Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Erol Üyepazarcı
Ein fünf Jahre alter Detektiv

Erol Üyepazarcı
© AvsarG)

Von Erol Üyepazarcı

Alper Canıgüz, der 2004 mit Oğullar ve Rencide Ruhlar [dt. Übs. Söhne und siechende Seelen, 2012] und 2013 mit Cehennem Çiçeği [dt. Übs. Höllenblume, 2015] die ersten zwei Krimis der Alper-Kamu-Reihe veröffentlichte, hat an der Boğaziçi-Universität Psychologie studiert. Nach eigenen Aussagen ist er Experte für das Sexualleben japanischer Wachteln.
 
Meiner Ansicht nach hat Alper Canıgüz mit dem ersten Roman über Alper Kamu die erfolgreichste Krimi-Parodie unseres Landes geschrieben. Die Hauptfigur, Alper Kamu, ist ein fünfjähriger Junge und eine ebenso außergewöhnliche Persönlichkeit wie die Katze „Francis“ des weltberühmten türkeistämmigen Autors Akif Pirinçci. Das Buch beginnt mit den Worten: „Mit fünf Jahren befindet sich der Mensch auf der Höhe seiner Reife.“
Alper ist gleichzeitig Philosoph und rotzfrecher Dreikäsehoch. Anstatt im Kindergarten Kinderliedern zu lauschen, hört er zu Hause lieber Schostakowitsch, liest Nietzsche und vergleicht seine Situation mit der von Kafka, der die Briefe seiner Milena nicht öffnen und lesen konnte.
 
Im ersten Band wird unser Protagonist Zeuge eines Mordes – wegen seiner Größe kommt er überall mit Leichtigkeit hinein- und wieder hinaus. Der in der Nachbarschaft nicht besonders beliebte Hicabi Bey wurde ermordet. Während unter anderem der Polizist Onur Çalışkan, der dem Jungen als einziger Erwachsener zuhört, und der Staatsanwalt Metin Bilgin den Mordfall untersuchen und Alper als einzigen Augenzeugen bedrängen, ist dieser damit beschäftigt, die Pläne des Generaldirektors Erdoğan zu durchkreuzen, der seinen Vater nach Erzurum versetzen möchte. Zwischenzeitlich stellt der Staatsanwalt sogar die Möglichkeit in den Raum, Alpers Vater könnte den Mord begangen haben. Inmitten dieses Aufruhrs wird der Junge alles erreichen, was er sich in den Kopf gesetzt hat. Er wird den Mordfall aufdecken. Am 40. Todestag von Hicabi Bey wird er alle zusammentrommeln und wie Hercule Poirot das Geheimnis um den Mord lüften. Ganz nebenbei wird er mit einem gerissenen Plan dem hinterhältigen Generaldirektor ein Bein stellen und die Versetzung seines Vaters verhindern.
 
Neben ihren humoristischen und fantastischen Elementen ist die Geschichte um Alper Kamu ein meisterlich konstruierter Kriminalroman. Das nachbarschaftliche Leben, die Beziehungen, die Alper mit seinem Umfeld pflegt, vor allem seine herzerwärmende Freundschaft zu Hakan Tiryaki, die auf traurige Weise endet, sind hervorragend eingefangen und mitreißend erzählt.
 
Ich persönlich konnte den zweiten Band der Alper-Kamu-Reihe kaum erwarten und habe mich sehr gefreut, als nach neun Jahren endlich die Fortsetzung unter Titel Cehennem Çiçeği [Höllenblume] erschien. Im Gegensatz zu der langen Zeit, die bis zum Erscheinen des zweiten Abenteuers verging, ist unsere Hauptfigur immer noch fünf Jahre alt und verdutzt sein Umfeld weiterhin mit seinem Wissen, wenn er zum Beispiel mit der Ärztin Begüm, in die er verliebt ist, über einen Patienten in der Notaufnahme spricht und sie fragt, ob dieser eine psychosomatische Störung habe. Dass Canıgüz einen Teil der Handlung in das „Pariser Viertel” versetzt, verrät uns, dass der Autor in Kadıköy lebt. Er muss sich dort sehr gut auskennen, um zu wissen, dass dieses Viertel in Kadıköy gegen Ende des 19. Jahrhunderts für seine geheimen und luxuriösen Bordelle bekannt war – was heute kaum noch jemand etwas sagt. Während Alper Kamu und seine Freunde sich in besagtem Viertel mit brutalen Kindern Straßenschlachten liefern und unzählige Ohrfeigen einstecken müssen, deckt er nebenher zwei Verbrechen auf, die ihn im Grunde nichts angehen.
Der zweite Band dieser Reihe unterscheidet sich sehr vom ersten, denn im Gegensatz zu seinem Vorgänger ist die Geschichte überaus finster. Es ist keine bloße Krimi-Parodie mehr: Diesmal ähnelt unsere Detektivfigur Dashiell Hammetts Sam Spade und Raymond Chandlers Philipp Marlowe, denn wie diese berühmten Detektive ist der Lümmel – wie auch die Menschen in seinem Umfeld – nach der Aufdeckung der Verbrechen nicht zufrieden. An den Figuren Feride und Safinaz, die mit zwei voneinander unabhängigen Mordfällen in Verbindung stehen, zeigt sich deutlich, wie schlecht Menschen sein können, wenn sie nur wollen.
 
