Nationalstaaten ist. Vor der Pandemie hätte ich wahrscheinlich geantwortet, statt „Heimat“ sollten wir mehr über eine „solidarische Gemeinschaft“ sprechen. Aber in der Pandemie wurde „Solidarität“ tatsächlich sehr inflationär gebraucht, nur um die Verantwortung des Einzelnen hervorzuheben. Als ob der Virus vor der eigenen Haustür oder der Landesgrenze kehrtmacht. Solidarität in der Pandemie würde bedeuten, Impfstoff-Patente freizugeben, Reiche stärker zu besteuern, faire Arbeitsbedingungen für Pfleger_innen zu schaffen, Alleinerziehende zu entlasten und die Grenzen offen zu halten. Eine solidarische Gemeinschaft lässt Menschen nicht im Mittelmeer ertrinken. Wir brauchen wirklich kein neues Schlagwort, um den Nationalstaat zu stärken. Wir brauchen eine Politik, die sich von ihm löst.

 

Alexis Radisoglou © Alexis Radisoglou Alexis Radisoglou

Alexis Radisoglou 1982’de Erlangen’de doğdu, Büyük Britanya’daki Durham Üniversitesi’nde doçent ve Alman Çalışmaları direktörü olarak görev yapıyor. Çalışmalarında çağdaş edebiyat, sinema ve güzel sanatlarda siyasi estetik sorunsalını ele alıyor.
 

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