Hätte Alper Canıgüz, Namensvetter seiner Detektivfigur, diese mit dunklem Humor gespickte und solide Kriminalgeschichte nicht seine fünfjährige Hauptfigur erzählen lassen, so hätten diese dunkle Ironie, die uns wie eine Ohrfeige trifft, und die Wahrheit über die unbarmherzige Natur des Menschen nicht mit der gleichen Schlagkraft berühren können. Davon bin ich überzeugt.
 
Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich eines an dieser Stelle klarstellen: Wenn ich die Werke von Alper Canıgüz als Krimi-Parodien bezeichne, so meine ich damit, dass der Autor Form und Handlungsaufbau des Kriminalromans nutzt, um seinen Werken eine eigenständige Essenz zu verleihen. Ob man Kriminalromane mag oder nicht: Ich bin mir sicher, dass die Werke von Canıgüz wahre Literaturliebhaber*innen in ihren Bann ziehen werden.
 
Alper Canıgüz hat außer seiner Alper-Kamu-Reihe drei weitere Romane geschrieben. Sein Debütroman aus dem Jahre 2000 trägt den Titel Tatlı Rüyalar [dt. Übs. Die Verwandlung des Hector Berlioz, 2014] und wird von Canıgüz im Untertitel als psycho-absurd-romantische Komödie bezeichnet. Hector Berlioz, dessen Mutter türkischer und Vater französischer Herkunft ist, lebt in der Türkei und entdeckt eines Morgens beim Frühstück folgende Anzeige, die sein Leben verändert: „Junger Mann, 25 Jahre, gesund, gute Ausbildung, zwei Fremdsprachen, verkauft Teil seines Lebens zur Sicherung seines restlichen Lebens. Terminabsprache unter u.a. Telefonnummer.“ Mit diesen Zeilen beginnt Canıgüz‘ Debütroman – eine wahrhaft „psycho-absurde“ und „romantische Komödie“.
 
Die Figur Musa aus dem 2006 erschienenen Roman Gizliajans [dt. Übs. Secret Agency, 2013] ist ein junger Werbetexter, der glaubt, dass sich die Welt gegen ihn verschworen hat. Musa teilt sich eine Wohnung mit dem herzensguten Şaban, der sich allen Aspekten des Lebens mit einer tiefen und aufrichtigen Neugier nähert, und arbeitet in einer Werbeagentur, die von einer tyrannischen Katze geführt wird, mit eigenartigen Angestellten zusammen: die violettäugige künstlerische Leiterin Sanem, die brünetten Sekretärinnen Mehtap und Sevilay mit viel Sexappeal, der nah am Wasser gebaute Kreativdirektor Çeşme und der Teebursche Ercan, der als menschlicher Seismograf fungiert. Weitere Hauptfiguren sind Prominente wie Tesla, Prinz Charles, Kaan Sezyum, der kleine Prinz, Superman et cetera.
Dieser Roman ist ein weiteres spannendes, provokantes und absurdes Abenteuer, getreu dem ganz eigenen Schreibstil des Autors.
Sein neuestes Werk Kan ve Gül [Blut und Rose], 2017 erschienen, ist, wie der Autor sagt, ein fantastischer Kriminalroman. Es ist ein Roman, der mit Blut gefärbt und in Rosenduft getränkt wurde. Das Werk ist überaus traurig, sehr lebendig und ziemlich lustig: Der in Zeit und Raum umherschweifende Aziz arbeitet als Übersetzer von zweitklassigen Liebesromanen. Als er bei einem Brand zu Staub zu verfallen drohte, reist er zurück in die Zeit vor zwanzig Jahren, in der er einen Mord aufzudecken versucht, der noch nicht begangen wurde. Dabei wird er das Leben des charismatischen Soziopaten Abdül retten.
 
Alper Canıgüz ist ein Autor, der mit seinen Kriminalromanen jenseits der Norm zu Recht eine Sonderstellung in der türkischen Kriminalliteratur einnimmt.
 

Top